Hannover 96:Dynamik des Misserfolgs

Hannover 96 - 1899 Hoffenheim

Heimliches Ziel Europa, nun in der Abwärtsspirale verfangen: Hannover 96 mit Christian Schulz droht gegen Wolfsburg der nächste Nackenschlag.

(Foto: Peter Steffen/dpa)

Der Niedergang der Niedersachsen in der Bundesliga-Tabelle kennt eine Parallele: Auch Eintracht Frankfurt stürzte in der Saison 2010/11 nach einer ähnlich starken Hinrunde ähnlich spektakulär ab.

Von Jörg Marwedel, Hannover

Die Saison 2010/2011 ist Heribert Bruchhagen noch gewärtig, obwohl Sportler Misserfolge umgehend vergessen wollen. 26 Punkte hatte Eintracht Frankfurt in der Hinserie erwirtschaftet, lag auf Tabellenplatz sieben, hatte in Theofanis Gekas (14 Treffer) den besten Liga-Schützen in den Reihen. Auch der Vorstandsvorsitzende Bruchhagen schielte zu den Europa-League-Plätzen. Und dann? "Begann die Eigendynamik des Misserfolges" - die mit dem Abstieg endete. Sieben Spiele vor Saisonschluss entließ Trainerfreund Bruchhagen erstmals einen Coach. Michael Skibbe wurde durch den vermeintlichen Erlöser Christoph Daum ersetzt - es nutzte nichts.

Bruchhagen würde Skibbe nicht noch mal entlassen

Die Abwärtsspirale, erinnert sich der Klubchef, begann mit den Verletzungen der Schlüsselspieler Alex Meier, Ionnis Amanatidis sowie Chris. Nur sieben Tore und acht Punkte gelangen der Eintracht in der Rückrunde. Gekas steuerte nur noch ein Törchen bei. "Ja", sagt Bruchhagen, "wir fühlten uns lange Zeit zu sicher." Auch er sieht die Parallele zu Hannover 96. Die Niedersachsen hatten nach einer Hinrunde mit 24 Zählern ebenfalls Europa als heimliches Ziel ausgegeben, nun könnten sie nach diesem Wochenende, nach dem viertletzten Spieltag, erstmals einen Abstiegsplatz belegen. Eines würde Bruchhagen nach der Erfahrung von 2011 anders machen: Er würde Skibbe nicht noch einmal entlassen.

Die Trainer-Treue wäre vermutlich auch sein Rat an den 96-Präsidenten Martin Kind gewesen. Doch der hat in seiner Verzweiflung anstelle von Tayfun Korkut den Fünf-Spiele-Coach Michael Frontzeck berufen. Nun droht nach misslungenem Debüt (1:2 gegen Hoffenheim) auch die zweite Partie verloren zu gehen, man muss zum Tabellenzweiten Wolfsburg.

Wehmütige Erinnerung an Sturkopf Schmadtke

Glaubt man 96-Idol Dieter Schatzschneider, hat Kind eher zu viel Geduld gehabt mit Korkut. Dem einstigen Torjäger, mit dem Kind zu jedem Auswärtsspiel gemeinsam fährt, scheint klar zu sein, woran Korkut gescheitert ist. Er habe versucht, aus 96 eine Ballbesitz-Elf wie den FC Bayern zu formen. Diese Spitzenteam-Taktik sollte alte Stärken ersetzen, obwohl man keinen Lewandowski, keinen Robben hat. Die alten Stärken beschreibt Schatzscheider so: "Bissig, schnelles Umschaltspiel, gute Kontermannschaft, gegen die eklig zu spielen ist." Man hätte dieses System nur verfeinern müssen, sagt der als Scout für 96 tätige Ex-Stürmer. Als Korkut das erkannt habe, sei es zu spät gewesen. Da war die Negativ-Spirale längst in Gang gesetzt.

Der Gekas bei Hannover heißt Joselu. Der mit fünf Millionen Euro teuerste Einkauf der Klubgeschichte traf im Herbst immerhin siebenmal, seither nur noch einmal. Auch, weil ihm die Vorlagen fehlten. Dass 96 so große Probleme hat, obwohl man mit elf Millionen Euro so viel wie nie zuvor investierte, könnte auch am Manager liegen. Schatzschneider, der in einer Jury den früheren 96-Geschäftsführer Jörg Schmadtke gerade als Sportchef des 1. FC Köln zum "Manager des Jahres" wählte, vermisst beim Schmadtke-Nachfolger Dirk Dufner jene Sturköpfigkeit, mit welcher Schmadtke einst dem früheren Erfolgstrainer Mirko Slomka Zunder gab. Unter Dufner gäbe es nicht jene kreativen Konflikte, bei denen man sich mal "die Köppe einschlägt". Auch deshalb sind Dufners Tage wohl gezählt.

Präsident Kind, der als Unternehmer laut Bruchhagen "viel mehr Hörgeräte verkauft hätte, wenn er nicht so viel Zeit in 96 gesteckt hätte", hat den Klub zwar zu einem professionellen Konzern umgebaut, doch in der Personalpolitik lag er öfter daneben. Auch den Umgang mit den zuweilen schwierigen Hardcore-Fans bekam er lange nicht hin, obwohl er das Thema zur Chefsache machte. Erst ein neuer Fanbeauftragter und öffentliche Selbstkritik haben die Ultras, die sich gern am Investor Kind abarbeiten, erstmals in dieser Saison gegen Hoffenheim zurück ins Stadion gelockt. Die Profis litten lange unter fehlender Zuneigung von der Tribüne. "Die Fans vergessen", sagt Schatzschneider: "Die Mannschaft braucht mehr Hilfe als Martin Kind." Der komme "schon alleine zurecht".

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