Handball-WM:Sigurdsson zieht den Joker Glandorf

Holger Glandorf

Holger Glandorf (l) ist wieder dabei. Deutschlands Handballer freuen sich über einen starken Werfer.

(Foto: dpa)
  • Deutschlands Handballer kämpfen sich bei der WM gegen Weißrussland zum vierten Sieg - jetzt kehrt auch noch ein alter Bekannter zum Team zurück.
  • Er kommt direkt vom Sofa.

Von Joachim Mölter, Rouen

Kai Häfner hatte bislang in der deutschen Handball-Nationalmannschaft eine Sonderstellung, er war ein Solitär, ein Einzigartiger. Bundestrainer Dagur Sigurdsson hatte bis zum Weißrussland-Spiel am Mittwoch in seinem WM-Kader alle Positionen doppelt besetzt, so wie es allgemein üblich ist: vom Torwart bis zum Linksaußen - nur die Planstelle im rechten Rückraum nicht. Die hatte Häfner, der Linkshänder, in den ersten vier Vorrundenspielen ganz für sich allein.

Glandorf ist immer noch der Energiespender der SG Flensburg

Bis zu diesem Donnerstag. Denn dann greift jene Überraschungs-Personalie, die keine Überraschung mehr ist. Bundestrainer Dagur Sigurdsson zieht seinen Joker. Holger Glandorf, der Weltmeister von 2007, der 2014 eigentlich schon zurückgetreten war, wird aktiviert. Er verlässt sein Sofa im heimischen Flensburg, um voraussichtlich schon im letzten und wegweisenden Vorrundenspiel an diesem Freitag gegen Kroatien zumindest auf der Bank zu sitzen. Dieser Transfer wird möglich, weil Sigurdsson von einer Spezialregel ("Late entry") Gebrauch macht: Er hatte einen Platz frei gelassen, erst durch Glandorfs Erscheinen am Spielort Rouen wird der deutsche 16er-Kader komplett.

Die Mannschaft fürchtet nun nicht etwa neue, interne Konkurrenz, im Gegenteil. "Es wäre ein bisschen schwierig, wenn wir mit nur einem Linkshänder im Rückraum das ganze Turnier gespielt hätten", sagte der Gummersbacher Julius Kühn, der sich mit dem Berliner Paul Drux die Planstelle auf der gegenüberliegenden Seite teilt, im linken Rückraum. Bislang hatte zu Sigurdssons Masterplan für die WM gehört, Häfner, den Solisten, nur behutsam einzusetzen. Beim Auftaktsieg gegen Ungarn (27:23) durfte der 27-Jährige auf der Bank Luft holen, sobald die Deutschen in der Defensive waren.

Und gegen die Außenseiter Chile (35:14) und Saudi-Arabien (38:24) war sein Mitwirken auch im Angriff nicht zwingend notwendig, da nahmen Simon Ernst (Gummersbach) oder Niclas Pieczkowski (Leipzig) gelegentlich seinen Platz ein. Zwei Rechtshänder, die auf der Linkshänder-Planstelle aushalfen. Nun kommt eine Stammkraft, Glandorf, 33, immer noch Energiespender beim Bundesliga-Tabellenführer SG Flensburg. Eigentlich schon zurückgetreten mit der Begründung, die Strapazen seien zu groß.

Ein Phantom materialisiert sich

Weil aber zwei seiner Nachfolger, die 2016er-Europameister Steffen Weinhold (Kiel) und Fabian Wiede (Berlin) für die WM verletzt absagten, erklärte er sich zum Notfall-Einsatz bereit. Im letzten WM-Test, beim 33:16 gegen Österreich, gab Glandorf ein 20-minütiges Comeback, dann kehrte er nach Flensburg zurück - und wartete auf den Anruf aus Frankreich. Dort war täglich damit gerechnet worden, dass Sigurdsson seinen "Plan G" aktiviert, dass sich das Phantom Glandorf materialisiert und erscheint wie ein Heilsbringer.

"Wir wissen, dass er keine zehn Spiele binnen drei Wochen mehr schafft, das müssen wir respektieren", sagt Sigurdsson zunächst angesichts von Glandorfs langer Leidensgeschichte. Wegen einer Entzündung der linken Achillessehne, die insgesamt drei Operationen nach sich zog, drohte dem Profi im Jahr 2012 bereits das Karriereende; im Dezember 2014 riss ihm dann die rechte Achillessehne. Glandorf kann heute nur noch dosiert trainieren und spielen.

Aber "er kann uns sehr weiterhelfen", glaubt Kai Häfner: "Holger ist ein Supertyp, handballerisch wie menschlich. Wir werden ihn herzlich willkommen heißen. Er tut uns sehr, sehr gut." Und auch Julius Kühn bestätigt: "Jeder freut sich, wenn Holger kommt." Beim gemeinsamen Training vor dem Turnier habe man bereits gespürt, "dass er unheimlich viel Bock hat, mit uns zusammenzuspielen".

168 Länderspiele, 579 Tore - die Bilanz spricht für sich

Glandorf ist also kein Mann für ein ganzes Turnier mehr, nicht mal mehr für ein komplettes Spiel. Aber er kann der deutschen Auswahl mit seiner Erfahrung aus 168 Länderspielen (579 Tore) durchaus ein paar Minuten geben, wenn es wichtig wird in der K.o.-Runde. Die startet am Sonntag mit dem Achtelfinale, Kai Häfner ist seine Sonderstellung dann los. Er ist nicht traurig, denn Glandorfs Mitwirken erhöht die Titelchance.

Weil der weiß, wie man eine Weltmeisterschaft gewinnt. Er geht jetzt nicht nur in seine fünfte WM, er ist nun der letzte Nationalspieler aus jenem Heiner-Brand-Ensemble, das 2007 in Köln das Turnier gewann. Zehn Jahre später hält Glandorf noch einmal die Knochen hin, und die haben schon so viel aushalten müssen wie bei kaum einem anderen Spitzensportler in diesem Land.

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