Handball-WM:Sigurdsson löst Probleme, wo sie aufpoppen

Germany Training Session - 25th IHF Men's World Championship 2017

Dagur Sigurdsson: Mit der DHB-Auswahl auf letzter Mission in Frankreich

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Mit dieser Qualität führte der Bundestrainer die deutschen Handball-Männer zum EM-Titel - bei der WM sieht er sich vor neuen Herausforderungen. Und nicht als Favorit.

Von Joachim Mölter, Rouen

Die Reise der deutschen Handballer zur Weltmeisterschaft nach Frankreich ging schon mal nicht so reibungslos vonstatten wie man sich das wünscht vor so einem großen Turnier. Erst kamen sie am späten Mittwochabend mit reichlich Verspätung an in ihrem Vorrundenspielort Rouen, nach siebeneinhalb Stunden Fahrt im Bus und anderthalb Stunden Stand im Stau, durch den auch eine Motorradeskorte der französischen Polizei nicht schneller hindurchhelfen konnte.

Dann konnte der doppelstöckige Bus des Deutschen Handballbundes (DHB) seine Passagiere nicht direkt vorm Hotel ausladen, weil eine schmale Straße und eine enge Einfahrt ein längeres Rangieren notwendig gemacht hätten, die Spieler aber dringend noch was essen wollten, ehe die Küche zumachte. Und dann war die Expedition noch nicht einmal vollzählig: Der Teammanager und der Kapitän fehlten.

Gensheimer reiste nach Trauerfall nach

Die beiden kamen immerhin am Donnerstag nach: Der Funktionär Oliver Roggisch brachte den Spieler Uwe Gensheimer aus Mannheim mit, wo dieser die letzten Tage wegen eines Trauerfalls in der Familie verbracht hatte: Sein Vater war überraschend gestorben. "Ich bin jetzt auf dem Weg und werde die WM spielen. Das hätte mein Vater so gewollt", teilte der 30-Jährige mit, der seit dieser Saison für Frankreichs Meister Paris St. Germain aufläuft. Zur Beerdigung in der nächsten Woche wird der Linksaußen noch mal zurückreisen nach Deutschland, aber zumindest für das Auftaktspiel an diesem Freitag um 17.45 Uhr gegen Ungarn steht er Bundestrainer Dagur Sigurdsson zur Verfügung.

Der Isländer ist zum Glück ein großer Pragmatiker, der die Dinge nimmt, wie sie kommen, und die Probleme löst, sobald sie aufpoppen. So schwierig kann eine Situation gar nicht sein, dass er sich davon aus der Ruhe bringen ließe. Vor einem Jahr führte er mit dieser Einstellung eine ersatzgeschwächte, extrem junge Mannschaft zum Gewinn der Europameisterschaft in Polen. Nun sagt er: "Es gibt sowieso keine Chance, eine Vorbereitung zu kopieren, weil sie einmal funktioniert hat. Jedes Turnier ist eine neue Herausforderung, mit anderen Spielern, anderen Gegnern. Wir haben noch mal ganz von vorn angefangen, mit einem leeren Blatt Papier."

Auf dem hat er jetzt 15 Namen stehen, obwohl er mit 16 Mann in die WM gehen dürfte. Aber Sigurdsson hat extra Platz gelassen für einen weiteren Spieler, den er nun benennen kann im Verlauf des Turniers. Und weil er außerdem zwei Spieler austauschen darf, hat er sich die größtmögliche Flexibilität erhalten, um auf alle Eventualitäten reagieren zu können. Dafür geht er das Risiko ein, das Turnier mit nur einem Linkshänder für den Rückraum zu beginnen, dem Hannoveraner Kai Häfner. Den hat Sigurdsson im vorigen Jahr während der EM in Polen kurzfristig nachgeholt für den verletzten Steffen Weinhold. Weil der Kieler diesmal von vornherein fehlt und auch sein Berliner Rückraumkollege Fabian Wiede ausfällt, hat sich der eigentlich seit 2014 zurückgetretene Weltmeister Holger Glandorf bereit erklärt, im Notfall nach Frankreich nachzukommen. Auch für den Flensburger ist die offene Zeile auf dem Meldezettel gedacht.

Ungarn ist für Sigurdsson Favorit im Auftaktspiel

Sigurdsson hat freilich nicht nur den Spieler Glandorf reaktiviert, er hat seit seinem Amtsantritt im Herbst 2014 den ganzen deutschen Männer-Handball reanimiert, der nach drei sportlich verpassten Großereignissen - Olympia 2012, EM 2014 und WM 2015 - schon siechend auf der Intensivstation lag. Unter Sigurdssons Anleitung wurden die deutschen Männer Siebter bei der WM 2015 in Katar (für die sie erst verspätet per Wildcard zugelassen wurden), Erster bei der EM 2016 in Polen und Dritter bei Olympia 2016 in Brasilien. Die WM in Frankreich wird nun Sigurdssons letztes Turnier in Diensten des DHB sein, danach wechselt er zum kommenden Olympia-Gastgeber nach Japan.

Übertragung der WM 2017

Live werden die WM-Spiele nur im Internet zu sehen sein. Nachdem sich die Fernsehsender in zähen Verhandlungen nicht mit dem Rechtehändler aus Katar (beIN Sports) hatten einigen können, sicherte sich jüngst ein Handball-Sponsor, die DKB-Bank, die Rechte für die eigene Internet-Seite (handball.dkb.de). Bei den deutschen Spielen gibt es einen eigenen Kommentar, bei alle weiteren Übertragungen wird der englische Kommentar übernommen. Zusammenfassungen gibt es zudem auf diversen Internet-Seiten. Auch ARD und ZDF erwarben kurzfristig von beIN Sports noch die Highlight-Bildrechte fürs Fernsehen. SZ

Der Isländer wird ein stabiles Team hinterlassen, er zählt es zu den sechs besten der Welt, im Gastgeberland rangiert es noch weiter oben: Dort fürchtet man die deutsche Auswahl neben Olympiasieger Dänemark als ärgsten Konkurrenten der Heimmannschaft, die zudem Titelverteidiger ist. Die deutschen Gegner werden sich jedenfalls nicht mehr so überrumpeln lassen wie vor einem Jahr. Der Bundestrainer geht sogar so weit, dass er den Ungarn, die bei den drei letzten internationalen Turnieren fehlten, die Favoritenrolle für das Auftaktspiel zuschiebt. "Ich habe immer gesagt, dass unsere Chancen 40 zu 60 stehen. Und ich bleibe dabei", bekräftigte er.

Um das Weiterkommen in die K.o.-Runde sollte sich die deutsche Mannschaft freilich nicht sorgen, egal ob sie bloß mit 14 Spielern antritt (wenn Gensheimer wieder heimreist) oder doch mit 16 (falls noch einer nachnominiert wird). In den weiteren Vorrundenpartien gegen Chile, Saudi-Arabien, Weißrussland und Kroatien sollte es in jedem Fall gelingen, sich einen der ersten vier Plätze zu sichern, die zur Achtelfinal-Teilnahme berechtigen.

Mit der Weiterreise von Rouen aus könnte es dann freilich noch schwieriger werden als mit der Anreise. Im Idealfall muss die DHB-Auswahl zwar nur 110 Kilometer nach Süden fahren, nach Paris, wo sie dann bis zum Ende bleiben könnte. Bei ungünstigen Konstellationen droht freilich auch ein Trip ans andere Ende Frankreichs, nach Montpellier. Auf der Autobahn sind das 850 Kilometer, mit reichlich Baustellen.

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