Handball-WM:Immer hochtourig

Men's Handball - Hungary v Norway - 2017 Men's World Championship, Quarter-Finals

Betont unnachgiebig: Norwegens Abwehr erschwerte den Ungarn (hier Iman Jamali) jeden Abschluss.

(Foto: Robert Pratta/Reuters)

Norwegens junges Team spielt sich mit Tempohandball in das WM-Halbfinale. Angst zeigt die Mannschaft um Rückraum-Talent Sander Sagosen vor niemandem mehr - auch nicht vor dem nächsten Gegner Kroatien, der sie schon oft schmerzlich besiegt hat.

Von Joachim Mölter, Paris/München

Wenn einmal etwas gelingt, kann das Glück sein, Zufall, ein günstiger Umstand. Erst nach dem zweiten, dritten, vierten, fünften Mal darf man gesichert von Können sprechen. Den Beobachtern des internationalen Handball-Geschehens hat es freilich gereicht, dass die norwegischen Männer einmal in ein Halbfinale bei einem internationalen Turnier gelangt sind, nämlich bei der EM vor einem Jahr in Polen, um von ihrem Können überzeugt zu sein. Obwohl es die Norweger anschließend nicht schafften, sich auf sportlichem Weg für die WM in Frankreich zu qualifizieren, lud sie der Weltverband IHF ein, mittels einer Wildcard am Turnier teilzunehmen. "Es wäre eine Schande gewesen, wenn sie nicht dabei wären", sagte der WM-Direktor Olivier Krumbholz.

Die Norweger haben diese Einschätzung bestätigt: Am Dienstag gelang es ihnen zum zweiten Mal binnen eines Jahres, in ein Halbfinale einzuziehen, nun eben bei der WM. Und sie taten das beim 31:28 (17:10) über Ungarn eindrucksvoller, als es das Ergebnis besagt. Eine Viertelstunde vor Schluss des Viertelfinales in Albertville führten sie schon mit zehn Toren Vorsprung (26:16), dann ließen sie es gut sein und schonten sich fürs Halbfinale. Dort treffen sie am Freitag in Paris auf Kroatien, bislang so etwas wie ein Angstgegner. Aber "wir sind so gut drauf", sagt Spielmacher Sander Sagosen, "wir können jetzt jeden schlagen. Wir trauen uns das Finale zu."

Sagosen ist erst 21 Jahre alt und doch schon der Anführer einer neuen, jungen Generation: Bei der EM im vorigen Jahr wurde er bereits zum besten Rückraum-Mitte-Mann des Turniers gewählt. Norwegens Trainer Christian Berge, 43, war einst Spielmacher beim Bundesligisten SG Flensburg, ehe eine Krebserkrankung seine aktive Karriere beendete; er schickt bei diesem Turnier eines der jüngsten Teams aufs Feld, im Durchschnitt sind die Spieler 25,4 Jahre alt. Da ist es fast kein Wunder, dass sie mit Schwung an die Sache rangehen und die Gegner mit Tempo-Handball überrumpeln; entweder per Gegenstoß oder mit einer hochtourigen Ballbewegung. 220 Tore haben sie bislang erzielt, mehr als jede andere Mannschaft, inklusive der wurfgewaltigen Franzosen (218).

Paris St. Germain hat Top-Spieler Sander Sagosen geholt - er soll irgendwann Karabatic ersetzen

Dass sie in Norwegen etwas vom Handball verstehen, ist hinlänglich bekannt - allerdings bis dato nur von den Frauen. Die sind seit zwei Jahrzehnten das Maß der Dinge weltweit: Seit 1998 haben die Norwegerinnen sieben Europameister- und drei Weltmeister-Titel geholt, dazu zwei Olympiasiege, 2008 und 2012, wie übrigens auch die französischen Männer. Ihren dritten Olympiasieg nacheinander verhinderten in Rio die Russinnen, die sie im Halbfinale nach Verlängerung niederrangen, 38:37. Damit vermasselten sie den Norwegerinnen eine einzigartige Ausbeute, für die man den Begriff Double-Triple erst noch etablieren müsste im Sprachgebrauch des Sports. Mit dem dritten Olympiagold in Serie wäre nämlich einhergegangen, dass sie alle drei internationalen Titel zur gleichen Zeit gehalten hätten nach Europameisterschaft 2014 und Weltmeisterschaft 2015.

Davon sind Norwegens Männer noch weit entfernt: Ihre nächste Medaille bei einem internationalen Turnier wird auch ihre erste sein. Aber sie sind auf einem guten Weg. Zuletzt sind sie ja bloß an den Besten und Stärksten gescheitert, in der WM-Qualifikation beispielsweise an Slowenien, das nun im zweiten Halbfinale steht, am Donnerstag gegen Frankreich. Und in der Qualifikation für Olympia 2016 waren sie in einer Gruppe mit dem späteren Goldmedaillengewinner Dänemark (dem sie immerhin ein Unentschieden abtrotzten) - und mit ihrem Angstgegner Kroatien. Der hat ihnen 2016 sowohl EM-Bronze verwehrt (durch ein 24:31 im Spiel um Platz drei), als auch die Olympia-Teilnahme (durch ein 21:27). Am Freitag wird man sehen, ob und was die Norweger aus diesen Niederlagen gelernt haben.

Das Ansehen, das sie sich erspielt haben, ist in jedem Fall groß. Frankreichs Spitzenklub Paris St. Germain hat Sander Sagosen für die kommende Saison bereits unter Vertrag genommen; er soll dort als Nachfolger des nationalen Handball-Helden Nikola Karabatic, 32, in der zentralen Position aufgebaut werden. Es gibt Experten, die auch der norwegischen Nationalmannschaft zutrauen, einmal die Nachfolge der großen Franzosen anzutreten. Vielleicht noch nicht in diesem Jahr. Aber die Norweger sind ja auch noch jung.

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