Hannover 96:Bilder des Jammers

Fussball 1. Bundesliga /  Hannover 96 - SV Werder Bremen

Als wäre die Saison schon vorbei und 96 abgestiegen: Hannovers Kapitän Lars Stindl leidet nach dem 1:1 gegen Werder Bremen.

(Foto: Jan Kuppert/Sven Simon)

Erneut entgeht Hannover 96 der Lohn für eine engagierte Leistung - nach dem 1:1 gegen Werder Bremen wird das Gefühl vermittelt, bereits abgestiegen zu sein.

Von JÖRG MARWEDEL, Hannover

Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn Hannover 96 nach dem letzten Saison-Heimspiel gegen den SC Freiburg wirklich abgestiegen wäre. Schon an diesem Wochenende wirkte es ein bisschen so - und das, obwohl die Elf "seit drei Wochen alles auf den Platz bringt, was sie kann", wie Trainer Michael Frontzeck findet. Doch auch das reichte nur zum 1:1 (1:0) gegen den Nordrivalen Werder Bremen. Die Liste der sieglosen 96-Spiele ist auf 16 Partien am Stück angewachsen. Die Spieler legten sich ausgepumpt auf den Rasen, kurz danach klackerten die Stollen schwermütig die Treppen zu den Kabinen hoch. Man sah Zuschauer, die ins Leere starrten, manche weinend. Einige resümierten schon bitter, 13 Jahre am Stück sei ihr Klub vorher nie in der Bundesliga gewesen - nun sei diese Phase eben vorbei. Kapitän Lars Stindl fand nur ein Wort: "Brutal."

Schuld war jene 78. Minute, in der Zlatan Junuzovic, der Werder-Spezialist für präzise Freistöße, das meiste von dem zunichte machte, was die verdient führenden Hannoveraner (seit der 21. Minute hieß es 1:0 durch Stindl nach Kopfball-Vorlage des aufgeweckten Jimmy Briand) bis dahin geboten hatten - nämlich ein Spiel, das zumindest zuweilen an alte Europa-League-Zeiten erinnerte. Doch dann hatte sich Marcelo offenbar darauf verlassen, dass Kollege Miiko Albornoz den Ball vor Davie Selke wegspitzeln würde. Als das nicht passierte, griff er so ungeschickt ein, dass Schiedsrichter Deniz Aytekin pfiff. Clemens Fritz soufflierte Junuzovic, es werde "mal wieder Zeit" mit einem direkt verwandelten Freistoß. Und "unsere Riesenwaffe" (Werder-Trainer Viktor Skripnik) setzte den Wunsch des Werder-Kapitäns sofort um.

Von Junuzovic' halb abgewinkeltem Spann flog die Kugel direkt in den Winkel. Hannovers Nationaltorwart Ron-Robert Zieler kam ebenso wenig an den Ball wie Edgar Prib, der sich aus der Abwehrkette Richtung Torlinie gelöst hatte, um mit dem Kopf zu klären. Auch wenn Zieler später behauptete, Pribs Versuch habe ihn nicht behindert, blieb es eine kuriose Szene. Der Ball schlug im Torwinkel ein, und die beiden machtlosen Hannoveraner gingen gemeinsam zu Boden - ein Bild des Jammers. Es war Junuzovic' fünfter direkt verwandelter Freistoß in dieser Saison. Er wird sich in den letzten beiden Saisonspielen einen Zweikampf der ruhenden Bälle liefern mit dem Leverkusener Hakan Calhanoglu, der es bislang ebenfalls auf fünf Kunstschüsse gebracht hat.

Am Ende muss Hannover über den einen Punkt sogar froh sein

Psychologe Frontzeck hatte viel Verständnis für die niedergeschlagenen Profis und Zuschauer. "Wenn man einmal den Kopf herunternimmt, ist das gestattet", sagte er, "aber ab morgen muss man wieder den Kopf hochnehmen und sich auf das Spiel in Augsburg vorbereiten." Das wird natürlich immer schwerer, denn schon gegen die Bremer haben sie alles aus sich herausgeholt. Werder-Geschäftsführer Thomas Eichin, der von der schlechtesten ersten Halbzeit seines eigenen Teams in dieser Saison sprach, beschrieb es so: "Wenn man das Messer am Hals hat, wird jeder Grashalm umgegraben." Das haben die Hannoveraner gemacht, aber eben nicht 90 Minuten lang. Das wäre wohl auch unmenschlich gewesen.

Menschlicher und ergiebiger wäre das, wonach 96-Coach Frontzeck lechzt: nämlich einmal das Gegenteil von dem zu erleben, was er nun seit drei Wochen erlebt. Er hoffe, dass er bald einmal "hier sitze und wir nach einem schlechten Spiel drei Punkte geholt haben". Was nützt es schon, wenn der Gegner erst in der 61. Minute den ersten Eckball zugesprochen bekommt, in 90 Minuten kaum eine Chance erspielt und man während der gesamten Saison nie so schlecht gespielt hat wie zuweilen der Hamburger SV oder Hertha BSC.

Kurios genug: Am Schluss hätte es für die angeknockten 96er noch schlimmer kommen können. Denn acht Minuten nach dem Ausgleich durfte Junuzovic noch einmal den ruhenden Ball aus gut 24 Metern aus Tor zirkeln. Es habe sich noch besser angefühlt als beim ersten Versuch, sagte er. Doch diesmal flog die Kugel um Haaresbreite am linken Torpfosten vorbei. Und in der Nachspielzeit tauchte Fritz noch einmal gefährlich vor dem 96-Tor auf, doch Zieler verkürzte gut den Winkel. Aber ein Werder-Sieg, befand auch Skripnik, wäre dann doch ein wenig zu viel gewesen. "Ich bin froh, dass wir nicht da sind, wo es jetzt so heiß ist im Tabellenkeller. Das ist Wahnsinn, was da los ist", sagte der Bremer Trainer.

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