Zum Tod von Hans Günter Winkler:Der goldene Reiter

Er war der beste Springreiter der deutschen Sportgeschichte, jetzt ist Hans Günter Winkler mit 91 Jahren gestorben. Weltberühmt wurde "HGW", als Halla, die Wunderstute, den verletzten Reiter 1956 zum Doppel-Olympiasieg trug.

Nachruf von Gabriele Pochhammer

Ein kleines Turnier in Westfalen, im Frühjahr 2018. Auf einer schmalen Bank am Rande des Parcours sitzt ein alter Herr, tief in sich gebeugt. Es ist Hans Günter Winkler, fünffacher Springreiter-Olympiasieger, 91 Jahre alt. Neben ihm steht sein letzter Schüler, Andreas Ostholt, der eines von Winklers jungen Pferden reitet. "Man muss sehen, dass man unter Leuten bleibt", sagt Winkler. Unter Leuten und unter Pferden. Ein paar Wochen später fällt er nach einem Herzstillstand ins Koma, aus dem er nicht mehr erwacht. In der Nacht zum Montag verstarb er in einem Warendorfer Krankenhaus.

Hans Günter Winkler, HGW, war schon zu Lebzeiten eine Legende. Er wusste, dass sein Tod eines Tages in der Tagesschau vermeldet würde, der Gedanke missfiel ihm nicht. Der Tag, der ihn unsterblich machte, liegt 62 Jahre zurück. Olympische Springprüfung in Stockholm. Dorthin waren die Reitwettbewerbe ausgelagert worden, weil die Pferde wegen der australischen Seuchenbestimmungen nicht nach Melbourne reisen durften. Die deutschen Reiter greifen nach Gold, Winkler und seine "Wunderstute" Halla bleiben ohne Abwurf, bis der Reiter vor dem letzten Sprung laut aufschreit und sich schmerzerfüllt krümmt. Ein Leistenbruch wird diagnostiziert - in Wirklichkeit war es ein Muskelriss - der Start im zweiten Umlauf erscheint ausgeschlossen. Mit einer hilfreichen Mischung aus Kaffee und Morphiumspritzen, so hat er das selbst mal beschrieben, gelingt das Unmögliche: ein Nullfehlerritt, der ihm und dem deutschen Team den Olympiasieg sichert. Halla hat fast alles alleine gemacht - und Winklers große Leistung bestand darin, sie trotz höllischer Schmerzen nicht zu stören, sondern ihr lediglich die grobe Richtung zu weisen. Sein Verdienst war natürlich auch, diese schwierige, übersensible Stute durch jahrelange Arbeit auf seine Seite gebracht zu haben. Sonst hätte das in Stockholm wohl so nicht funktioniert.

Hans Günter Winkler Nachruf

Das berühmteste Doppel des deutschen Sports: Hans Günter Winkler mit seiner Wunderstute Halla.

(Foto: dpa)

Obwohl Winkler damals bereits zweimal Weltmeister war, machte ihn erst der Olympiasieg zum Helden, vergleichbar mit den Fußballweltmeistern von 1954. Er stand für den Aufbruch in eine neue Zeit, in der sich die Deutschen nach dem verlorenen Krieg Erfolge und Selbstachtung zurück wünschten. Der Sohn eines Reitlehrers stand auch für den Wiederaufbau, hatte bewiesen, dass man alles schaffen kann, wenn man nur hart genug arbeitet, wenn man wirklich will. Ohne Ausbildung, ohne Geld stand Winkler nach dem Krieg vor dem Nichts, wie Millionen andere Deutsche auch. Das Einzige, was er konnte, war reiten, und so schlug er sich als Reitlehrer bei den US-Besatzungskräften durch, bekam allmählich bessere Pferde und wurde schließlich ans Deutsche Olympiade Komitee für Reiterei (DOKR) in Warendorf gerufen. Da war ihm von dem verzweifelten Züchter Gustav Vierling schon Halla anvertraut worden, "die verrückte Ziege", die keiner reiten wollte. Der Rest ist Geschichte.

