Handball-WM:Plötzlich sogar Gruppensieger

Handball-WM: Deutschlands Patrick Wiencek: durchsetzungsstark am Kreis, auch gegen Frankreich

Deutschlands Patrick Wiencek: durchsetzungsstark am Kreis, auch gegen Frankreich

(Foto: AFP)

Die deutschen Handballer steigern sich weiter. Gegen den aktuellen Weltmeister Frankreich spielt die Mannschaft von Bundestrainer Heuberger eine klasse Partie und sichert sich den Gruppensieg. Die neue Stärke resultiert aus dem Fehlen von Helden.

Von Joachim Mölter, Barcelona

So sehr sich der Handball-Bundestrainer Martin Heuberger auch freut, dass er in diesen Tagen allenthalben gelobt wird dafür, dass er so viel mit seinen Spielern redet - das habe auch einen Haken, findet er: "Da kann man leicht in Erklärungsnot geraten." Wenn er zum Beispiel einem Akteur immer wieder sage, "ich vertraue dir, ich vertraue dir, ich vertraue dir und er sitzt dann drei Spiele nur auf der Bank - da wird man schnell unglaubwürdig".

Um seine Glaubwürdigkeit muss sich der 48-Jährige bei der WM in Spanien keine Sorgen machen. Er hat in der Vorrunde allen 16 seinen Spielern gezeigt, dass er ihnen vertraut. Er hat den einen mehr, den anderen weniger eingesetzt, aber keinen nur sporadisch für ein paar Minuten, wenn die Partie längst entschieden war. Heuberger wechselte munter, so bekam jeder das Gefühl, wichtig zu sein. Der Bundestrainer wich auch am Freitagabend in Palau Sant Jordi von Barcelona nicht von dieser Linie ab, beim überraschenden 32:30 (16:16) im letzten Gruppenspiel gegen Frankreich.

Gerade in dieser Partie hatte es sich ja angeboten, rotieren zu lassen: Der Achtelfinaleinzug war sicher, und gegen den Olympiasieger und Titelverteidiger hatte sowieso niemand einen Sieg erwartet, nicht einmal einen Punktgewinn. "Die Franzosen sind momentan nicht unsere Kragenweite. Wir müssen das als Lernspiel sehen", glaubte Heuberger und gab vor: "Gegen Frankreich ist es für uns wichtig, dass wir im Rhythmus bleiben."

Bereits am Sonntag (15.45 Uhr, live im ZDF) steht das Achtelfinale auf dem Plan, erneut in Barcelona, Gegner ist Mazedonien, das am Freitag Dänemark knapp unterlag. Im deutschen Team hat sich die Zuversicht verbreitet, dass ihm dann - im sechsten Spiel innerhalb von neun Tagen - etwas zum Vorteil gereicht, was manche Sportfreunde hierzulande gern als Schwäche sehen: "Wir haben keinen herausragenden Spieler" (Kapitän Oliver Roggisch). Keinen wie den Dänen Mikkel Hansen, den Mazedonier Kiril Lazarov oder den Weißrussen Siarhei Rutenka, die zehn Tore in einer Partie werfen können, wenn es sein muss. "Aber wir sind sehr ausgeglichen besetzt und können viel wechseln, ohne einen Leistungseinbruch zu kriegen", sagt Roggisch: "Wir können die ganze Zeit ein hohes Tempo gehen."

Das ist die Strategie der deutschen Mannschaft bei der WM: über eine starke Abwehr zu Gegenstößen und schnellen Toren zu kommen. "Unser Spiel ist nicht so angelegt, dass die Torgefahr von der Rückraummitte ausgeht. Wir sind keine Mannschaft, die 15 Tore aus dem Rückraum wirft", sagt der Göppinger Michael Haaß, der von der Mittelposition aus das Spiel lenkt und nur gelegentlich mal für Torgefahr sorgt: "Ganz ohne geht es ja auch nicht", sagt er.

Höchstens Helden für einen Abend

Dass die Tore in der Vorrunde von allen Positionen gleichermaßen fielen, ist für Bundestrainer Heuberger die Bestätigung, dass er seinen Kader ordentlich ausbalanciert hat. Bislang haben es die deutschen Handballer jedenfalls kompensiert, dass in den 2007er-Weltmeistern Holger Glandorf und Lars Kaufmann (beide Flensburg) sowie in Uwe Gensheimer (Mannheim) drei erfahrene Leute verletzungsbedingt fehlen, die normalerweise erste Wahl sind.

Heuberger hat bei seiner Auswahl darauf geachtet, dass alle sieben Positionen doppelt besetzt sind, was nicht immer so war. "Früher haben wir oft nur einen Links- oder einen Rechtsaußen mitgenommen", erinnert sich der Lemgoer Martin Strobel, der sich als Spielmacher mit Haaß abwechselt. Die Außen sind nun aber die Spieler, die in Heubergers Konzept am meisten rennen müssen - über sie läuft der Gegenstoß. Da schadet es nicht, einen zweiten Mann dabei zu haben, wenn der erste müde wird. Oder angeschlagen ist wie Patrick Groetzki (Rhein-Neckar Löwen/Adduktorenprobleme). Außerdem ist jede Position mit einem erfahrenen und einem etwas jüngeren Akteur besetzt. "Wir haben viele verschiedene Spielertypen, die wir je nach Situation einsetzen können", sagt der Flensburger Halbrechte Steffen Weinhold.

Und je nach Situation ist dann mal der eine oder der andere entscheidend. Es drängt sich aus dem deutschen Team jedenfalls keiner auf, der sich als WM-Held feiern ließe - es gibt höchstens Helden für einen Abend, manchmal auch nur für eine Halbzeit. Gegen Brasilien (33:23) verhinderte Torwart Silvio Heinevetter (Berlin) vor der Pause einen Rückstand, nach dem Wechsel sorgte der fünffache Torschütze Weinhold für den Vorsprung. Beim 23:25 gegen Tunesien hielt der Berliner Sven-Sören Christophersen mit sieben Treffern das Team bis zuletzt ins Schlagdistanz.

Den 31:27-Erfolg über Argentinien hielt Lemgos Torhüter Carsten Lichtlein fest, der für den in dieser Partie enttäuschenden Heinevetter gekommen war. Gegen Montenegro bildeten Roggisch und Haaß einen unüberwindbaren Abwehrblock, und gegen die übermächtig erscheinenden Franzosen taten sich dann tatsächlich alle zusammen und leisteten geschlossen Widerstand; Groetzki war dabei der beste Torschütze mit sechs Treffern.

Der ausgeglichene Kader der deutschen Handballer wird mittlerweile als Qualität anerkannt. "Das ist mittlerweile schon eine Notwendigkeit", findet der ehemalige Nationalspieler Stefan Kretzschmar, 39, der die WM als Fernsehexperte verfolgt. Dass das Tempo zugenommen hat, haben Sportwissenschaftler bereits bei Olympia analysiert. "So wie es heute rauf und runter geht auf dem Feld - das gab's vor ein paar Jahren noch nicht", sagt auch Kretzschmar, der seine Karriere im DHB-Team nach Olympia 2004 beendet hat. Er glaubt: "Es geht nicht mehr, dass eine Mannschaft mit einer ersten Sieben ein Turnier durchspielt." Insofern wären die deutschen Handballer nach langer Zeit sogar mal wieder Trendsetter.

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