Handball-WM:Märchen aus allerlei Jahreszeiten

Dem Fußball-Sommer '06 folgt der Handball-Winter '07 - und diesmal steht Deutschland sogar im Finale.

Christian Zaschke

Als der Bus mit der deutschen Mannschaft in der Nacht zum Freitag zurück nach Wiehl kam, in die tiefste Provinz, da standen am Parkplatz des Hotels zur Post einige hundert Menschen und jubelten den Spielern zu.

Handball-WM, Halbfinale Deutschland-Frankreich

Zu Gast bei Freunden: Torsten Jansen und Oliver Roggisch heißen den Franzosen Nikola Karabatic willkommen.

(Foto: Foto: AP)

Es wirkte, als habe jemand die Fußball-WM aus dem Sommer genommen und maßstabsgerecht verkleinert. Die Bauteile des Modells sind beinahe die gleichen: eine begeisternde Mannschaft, ein begeistertes Publikum, Jubelszenen auf den Straßen und sehr viele Fahnen.

Als Bundestrainer Heiner Brand gefragt wurde, wie er diese Stimmung empfinde, sagte er trocken: "Ich habe schon den Eindruck, dass das Publikum hinter uns steht."

Brand mag Untertreibungen, und diese gefiel ihm so gut, dass er die Enden des Schnauzbarts zu einem Grinsen hob. Das Publikum in der Kölnarena hatte sich beim Halbfinal-Sieg gegen Frankreich an der Mannschaft berauscht, das ist im Handball leichter als im Fußball, weil das Spiel so dramatisch sein kann.

Die Partie am Donnerstag war über zwei Verlängerungen gegangen, bevor die Deutschen 32:31 gewonnen hatten, und in den letzten Sekunden des Spiels hatte der entfesselte Tormann Henning Fritz mit zwei Paraden gegen den brillanten Werfer Daniel Narcisse den Sieg gerettet.

Das alles sahen nicht nur 19 000 am Ende brüllende Menschen in der Kölnarena, sondern auch knapp 16 Millionen Zuschauer an den Fernsehern; so populär war Handball noch nie. All diese Zuschauer sahen auch, wie Torsten Jansen kurz vor dem Ende nach einem ungenauen Zuspiel den Ball nicht unter Kontrolle bringen konnte, wie dann der Franzose Michael Guigou den Ball griff und dem deutschen Tor zustrebte. Jansen foulte Guigou, die Schiedsrichter pfiffen, doch Guigou rannte weiter warf den Ball zum vermeintlichen Ausgleich ins Tor. Die Schiedsrichter gaben den Treffer nicht, und an dieser Szene entzündete sich später der Ärger der Franzosen.

Onesta wittert Betrug

"Ich hätte mich sicherlich auch geärgert", sagte Heiner Brand, "aber sie haben nun einmal gepfiffen. Und ich halte es für falsch und unfair, alles an dieser Szene aufzuhängen. Dann müsste man anfangen, das ganze Spiel aufzurechnen." Mit dem französischen Trainer Claude Onesta verbindet ihn eine herzliche gegenseitige Abneigung. Auf die Frage, ob Onesta ihm dennoch gratuliert habe, sagte Heiner Brand: "Das hat er schon nach der ersten Niederlage in der Hauptrunde erledigt."

Claude Onesta fühlte sich nach dem Spiel betrogen. Zur Pressekonferenz erschien er nicht, und in der Mixed Zone sagte er: "Jeder wusste vorher, was sich ereignen würde. Die Schiedsrichter haben kein gutes Spiel geliefert. Dieses Schicksal mussten allerdings alle Teams erleiden, die seit Turnierbeginn gegen Deutschland gespielt haben." Tatsächlich hätten die Schiedsrichter genauso gut auch den Vorteil laufen lassen können, aber nachdem sie einmal gepfiffen hatten, konnten sie den Treffer nicht mehr geben.

Im Rest des Spiels pfiffen sie ausgeglichen, und dass sie zwei Minuten vor dem Ende Andrej Klimovets vom Platz stellten, spricht auch nicht dafür, dass sie die Deutschen bewusst bevorteilen wollten. Torsten Jansen sagte: "Am Ende haben wir natürlich auch glücklich gewonnen. Es war eine ausgeglichene Partie, die im Grunde keinen Sieger verdient hatte." Brand resümierte: "Es war ein glücklicher Sieg, aber unverdient war er nicht."

Hilfreiche Video-Sitzung

Dass die deutsche Mannschaft den großen Turnierfavoriten Frankreich nun zweimal besiegt hat, darf in der Welt des Handballs als Wunder gelten. Nach dem ersten Sieg in der Hauptrunde verwiesen die Franzosen darauf, dass man ja die K.o.-Runde noch nicht erreicht habe, und nachdem sie sich im Viertelfinale gegen Kroatien durchgesetzt hatten, erwartete die Fachwelt den Durchmarsch ins Finale. "Aber wir haben immer an uns geglaubt", sagte Michael Kraus, "wir haben während des gesamten Spiels geglaubt, das wir gewinnen werden."

Von diesem Glauben ist die Mannschaft beseelt, seit sie in der Vorrunde gegen Polen verloren hat, die Mannschaft, die ihr am Sonntag im Finale erneut gegenüber steht. "Die Video-Sitzung nach dem Polen-Spiel hat uns enorm geholfen", sagt Kapitän Markus Baur, "sie hat uns viele Fehler vor Augen geführt." Die Deutschen spielen also jetzt im Finale gegen die Mannschaft, von der sie rechtzeitig im Turnier geweckt wurden.

In der Löwen-Apotheke dem deutschen Hotel gegenüber steht im Schaufenster geschrieben: "Wintermärchen 2007 - Ihr schafft das!" Entgegen der ehernen Regel, dass mit Namen kein Spaß zu treiben sei, kursiert die Vermutung, dass den Polen mit ihrem Trainer Bogdan Wenta am Sonntag das "Wenta-Märchen 2007" gelingen könnte. Abgesehen von der zweifelhaften Qualität dieses Wortspiels ist es durchaus möglich, dass die Polen am Sonntag als Sieger vom Platz gehen. Mit den unberechenbaren Werfern aus dem Rückraum hatten die Deutschen in der Vorrunde große Probleme, und diese unberechenbaren Werfer haben die Polen in der Folge bis ins Finale gebracht. Vieles wird also wieder von Tormann Henning Fritz abhängen.

Bei Olympia 2004 ist er zum unglaublichen Fritz geworden, gegen die Franzosen war er am Donnerstag der entfesselte Fritz. Im Finale am Sonntag könnte er eine Mischung aus beiden werden, wie auch immer diese Bälle haltende Mischung dann heißt. Christian Zaschke

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