Handball-WM in Kroatien:"Das grenzt an Schiebung"

Beim 24:25 gegen Norwegen fühlen sich die deutschen Handballer von den Schiedsrichtern betrogen. Trainer Heiner Brand ist zornig und droht ihnen mit erhobener Faust.

Christian Zaschke

Der erste Schock für die deutschen Handballer ereignete sich nach genau 43 Minuten und 24 Sekunden. Der Norweger Stian Vatne hatte Michael Kraus gefoult, und als Kraus am Boden aufkam, war sein Gesicht schmerzverzerrt, er winkte aufgeregt, es war klar: Er war verletzt. Kraus ist Kapitän der Mannschaft, zudem der Spielmacher, das Team braucht ihn in solchen Spielen, wenn es so eng zugeht. Die Norweger führten mit einem Tor Vorsprung, es stand 18:19.

Handball-WM in Kroatien: Handball-Bundestrainer Heiner Brand: "Diese Entscheidungen waren diskussionswürdig."

Handball-Bundestrainer Heiner Brand: "Diese Entscheidungen waren diskussionswürdig."

(Foto: Foto: AP)

Nun sah es schlecht aus in diesem WM-Hauptrundenspiel, aber die deutsche Mannschaft kämpfte, geleitet vom 22 Jahre alten Martin Strobel, sieben Minuten vor dem Ende führte sie, 22:20, doch die Norweger kamen auf 22:22 heran. Die Halle kochte jetzt, und Torsten Jansen verwarf einen Siebenmeter, in dieser Phase, er, der sonst so sicher ist.

Die Norweger zogen davon, 30 Sekunden vor Schluss führten sie mit zwei Toren Vorsprung und hatten den Ball, den sie umgehend verloren. Lars Kaufmann erzielte das 24:25, 18 Sekunden noch zu spielen, die Halle brodelte, die Norweger waren zwei Mann in der Unterzahl. Harvard Tvedten, er rutschte aus mit dem Ball, elf Sekunden noch, da war sie also, die unverhoffte Chance zum Ausgleich, und dann kam der zweite Schock.

Die Zeit tropft von der Uhr

Christian Schöne warf den Ball nach vorn, und die slowenischen Schiedsrichter pfiffen ihn zurück, weil er angeblich falsch stand. Die Zeit tropfte von der Uhr, Sekunde nach Sekunde, Schöne warf den Ball erneut nach vorn, und wieder pfiffen die slowenischen Schiedsrichter ihn zurück, diesmal zeigten sie an, es handele sich nicht um einen Freiwurf, sondern einen Einwurf.

Schöne musste also ein drittes Mal werfen, da waren noch zwei Sekunden zu spielen, es war zu spät, die Sirene ertönte, und damit hatten die Deutschen 24:25 (12:12) gegen Norwegen verloren und die Chance verpasst, sich vorzeitig für das Halbfinale dieser WM in Kroatien zu qualifizieren. Die Chance dazu besteht immer noch, am Dienstag steht die Partie gegen Dänemark an (17.30 Uhr, live auf RTL).

Nach dem Schlusspfiff rannte Heiner Brand, so schnell es seine operierte Hüfte erlaubte, auf das Spielfeld. Er war während des gesamten Spiels unzufrieden mit den Schiedsrichtern gewesen, insbesondere, weil sie die Attacken gegen Pascal Hens nicht ahndeten.

Gebärdendolmetscher auf Speed

Der erlitt früh im Spiel eine Oberschenkelverhärtung, musste aber später wieder spielen, nachdem Kraus verletzt war. Brand baute sich vor den Schiedsrichtern auf, so etwas macht er sonst nie, er hat gelernt mit den Unwägbarkeiten beim Handball zu leben, und schlechte Schiedsrichter gehören dazu. Das hier aber war ihm zu viel, er gestikulierte wie ein Gebärdendolmetscher auf Speed, er lief hinter den beiden Slowenen her, er hatte erst die Arme ausgebreitet wie ein landender Albatros, dann schüttelte er seine erhobene Faust in Richtung der Schiedsrichter. "Ich war zornig", sagte Brand.

Wenig später sagte Pascal Hens: "Die Schiris haben uns ein bisschen verarscht. Ich weiß auch nicht, was die gegen uns haben. Wenn die Norweger schon zu blöd sind, ihren Vorsprung über die Zeit zu retten, dann müssen ihnen die Schiris nicht helfen." Ersatztorwart Carsten Lichtlein sagte: "Ich glaube, dass das an Schiebung grenzt."

Wenn die Schiedsrichter tatsächlich Einwurf gegeben haben und nicht Freiwurf, dann hätten sie nach der ersten falschen Ausführung die Zeit anhalten müssen und darauf hinweisen, dass es sich um einen Einwurf handelt. Sie bedeuteten Schöne aber, einen Meter zurückzugehen, was diesen natürlich schließen ließ, er solle den Freiwurf einen Meter weiter hinten ausführen.

Stenzel formuliert es drastisch

"Ich kann die Entscheidung nicht nachvollziehen", sagte er, "ich dachte, es sei ein Freiwurf, und wenn es keiner ist, dann muss die Uhr angehalten werden." Der stets bedächtige Torsten Jansen formulierte es sehr verhalten: "Wer da die Uhr nicht anhält, der verfügt über kein Fingerspitzengefühl." Ungefähr das gleiche sagte der ehemalige deutsche Bundestrainer Vlado Stenzel, der in der Halle weilte. Er formulierte es nur etwas anders, er sagte: "Diese Schiedsrichter sind die letzten Arschlöcher, das ist in Kroatien jedem bekannt."

Nun blieb die Frage, was Heiner Brand sagen würde, nachdem er sich aufgeregt hatte wie lange nicht. Gut 20 Minuten nach der Partie war er immer noch um Fassung bemüht. "Ich kommentiere Schiedsrichterleistungen bekanntlich grundsätzlich nicht", sagte er, "aber diese Entscheidungen waren diskussionswürdig." Er hatte damit auf seine Art nicht das gesagt, was Stenzel auf die seine gesagt hatte, aber es ging in die Richtung. Später fügte Brand an, immer noch erschüttert ob der Pfiffe: "Man muss sich schon schämen, so etwas zu pfeifen."

Die Deutschen waren mitgenommen nach diesem Spiel, zumal Hens angeschlagen ist und bei Kraus der Verdacht auf Außenbandriss besteht. Ein Punkt hätte schon gereicht fürs Halbfinale, vielleicht hätte der letzte Wurf ihn gebracht. Nun sagte Heiner Brand am Sonntagabend: "Mein Optimismus ist etwas geschwunden. Vielleicht kommt er morgen wieder."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: