Hermann Maier:"Ohne den Unfall würde ich nicht mehr fahren"

Lesezeit: 6 min

Der "Herminator" aus Österreich spricht über versäumte Ziele, gesteigerten Aufwand und unmögliche Siege. Und welche Bedeutung die Olympischen Spiele für ihn haben.

Ein Interview von Wolfgang Gärner

Hermann Maier, Skirennfahrer aus Flachau im Salzburger Land, hat viermal den Gesamt-Weltcup gewonnen, ist aber mit 33 Jahren erst zum zweiten Mal Olympia-Teilnehmer. Bei seiner Premiere 1998 in Nagano erlangte der Österreicher Weltruhm nicht nur wegen seiner Siege in Super-G und Riesenslalom, sondern fast noch mehr aufgrund eines spektakulären Sturzflugs in der Abfahrt.

Hermann Maier: Das Fahren wurde einfacher, das Gewinnen schwieriger. (Foto: Foto: Reuters)

Der Start bei den Winterspielen 2002 in Salt Lake City blieb ihm wegen der Folgen eines Motorradunfalls verwehrt, 2006 in Turin tritt er an als einziger Starter, der in diesem Winter in drei Disziplinen gewann: in Riesenslalom, Super-G und Abfahrt. Der Olympiasieg in dieser Sparte ist der letzte offene Posten in seiner Karriere.

SZ: Herr Maier, wann ist das Gefühl für Olympia in Ihnen erwacht?

Hermann Maier: Spät, ich spürte Mitte Januar, dass es kommt, aber dann schlummerte es weiter so dahin. Ich rechnete nie nach, wann die Spiele kommen.

SZ: Aber diese Winterspiele sind ein wichtiger Termin in Ihrer Karriere?

Maier: Natürlich, vor allem, weil ich beim letzten Mal wegen meines Unfalls nicht teilnehmen konnte, als ich auf dem Höhepunkt meiner Karriere gewesen wäre. Ich habe durch den Unfall das größte Ziel versäumt, das ich mir setzte: 2002 die Erfolge von 1998 zu bestätigen.

SZ: War die Rückkehr zu Olympia eine bestimmende Idee während Ihrer langen Rekonvaleszenz?

Maier: Meine zweiten Olympischen Spiele haben mich direkt nach den Siegen bei meinen ersten beschäftigt: Das willst du noch mal erleben! In Nagano dachte ich allerdings, dass die Rennen in Sestriere für mich nicht mehr in Frage kommen. Ich habe gar nicht gerechnet, wie alt ich bis dahin wäre, hatte nur so ein Gefühl: 2006 wird zu spät, da mache ich nicht mehr mit. Dann kommt der Unfall dazwischen, mir fehlt die Wiederholung, und jetzt bin ich halt doch dabei. Ohne den Unfall würde ich nicht mehr fahren, wäre ich zu gesättigt, weil sich ja sicher allerhand ereignet hätte in den zwei Jahren, die mir fehlen.

SZ: Im vorigen Winter schien es Ihnen vor allem darum zu gehen, im Riesenslalom - der Disziplin, für die die Auswirkungen Ihres Unfalls am gravierendsten waren - Anschluss zu finden. Das gelang mit dem WM-Titel von Bormio. Nun könnte man meinen, Sie zielten vor allem auf das letzte, was Ihnen fehlt in der Sammlung: olympisches Abfahrtsgold.

Maier: Nein, mir fehlt einfach die Teilnahme an meinen zweiten Spielen, deswegen bin ich nicht vorrangig ausgerichtet auf die Abfahrt. Letztes Jahr hatten Abfahrt und Super-G gut funktioniert, mir ging aber für eine runde Saison der Riesenslalom ab, deshalb war ich in Bormio darauf fixiert. Heuer stehen die Winterspiele an sich im Vordergrund.

SZ: War das vor Nagano 1998 ähnlich?

