Handball-WM in Kroatien:"Ein absoluter Albtraum"

Beim 25:27 gegen Dänemark fühlen sich die deutschen Handballer benachteiligt und verpassen endgültig das WM-Halbfinale.

Christian Zaschke, Zadar

Und wieder war es eine Schiedsrichterentscheidung, die die Deutschen am Ende der Partie gegen Dänemark erregte. 25:27 (14:14) hatten sie nach einer hervorragenden Leistung verloren, und in ihren Köpfen war diese Szene nach 57Minuten: Es stand 25:25, die Dänen hatten den Ball, sie warfen, der Ball wurde abgefälscht und flog zu hoch, um gefährlich zu sein, doch Torwart Johannes Bitter brachte seine Fingerspitzen noch an die Kugel. Vor dort flog sie ins Toraus, und wenn der Schlussmann zuletzt dran war, heißt das: Abwurf. So zeigte es auch der Feldschiedsrichter an.

Handball-WM in Kroatien: Am Boden: Holger Glandorf und die deutschen Handballer verlieren gegen Dänemark.

Am Boden: Holger Glandorf und die deutschen Handballer verlieren gegen Dänemark.

(Foto: Foto: AP)

Der Torschiedsrichter entschied jedoch auf Einwurf für die Dänen, weil er befand Bitter sei nicht mehr am Ball gewesen. Das war insofern überraschend, als dass das Klatschen des Balls gegen Bitters Finger bis auf die Tribüne zu hören war. Die Dänen erhielten den Ball, bald trafen sie, und zurück blieben fassungslose Deutsche - die, da später am Abend Polen gegen Norwegen in letzter Sekunde (31:30) gewann, das Halbfinale verpasst haben und am Donnerstag im Spiel um den fünften Platz gegen Ungarn antreten müssen.

Bitter sagte: "Das ist ein absoluter Albtraum, ich werde diese Entscheidung auch in zehn Jahren nicht verstehen." Er war mitgenommen, "so kann man Sportler kaputtmachen", sagte er, "das tut in der Seele weh." Wieder fühlten sich die Deutschen betrogen, und was kaum möglich schien: Diesmal war der entscheidende Fehler noch offensichtlicher als gegen Slowenien. "Jeder in der Halle hat gesehen, was los war", sagte Pascal Hens, was keine Übertreibung war, denn auch die Dänen hatten es gesehen.

Dass Bitter den Ball berührt hatte, bestätigte selbst sein Gegenüber Kaspar Hvidt, der Mann also, der am weitesten entfernt war. Und Dänemarks Linksaußen Lars Christiansen sagte: "Bitter war am Ball, das war ganz klar Torabwurf. Da kriegen wir einen großen Vorteil. Ich verstehe den Frust der Deutschen." "Das gesamte Schiedsgericht hat mir später bestätigt, dass ich am Ball war", rief Bitter verzweifelt. Jeder deutsche Spieler war erschüttert, weil es eine so offensichtliche Demonstration gewesen war. "Das ist ein Riesenskandal", sagte Ersatztorwart Silvio Heinevetter, "ich weiß nicht, was die gegen uns haben. Das ist Betrug."

Heiner Brand lief diesmal nicht mit erhobener Faust hinter den Schiedsrichtern her wie nach der Partie gegen Norwegen, er schaute ruhig wie ein Mann, der weiß, was gespielt wird. "Wenn man sieht, dass wir in diesem Spiel eine Zwei-Minuten-Strafe vom Schiedsgericht gegen die Bank bekommen haben, weil die Ersatzleute auf einen verletzt am Boden liegenden Spieler hingewiesen haben, wenn man die Szene mit Johannes Bitter sieht, wenn man den nicht gegebenen klaren Siebenmeter gegen Dominik Klein sieht, dann weiß man, was los ist."

