Handball-WM:Im Namen der Tulpe

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Herausragende Niederländerin: Estavana Polman schaffte es mit ihren Kolleginnen zum vierten Halbfinaleinzug hintereinander.

(Foto: imago/VI Images)

Estavana Polman trifft im WM-Halbfinale mit Holland auf Norwegen. Ihrem Freund Rafael van der Vaart bleibt diesmal nur die Rolle als Fan.

Von Saskia Aleythe, Hamburg

Mit Sekt umgehen zu können, ist eine Fähigkeit fürs Leben. Die Blaskapelle trötet, dicht gedrängt auf einem Kahn, mittendrin auch Estavana Polman, sie schippern den Kanal entlang zwischen Blumenwiesen in den Niederlanden, es ist April 2016. Hier noch ein Foto, dort noch ein Fernseh-Interview, dann der Korb mit Tulpen, die die Handballerin nun auf ihren Namen taufen darf, Polman bekommt eine Flasche Sekt überreicht, nippt kurz selber und beginnt dann die Fontäne, wie man das als erfolgreiche Sportlerin geübt hat. Die Blumenart Tulipa Estavana, damals elf Jahre alt, glänzt in prächtigem Rot. Man kann schon sagen: So ganz unbekannt ist die Handballerin in ihrer Heimat nicht.

Wo immer bei dieser Handball-WM die niederländischen Frauen auftauchen, ist die Fangemeinde schon da, sogar ein eigenes Maskottchen hat das Team mit nach Deutschland gebracht, einen großgewachsenen plüschigen Fuchs. Kleine Mädchen tragen Fan-Shirts mit Polmans Nummer, die 79, und unter all den orangenen Jacken kann sich einer ganz gut verstecken: Rafael van der Vaart. Seit Frühjahr 2016 ist er mit Polman liiert, vor fast sechs Monaten kam Tochter Jesslynn zur Welt, sie liegt auf der Tribüne mal in den Armen des Vaters, mal in denen der Großeltern. Mit bunten Kopfhörern erlebt sie im Publikum mit, was es heißt, Teil einer besonderen Sportlerfamilie zu sein.

"Zu Hause bin ich zu 100 Prozent Mutter und bei der WM eine hundertprozentige Handballspielerin", sagt Polman, 25, und wenn die Handball-WM am Freitag in die Halbfinal-Runde geht, erlebt die Familie Polman/van der Vaart eine besondere Situation: In der Hamburger Arena, kaum 200 Meter Luftlinie vom Volksparkstadion entfernt, kämpft Polman mit ihren Kolleginnen in der Nationalmannschaft um den Finaleinzug. "Es wäre natürlich ein Traum, wenn wir zum Halbfinale und Finale in Hamburg sein könnten", hatte van der Vaart, 34, vorab dem Sportinformationsdienst gesagt, er selber spielte ja insgesamt sechs Jahre beim HSV, zuletzt von 2012 bis 2015. So kreuzen sich nun die Wege zwischen seiner alten Arbeitsstätte und dem Ort, an dem Polman ihren größten Erfolg feiern will: Eine Goldmedaille hat sie noch nicht. "Normalerweise habe ich EM und WM gespielt", sagt van der Vaart, "jetzt sehe ich das von der ganz anderen Seite. Das ist auch mal schön. Aber der Druck ist natürlich noch da, weil ich nervös bin, ob alles gut geht." 2010 wurde van der Vaart WM-Zweiter, Polman hat nun schon zwei Silber-Medaillen zu Hause. Ein Silberpaar zu Besuch in Hamburg.

Eine Familie zu gründen war für Polman nie ein Grund, die Karriere als Handballerin aufzugeben. Schon bei der vergangenen EM in Schweden war die Rückraumspielerin im dritten Monat schwanger, warf die viertmeisten Tore des Turniers und ging erst nach dem Gewinn der Silbermedaille zur Trainerin, um ihr die Nachricht zu überbringen. Mitte Juni wurde Jesslynn geboren. "Ich habe nach der Geburt von der WM geträumt. Ich habe mir selbst gesagt, dass es vielleicht klappen könnte", sagt Polman, sie hat dann Zusatzeinheiten absolviert, um noch rechtzeitig fit zu werden. Dass ihr noch Muskelmasse fehlt, merkt sie, die Würfe sind schwächer, die Zweikämpfe schwieriger, auch ihre Einsatzzeiten noch nicht wieder die alten. Mit bisher 20 Treffern ist Polman aber schon wieder die viertbeste Werferin ihrer Mannschaft, als es im Achtelfinale in die Verlängerung gegen Japan ging, erzielte sie zwei wichtige Tore. Das alles mit kleinem Kind zu bestreiten, "ist eine Frage der Planung", sagt Polman, aber auch: "Ich bin nicht sehr gut darin". Die eigenen Eltern helfen aus, in der Wahlheimat Dänemark springt ein Babysitter ein, wenn Polman Handball spielt und van der Vaart Fußball.

Die Sache mit der Tulpe war damals schon als Ehrung für die ganze Mannschaft gedacht: Die Nation befindet sich seit 2015 im Handball-Erfolgsrausch. WM 2015: Erstes Finale überhaupt, dort unterlag man Norwegen. Olympia 2016: Erste Teilnahme, Platz vier. EM 2016: Wieder Finale, wieder Niederlage gegen Norwegen. "Es ist Zeit, die Norwegerinnen zu schlagen", findet Polman, sie trifft im Halbfinale schon wieder auf die Skandinavierinnen. Im Viertelfinale düpierten diese Russland mit 34:17 und sind Favorit auf den Titel. Für Oranje ist aber schon die vierte Halbfinalteilnahme in Folge beachtlich, professionelle Strukturen hat sich die Nation erst in den vergangenen zehn Jahren erarbeitet. Vor allem die Handballakademie in Papendal, an der der Nachwuchs ausgebildet wird, steht für ein Erfolgsrezept. Auch Polman besuchte das Internat, so wie zahlreiche Kolleginnen. Dass sie in der Vorrunde Deutschland mit 31:23 bezwangen, war dann eher kein Zufall. Torfrau Tess Wester und Lois Abbingh sind bisher die stärksten Spielerinnen von Oranje.

Sollte der Norwegen-Fluch am Freitagabend (17.30 Uhr) trotz aller Vorzeichen besiegt werden, stellt sich in einer Sache überhaupt keine Frage: Mit Sekt umgehen kann Estavana Polman. An der Tulpe wie in der Sporthalle.

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