Maier: Nein. Ich fuhr ein Rennen nach dem anderen, und auf einmal war Olympia da. Damals ging fast alles automatisch, da hat man auch lange nicht so viel mit dem Material herumprobiert.

SZ: Haben Sie in dieser Beziehung mehr investiert als üblich?

Maier: Ja. Im Prinzip hätte ich nach Lake Louise - also Ende November - schon sagen können: Das Paket passt. Aber wegen Olympia haben wir uns länger mit der Feinabstimmung beschäftigt. Inzwischen ist für mich so ein Großereignis deutlich vorrangiger als der Weltcup. Sich derart auf einen Anlass zu konzentrieren, ist auch ein Risiko, ich brauche nur an die WM 2001 in St. Anton zu denken. Die war für mich zwar nicht schlecht (mit Silber in der Abfahrt und Bronze im Super-G/d. Red.), aber eben nicht perfekt. Vielleicht wollte ich es zu sehr zwingen, und das ist die Gefahr.

SZ: Aber die Form ist schon planbar?

Maier: Nun ja, 2004/05 betrieb ich besonders viel Aufwand für den Riesenslalom - und der ist mir dann im ersten Rennen in Sölden gar nicht aufgegangen. Ich stellte eine Kleinigkeit um, das funktionierte. In der Vorbereitung auf den Olympiawinter habe ich den Riesentorlauf eher vernachlässigt - und sofort den Auftakt in Sölden gewonnen. Damit war das abgehakt, und ich habe mich auf die schnellen Disziplinen konzentriert.

SZ: In der Rückschau wirkt es so, als sei der Testaufwand, den Sie vor Ihren ersten Winterspielen betrieben, vergleichsweise minimal gewesen.

Maier: Der Aufwand hat sich enorm gesteigert. Ganz früher hatte ich fast kein Material - Russen und Senegalesen hatten besseres Zeug als ich, bevor ich in den Weltcup kam. Dann bekam ich meine Grundausstattung, hatte ein, zwei Paar Schuhe. Darauf hat man sich einstellen können - teilweise perfekt. Nach meinem Unfall habe ich gemerkt, dass ich irgendwas ändern muss.

SZ: Weil Sie nicht mehr der Alte waren, oder weil sich inzwischen auch die Skitechnik geändert hatte?

Maier: Beides. Ich habe früher mehr Spielraum gehabt durch meine engen Radien. Da, wo andere nicht mehr rumkamen, bin ich immer noch eine fesche Kurve gefahren. Dann wurde das Material so verändert, dass eigentlich jeder eine Kurve fahren kann. Das Fahren wurde einfacher, das Gewinnen schwieriger.

SZ: Nervt der gestiegene Aufwand - das geht doch von der Trainingszeit ab?

Maier: Das Testen kostet sehr viel Energie. Früher musste ich keinen Aufwand betreiben, da bin ich in meine Ski gestiegen und losgefahren. Aber ich muss es machen wegen der Folgen meines Unfalls. Das Problem ist, dass man meine Beine links und rechts nicht mehr vergleichen kann. Links passt ein Skischuh schnell mal, rechts brauche ich viel mehr Platz drin. Da einen Ausweg zu finden, war mühsam. Aber wenn es dann passt, ist es umso schöner, weil man weiß: Es ist nicht mehr irgendwie vom Himmel gefallen wie früher, sondern man hat hart dafür gearbeitet. Früher ging es ja fast nur noch um meine Vorsprünge, und wenn ich im Super-G mit weniger als einer Sekunde führte, war ich enttäuscht. Jetzt ist es anders. Das Handicap nach einem Unfall wie meinem zieht sich durch alles durch.

SZ: War die Überwindung dieses Handicaps der entscheidende Antrieb für Ihre zweite Karriere?

Maier: Der Antrieb ist das Wissen, dass man immer noch was verbessern kann. Früher musste ich nur ins Ziel kommen, da war ich eins mit dem Material, als seien die Ski nur Verlängerung meiner Füße - alles war eine Einheit, alles hat hundertprozentig gestimmt. Da haben auch Gefühl und Kraft zusammengepasst, das passt jetzt manchmal nicht.

