Handball-WM: Deutschland - Polen:Der erste Schock

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Die deutsche Nationalmannschaft unterliegt Polen in einem dramatischen Spiel - und darf doch weiter hoffen.

Christian Zaschke

Ein polnischer Spieler lag am Boden, doch die Schiedsrichter ließen weiterspielen. Die Polen eroberten den Ball, noch immer lag ihr Spieler am Boden, Mateusz Jachlewski strebte dem deutschen Tor zu, verfolgt vom deutschen Kapitän Markus Baur.

Jachlewski passierte den liegenden Mitspieler, er setzte zum Wurf an und Baur griff ihm in den Arm, wofür der Deutsche die rote Karte sah. Vier Minuten zu spielen, zwei Tore Rückstand, den Kapitän verloren - es war aussichtslos. Als dann noch Torsten Jansen einen Siebenmeter verwarf und Christian Zeitz die Kugel über das Tor jagte, war die Partie gelaufen.

Wie eine Boing

25:27 (12:14) hat die deutsche Nationalmannschaft am Montag ihr letztes Vorrundenspiel gegen Polen verloren. Für die Hauptrunde sind beide Mannschaften qualifiziert, die deutsche startet dort jetzt jedoch mit zwei Minuspunkten.

Die Zuschauer hatten schon vor dem ersten Pfiff ein Gespür dafür gehabt, dass es eine besondere Partie werden würde. Sie veranstalteten Lärm wie bei einem WM-Finale, sie sangen lauthals zum etwas seltsamen WM-Song der Kölner Band De Höhner (,,Wenn nicht jetzt, wann dann?''), und als die Reihe bei der Vorstellung der Mannschaft zum nachnominierten Christian Schwarzer kam, jubelten die Zuschauer in der Lautstärke einer startenden Boeing.

Es klang, als wäre mit Schwarzers Erscheinen der Sieg bei der WM nur noch Formsache - wenn denn nur vorher dieses wegweisende Spiel gegen Polen gewonnen würde.

Es war von Beginn an eine intensiv und hart geführte Partie. Polens Trainer Bogdan Wenta führte an der Seitenlinie Tänze auf, er schrie seine Mannschaft nach vorne, er war unter vielen sehr motivierten Männern in der Halle der motivierteste.

6-0-Abwehr

Und seine Mannschaft ließ sich anstecken von seiner Leidenschaft. Die Polen errichteten zunächst eine 6-0-Abwehr aus Riesen und verließen sich im Angriff auf ihre exzellenten Rückraumwerfer. Insbesondere Karol Bielecki wuchtete sich immer wieder in die Luft und jagte die Kugel aus der Höhe ins Netz.

Bielecki spielt wie zwei weitere Polen beim SC Magdeburg, wo Johannes Bitter im Tor steht. Bundestrainer Heiner Brand hatte vor dem Spiel überlegt: Kennt Bitter die polnischen Schützen aus dem Verein so gut, dass er ihre Würfe entschärfen kann, oder kennen umgekehrt die Werfer ihren Tormann so gut, dass sie locker zu ihren Treffern kommen?

Brand hoffte auf ersteres und stellte zunächst Bitter ins Tor. Nach 18 Minuten beschloss er, dass wohl doch die Polen den Torwart besser kennen als umgekehrt und wechselte Henning Fritz ein. Doch auch Fritz hatte Probleme mit der Wucht, die der polnische Rückraum entwickelte. Die Bälle flogen wie vom Katapult geschleudert ins Netz.

Entscheidung auf der Strafbank

Im Angriff blieb Christian Schwarzer zunächst auf der Bank, Brand vertraute auf Sebastian Preiß. Rund 25 Minuten blieb die Partie so vollkommen ausgeglichen (11:11), dann kassierten die Deutschen zwei zwei-Minuten-Strafen hintereinander, und die Polen setzen sich mit drei Toren Vorsprung ab. In dieser Phase begann Brand, Schwarzer immer wieder aufs Feld zu schicken.

Mit seinem ersten Ballkontakt erzielte er gleich ein Tor, dem die Schiedsrichter allerdings die Anerkennung verweigerten. Dafür holte er unmittelbar vor der Halbzeit einen Siebenmeter heraus, den Markus Baur sicher zum 12:14 nutzte. Doch sie lagen zurück, und die zweite Halbzeit wurde der Versuch, diesen Rückstand aufzuholen.

Das gestaltete sich zunehmend als schwierig. Während die Deutschen für jedes Tor viel Arbeit investieren mussten, schienen die Polen mühelos zu ihren Treffern zu kommen. Ein Wurf aus dem Rückraum - ein Tor. Einer Wurf von der Seite - ein Tor. So ging das immer wieder, es schien, als würde Henning Fritz keinen Ball mehr berühren, als habe er sich in Luft verwandelt.

Nach 43 Minuten, beim Stand von 17:20, beschloss Brand deshalb, den Torhüter noch einmal zu wechseln. Was sollte er sonst tun, es sah nicht gut aus. Dann ging alles sehr schnell: Bitter hielt, die Polen kassierten zwei Zwei-Minuten Strafen, und nach 47Minuten war aus dem 17:20 eine 21:20-Führung geworden. Die 11000 Zuschauer schrien vor Begeisterung, der Lärm war nun der einer Flotte startender Boeings.

Als dann Florian Kehrmann mit einem Drehwurf das 22:20 erzielte und der polnische Torwart eine Zwei-Minuten-Strafe erhielt, schien die Sache gelaufen zu sein. Doch kurz darauf erhielt auch der deutsche Abwehrchef Oliver Roggisch eine Zwei-Minuten-Strafe, so dass die Polen im Spiel blieben. Sieben Minuten vor Schluss stand es 23:23, das Spiel begann von Neuem. Dann flog Markus Baur vom Platz, und damit hatten die Polen die Partie gewonnen.

© SZ vom 22.01.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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