Wenn er auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn hätte aufhören sollen, "dann hätte ich nach Stockholm Schluss machen müssen", sagte Winkler gelegentlich. Er ritt noch 30 Jahre lang weiter, gewann in dieser Zeit weitere drei olympische Goldmedaillen, einmal Silber und einmal Bronze und war bis zum sechsten Gold von Reiner Klimke in Seoul 1988 der olympisch erfolgreichste Reiter aller Zeiten. Er wurde auch Europameister und gewann dreimal den Großen Preis von Aachen. Ein Pferd wie Halla, mit der er in Rom 1960 sein drittes Olympiagold holte, bekam er nie wieder, diese Ausnahmestute würde auch im heutigen Sport noch bestehen. Vor der Verbandszentrale in Warendorf steht ihr bronzenes Abbild.

Hans Günter Winkler Nachruf

1956 trug Halla ihren damals verletzten Reiter ohne Fehler zum Olympiasieg.

(Foto: dpa)

Beim Mannschaftsgold in Tokio 1964 saß er auf Fidelitas, bei der Bronzemedaille in Mexiko auf Enigk, beim Mannschaftsgold in München 1972 auf Torphy. In den Wochen zuvor hatte er zum ersten Mal Gegenwind gespürt, von einer neuen Reitergeneration, die nicht länger hinnehmen wollte, dass der Altmeister quasi immer als gesetzt galt. Unter der Führung des jungen Paul Schockemöhle probten sie den Aufstand und erreichten, dass HGW in München nur im Team starten durfte. Aber auch vier Jahre später, beim Mannschaftssilber in Montreal 1976 war er erneut dabei, wieder auf Torphy. Als er sich in Aachen 1986 vom aktiven Sport verabschiedete, kannte jedes Kind in Deutschland seinen Namen, kein Reiter hat nach HGW einen ähnlichen Bekanntheitsgrad erreicht.

Und den setzte Hans Günter Winkler in den kommenden Jahren zum Wohl seines Sportes ein. Sein Name öffnete ihm Türen auf Vorstandsetagen, die anderen verschlossen blieben. Er warb Sponsorengelder ein, gründete eine eigene Agentur, wurde Turnierveranstalter und Förderer des reitenden Nachwuchses.

Er schuf das Nachwuchschampionat, bei dem junge Reiter mit Stilnoten bewertet werden, nicht nach Tempo. Beim von ihm ins Leben gerufenen "Goldenen Sattel" treten die vier besten jungen Springreiter gegeneinander an und tauschen auch ihre Pferde, wie bisher beim WM-Finale. Winkler hatte strenge Vorstellungen, wie gutes Reiten aussehen soll. Was er selbst bei seinem Vater gelernt hatte, gab er an seine Schüler weiter, ohne die heute angesagte Rücksicht auf zarte Reiterseelen. Wer nicht spurte, musste schon mal zur Strafe die Stallfenster putzen, Hindernisstangen stemmen oder vor seinen silbernen Trophäen knien.

Hans Günter Winkler Nachruf

In seinen letzten Lebensjahren pflegte Winkler immer noch die Erinnerung an sein Pferd.

(Foto: dpa)

Neben den Ehrenämtern, die der Reitsport für ihn bereit hielt, unter anderem als Equipechef der Olympischen Spiele in Seoul 1988, führte Winkler in Warendorf mit seiner vierten Ehefrau, der US-Amerikanerin Debbie geb. Malloy, einen Turnierstall. Ein letzter großer Schicksalsschlag ereilte ihn, als seine Frau 2011 bei einem Sturz vom Pferd tödlich verunglückte. Seitdem ist der Vielseitigkeitsreiter Andreas Ostholt auf Winklers Reitanlage zuhause, arbeitete eng mit dem Altmeister zusammen. "Er gehörte zu unserer Familie", sagt Ostholt. In Warendorf werden sie ihm einen großen Abschied bereiten. Einem Mann, der nicht nur für seinen eigenen Erfolg gelebt hat, sondern im deutschen Springsport Zeichen gesetzt hat, die nicht so schnell verblassen werden.

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