Hannover:Geländeritt ins Nichts

GER, 2.FBL, Hannover 96 vs TSV 1860 Muenchen

Gemeinsame Freude sieht bei anderen anders aus: Hannovers neuer Sportdirektor Horst Heldt und der gefährdete 96-Trainer Daniel Stendel.

(Foto: Ewert/nordphoto)

Null-Bekenntnis: Der neue Sportdirektor Horst Heldt windet sich in der Debatte um den seit Wochen in der Kritik stehenden Trainer Daniel Stendel.

Von Thomas Hahn, Hannover

Besonders heikel war die Frage nach den Chören. Denn der Gesang der Hannover-96-Fans besagte nach dem mühseligen 1:0-Heimsieg über den abstiegsbedrohten Zweitliga-Konkurrenten 1860 München, dass Trainer Daniel Stendel "der beste Mann" sei. Natürlich wollte sich Hannovers neuer Sportdirektor Horst Heldt diesem Urteil nicht verschließen. Der Fan ist König, klar. Wenn der Fan meint, Daniel Stendel sei der beste Mann, dann ist das so. Auch wenn es vielleicht doch nicht so ist, wofür Heldt in den ersten Tagen seines Wirkens in der niedersächsischen Hauptstadt offensichtlich auch schon Argumente gesammelt hat.

Jedenfalls legte Heldt einen rhetorischen Geländeritt hin, in dem er irgendwie beides versuchte: den Fans sowohl Recht zu geben, als auch ihnen zu sagen, dass Daniel Stendel keineswegs der beste Mann sei: "Ich empfinde es so, dass die Fans die Mannschaft und uns alle begleiten und unterstützen", sagte er. Nächste Woche werde vielleicht wieder ein anderer Name gerufen, überhaupt: "Es tut gut, Anerkennung zu bekommen." Entlastende Worte für den umstrittenen Coach: null.

Hannover 96 arbeitet gerade an seiner Rückkehr in die Bundesliga. Der Abstieg in der vergangenen Saison ist als Irrtum der Fußballgötter verbucht, der Blick nach vorne gerichtet. Der geldmächtige Vereins-Übervater Martin Kind nennt den sofortigen Wiederaufstieg "alternativlos". Und in seiner Wahl der Mittel ist er nicht zimperlich. Krisen sind verboten, Formschwankungen ein Entlassungsgrund. Hannover lag am 18. Spieltag noch auf Rang eins. Danach setzte es ein paar Niederlagen, die den Klub auf Platz drei zurückwarfen und Kinds Ehrgefühl verletzten. Genauer gesagt setzte es zwei Niederlagen, ein 1:4 in Fürth und ein 0:2 in Karlsruhe am vorvergangenen Samstag - wobei letzteres in Tateinheit mit einem Heim-2:2 gegen Arminia Bielefeld zuvor zu betrachten war.

Eine Überdosis 96-Dusel rettete den 1:0-Sieg gegen 1860 München

Kind sah sich zu einem ersten Eingriff veranlasst: Geschäftsführer Martin Bader und der Sportliche Leiter Christian Möckel mussten gehen. Am Montag nach dem Reinfall in Karlsruhe präsentierte Kind mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder die Hauptfigur seiner "Neuausrichtung" mitten in der Saison: eben Horst Heldt, den neuen Sportdirektor.

Früher war Heldt Nationalspieler, dann als junger Manager Meister mit dem VfB Stuttgart (2007), später als immer noch junger Manager Pokalsieger mit Schalke 04 (2011). Mittlerweile ist Heldt kein junger Manager mehr, sondern 47 Jahre alt, ein Mann des Establishments, der sich im Laufe seiner Tätigkeit bei Schalke bis zum Abschied im vorigen Sommer durch zahlreiche Trainerdebatten gewunden hat. Das umständliche Nichtssagen hat er dabei zu einer Stilform veredelt, die man als Heldtsches Null-Bekenntnis bezeichnen könnte. Und genau solche Reden hat er auch am Samstag bei seinem ersten Spiel in neuer Verantwortung gehalten. Denn eine Neuausrichtung ohne Trainerwechsel ist doch keine echte Neuausrichtung. Oder?

Coach Daniel Stendel, 42, steht seit Wochen in der Kritik. Sein bester Stürmer, der Österreicher Martin Harnik, sagt: "Ich glaube, er hat den schwersten Job der Liga zur Zeit." Stendels Mission ist fast unmöglich. Er soll in einer Liga mit einem anderen gekränkten Großklub (Stuttgart), einem berauschten Kiez-Ensemble (Union Berlin) und wehrhaften Saison-Endspurtern aus dem Tabellenkeller einen ungetrübten Triumphmarsch zurück in die Bundesliga bewerkstelligen. Ein Fußballweltmann mit klarer Autorität könnte das vielleicht schaffen, Stendel allerdings war im vergangenen Jahr um diese Zeit noch U19-Trainer. Chefcoach wurde er am Ende der vergangenen Saison als Ablöse für Thomas Schaaf. Er weckte damals noch mal ein paar Geister vor dem endgültigen Abstieg. Er galt als Lichtblick in düsteren Zeiten.

Aber jetzt, da es gilt, vor einem reichen Ehrgeizling wie Martin Kind den Hannoverschen Bundesliga-Anspruch zu vertreten, ist die Kraft des Neuen verraucht. Stendel wirkt zu brav, zu blass, zu bieder. Und genauso spielt seine Mannschaft. Gegen 1860 München gewann sie nur, weil Torwart Philipp Tschauner auf dem Posten war und Martin Harnik Hannovers einzige echte Torchance verwertete (55.). "Das Quäntchen Glück", von dem Stendel sprach, war in Wirklichkeit eine Überdosis 96-Dusel. Und Stendels Lobreden auf Teamgeist und Einsatzwille klangen wie Hymnen auf die Selbstverständlichkeit: "Mir ist wichtig, dass wir alles dafür tun, um erfolgreich zu sein", sagte er, "wer das nicht gesehen hat, der war heute nicht im Stadion." Naja.

Horst Heldt hielt seine Null-Bekenntnisse. Rauswürfe und Siege passen nicht zusammen. Am nächsten Samstag auf St. Pauli sitzt Stendel deshalb wohl noch auf der Bank. Wie lange das so bleibt? Ungewiss. "Fußball ist halt auch Tagesgeschäft", sagte Heldt, "es bleibt dabei, dass es darum geht, aufzusteigen und sich tagtäglich neu zu überprüfen." Er gab keine falschen Versprechungen. Heldts Reden zur Trainerfrage waren so vage, dass sie schon wieder klar waren: Der Cheftrainer Daniel Stendel kann in Hannover jederzeit seinen Job verlieren.

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