Zu diesem nicht gegebenen Siebenmeter gegen Klein fünf Minuten vor dem Ende sagte auch Lars Christiansen: "19 von 20 Schiedsrichtern pfeifen in dieser Szene Siebenmeter." Nicht aber die rumänischen Spielleiter. Wenn also selbst die Gegner bemerken, dass die Schiedsrichter seltsam entscheiden, glaubt Brand dann, dass die Deutschen tatsächlich betrogen wurden? Oder waren es doch einfach Fehler, wie sie vorkommen, überall? "Ich weiß nicht, was ich denken soll", sagte Brand, "ich muss als Trainer vorsichtig sein mit dem, was ich sage. Jedenfalls bin ich sehr stolz auf die Mannschaft, sie hat besser gespielt und den Sieg verdient. Es tut mir leid für sie."

Dass diese Partie überhaupt so knapp und dramatisch werden würde, damit hatten die wenigsten Experten gerechnet. Zu viel schien gegen die Deutschen zu sprechen: der Ausfall von Spielmacher Michael Kraus, die Tatsache, dass Pascal Hens mit einer Oberschenkelverhärtung ins Spiel gegangen war, und natürlich die fehlende internationale Erfahrung vieler Spieler. Gerade der erst 22Jahre alte Kraus-Ersatz Martin Strobel jedoch spielte mutig und beherzt und zeigte, dass er ein Mann mit großer Perspektive ist. In der ersten Halbzeit - es lief ein Tempogegenstoß - gelang ihm einmal ein Pass, wie sie der vormaligen Kapitän Markus Baur bisweilen spielte.

Alles rannte, das ganze Feld war voller Bewegung, und Strobel lief in mittlerem Tempo, er schaute auf das Gewühl wie ein Chirurg auf eine komplizierte Operation, und dann schnitt er einmal mitten durchs Feld, er warf den Ball mehr als 20 Meter weit zu Sebastian Preiß, der in diesem Moment den Kreis erreichte, die Kugel fing, sich drehte und traf. Es war ein schöner Spielzug, so rasant wie präzise, und Strobel joggte danach lässig zurück, als spiele er jeden Tag um alles gegen den Europameister aus Dänemark.

Auch Preiß erwischte einen sehr guten Tag. Dass er hochmotiviert ins Spiel ging, war schon vor dem Anpfiff zu sehen, als er dem Tor einen Schlag verpasste, nach dem es noch rund zehn Sekunden lang wackelte wie ein Fahnenmast im Sturm. Im Spiel profitierte er davon, dass die Dänen eher offensiv deckten, um die deutschen Rückraumwerfer aus dem Spiel zu nehmen. Dadurch ergaben sich Lücken - Lücken, die Strobel, Glandorf und zunächst Hens erspähten und nutzen, um den Ball zu Preiß zu passen. Manchmal hat Preiß Probleme, in der großen Bedrängnis am Kreis den Ball festzuhalten, an diesem Tag aber war er eine Art Sebastian mit den Pattexhänden, immer wieder griff er die Kugel aus der Luft und schleuderte sie ins Tor.

Wenn die gegnerische Mannschaft offensiv gegen den Rückraum deckt, dann müssen die Angreifer sich viel bewegen. Genau das war ein Problem für den angeschlagenen Hens, sein Oberschenkel erlaubte sie nicht, die vielen kleinen Spurts und Haken. Also brachte Brand nach rund 20 Minuten Lars Kaufmann ins Spiel. Beim Frühstück hatte ihm ein Mitglied der DHB-Delegation gesagt: "Lars, ich gratuliere zu deinem heutigen Glückstag." Kaufmann verfügt über einen gewaltigen Wurf und eine ebenso gewaltige Streuung. Gegen die Dänen aber spielte er überlegt - und wenn er warf, dann traf er meist, sechs Tore erzielte er bei acht Würfen, eine sehr gute Quote.

Sportlich war das aus deutscher Sicht alles erfreulich, aber über Sport sprach nach dem Abpfiff am Dienstagabend niemand mehr.

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