Hannover 96:Machtloser Verkehrspolizist

Hannover 96 - FC Augsburg

Noch hat er das Sagen in Hannover: Thomas Schaaf (rechts).

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Nach der fünften Niederlage in Serie unter Trainer Thomas Schaaf bereitet sich Hannover 96 allmählich auf den Bundesliga-Abstieg vor.

Von Jörg Marwedel, Hannover

Ein verzweifelter Fußball- trainer bleibt selten auf seiner Bank sitzen und lässt die schreckliche Darbietung seiner Mannschaft klaglos über sich ergehen. Der Fußballtrainer Thomas Schaaf, 54, versuchte am Sonntagabend beim 0:1 von Hannover 96 gegen den FC Augsburg seine Hilflosigkeit damit zu überspielen, indem er wie ein Verkehrspolizist probierte, seine Profis mit wilden Armbewegungen zu dirigieren. Zusätzlich spielte er auch noch den Balljungen, damit ja nicht eine Sekunde verloren gehe nach dem frühen 0:1 durch Augsburgs Ja-Cheol Koo in der 14. Minute. Und als das alles nichts genutzt hatte und Schaaf nach der achten Hannoveraner Niederlage nacheinander (der fünften unter seiner Regie) gefragt wurde, was er denn noch tun könne, etwa ein Trainings- lager unter der Woche, da erwiderte er: Es gebe "genügend Dinge, die man aktivieren könnte, um den Kopf frei zu machen".

Gefunden hat der einstige Meister- trainer Schaaf diese Dinge offenbar noch nicht. Er ist in diesen Tagen nicht nur ein machtloser Verkehrspolizist, sondern auch ein ziemlich einflussloser Psychologe, der nach angeblich guten Trainings- tagen einräumte, der sonntägliche Vortrag habe so gar nicht "gepasst zu dem, was wir unter der Woche erleben". Das könne er nicht schönreden. Ein anderer Zeuge der Partie, Augsburgs Torwart Marwin Hitz, fand klarere Worte. Er wisse nicht, ob man das sagen dürfe, schickte er vorweg, aber er habe "selten ein schlechteres Bundes- ligaspiel gesehen". Den größten Anteil daran hatten ohne Zweifel die Gastgeber, die die Planungen für den Abstieg aus der ersten Bundesliga allmählich vorantreiben.

Wie viele Fans nicht mehr an den Klub glauben, konnte man auf der Westtribüne der Arena begutachten. Die rotgemalten Buchstaben "Hannover 96" sind dort nur erkennbar, wenn keine Menschen anwesend sind. Am Sonntag waren erstmals seit langer Zeit wieder die Buchstaben "HAN—V---9" sichtbar, mit 32 400 Zuschauern waren so wenige Leute gekommen wie seit Jahren nicht. Abgesehen von den üblichen "Kind-muss- weg"-Sprechchören gegen den Präsidenten Martin Kind zieht man sich offenbar zunehmend in die Vergangenheit zurück: "38, 54, deutscher Meister HSV", hallte es durchs Rund - so wie beim ungeliebten Rivalen Eintracht Braunschweig, wo regelmäßig die Meisterschaft von 1967 gefeiert wird. Geschäftsführer Martin Bader räumte ein, "es wäre fatal, wenn wir uns nicht mit der zweiten Liga befassen würden". 90 Prozent der Spielerverträge würden auch dort gelten. Der Kontrakt von Thomas Schaaf dagegen ist nur dann bis 2017 gültig, wenn der Klub die Mitgliedschaft in der ersten Liga wahrt. Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, dass der einstige Werder-Trainer, der derzeit selbst "wenig Hoffnung" hat, auch den Neuaufbau begleitet. Er werde jedenfalls nicht hinschmeißen, erklärte Schaaf am Montag: "Das ist nicht vorgesehen in meinem Programm", sagte er.

Auch Kind ist sicher, bald "einen geeigneten Zeitpunkt zu finden" für ein Gespräch zwecks einer Weiterverpflichtung. Denn Schaaf hat sich trotz der unerfreulichen Resultate positiv über seine Mitstreiter geäußert. Er beschrieb die Zusammenarbeit mit Klubchef Kind und Bader als "höchst anständig und seriös. So ein Arbeitsfeld, dass wir gemeinsam etwas verfolgen und das auch in den Vordergrund stellen, ist für mich ein ganz wichtiger Punkt".

Und die kritischen Punkte? Die Zeitschrift Sport Bild hatte zuletzt 35 Gründe für den Absturz des ehemaligen Europa-League-Teilnehmers zusammengetragen, aber es reicht schon, wenn man Kinds jüngste Fehlgriffe beim Geschäftsführer (Dirk Dufner) und Trainer (Michael Frontzeck) zur Sprache bringt. Die Spielerverpflichtungen des Duos im Sommer 2015 förderten maßgeblich den Zerfall. Auch die sechs Zugänge, die Bader und Kaderplaner Christian Möckel im Winter anheuerten (zum Teil mit Schaafs Einverständnis), haben noch nicht eingeschlagen. Gegen Augsburg stand nur Verteidiger Alexander Milosevic in der Startelf. Nach der Pause durfte noch Hugo Almeida auflaufen. Doch der Stürmer, der zusammen mit dem zuvor drei Monate verletzten Regisseur Hiroshi Kiyotake in die Elf rückte, fiel nur dadurch auf, dass er Gegenspieler Dominik Kohr in der 73. Minute einen Schlag mit dem Ellenbogen versetzte. Nun ermittelt das Sportgericht wegen "krass sportwidrigen Verhaltens".

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