SZ: Nie zuvor und danach zeigten Sie so viel Gefühl wie nach Ihrem Comeback-Sieg 2003 in Kitzbühel. War das der emotionalste Moment Ihrer Karriere?

Maier: Die unmöglichsten Siege sind die schönsten - wie mein erster im Weltcup, Garmisch 1997 mit der Schiene an der Hand, die ich mir in Chamonix gebrochen hatte. Dann der Super-G in Nagano nach dem Sturz, unglaublich. Und eben das Comeback in Kitz. Das macht die Karriere einzigartig. Aber ich glaube, dass man das erst merkt, wenn die Karriere vorbei ist. Jetzt geht's ziemlich schnell dahin, aber es gibt immer noch diese Glücksmomente.

SZ: Haben Sie noch Schwierigkeiten mit dem Rummel?

Maier: Große Probleme hatte ich noch nie damit, weil das einfach verschiedene Sachen sind, der Sport und die anderen Verpflichtungen. Man ist bei öffentlichen Auftritten ein Anderer als im Privaten und dann noch mal anders als Rennfahrer, wenn man am Start steht. Ich habe immer den Fokus gehabt dafür, was für mich das Wichtigste ist.

SZ: Sie werden im Dezember 34, spüren Sie das Alter?

Maier: Ich habe mich schon mal älter gefühlt - 1999 kam ich mir vor wie 45. Den Verschleiß spüre ich umso mehr, je weniger ich tue. Bei Kapitalstürzen in Neuseeland und Kranjska Gora bin ich glücklich davongekommen und kann sagen: Zur Zeit fehlt nichts Gravierendes.

SZ: Und Sie haben neue Pläne?

Maier: Irgendwann überlegt man sich, ob man weitermacht oder nicht. Ich mache jetzt erstmal bei meinen zweiten Winterspielen mit. Einige hatten das Glück, dass durch die Umstellung des Sommer-Winter-Zyklus in zwei Jahren zweimal Olympia nacheinander war, 1992 Albertville, 1994 Lillehammer. Dadurch erleben viele meiner Kollegen schon ihre vierten Olympische Spiele. Ich dagegen muss schauen, dass ich überhaupt zwei zusammenkriege.

SZ: Immerhin haben Sie schon beim ersten Mal zwei Goldmedaillen gewonnen - wie bei Ihren ersten Weltmeisterschaften 1999 in Beaver Creek und Vail.

Maier: Das ist für mich auch wichtig. Wenn man im Weltcup alles gewinnt, aber einem die anderen Sachen abgehen - Weltmeister, Olympiasieger -, ist das unbefriedigend. Unglaublich, dass das ein Mann wie Luc Alphand nie geschafft hat, der zu seiner Zeit der überlegene Abfahrer war. Man braucht Glück, um eine Karriere mit Olympiagold zu krönen, aber man kann es auch beeinflussen: Man muss voll da sein im entscheidenden Moment. Trotzdem kann es vorkommen, dass ein dominanter Mann wie Alphand keinen großen Titel gewinnt und vielleicht sogar ohne Medaillen bleibt, und bei anderen, die im Weltcup nicht tonangebend waren, geht sich's bei Großereignissen aus mit den Erfolgen.

SZ: Denken Sie an jemanden im Speziellen, vielleicht an Frank Wörndl: kein Weltcupsieg im Slalom, dafür Weltmeister 1987 und Olympia-Zweiter 1988?

Maier: Die Deutschen sind in dieser Hinsicht sehr talentiert: Vergangenes Jahr in Bormio wurden sie einfach Mannschafts-Weltmeister. Dafür werden wir 2008 Fußball-Europameister. Allerdings - wenn die österreichischen Kicker das schaffen, dann fahre ich bei den Olympischen Spielen in Salzburg auch noch mit. 2014, wenn wir sie kriegen.

© SZ vom 8.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: