Handball:"Wir sind jetzt die kompletten Idioten"

THW Kiel - Rhein-Neckar Löwen

Opfer eines Machtkampfs: Andy Schmid (Mitte) mit den Rhein-Neckar Löwen in Kiel.

(Foto: Frank Molter/dpa)

Ein kurioser Handball-Samstag endet mit Niederlagen des deutschen Meisters Rhein-Neckar Löwen in Kiel und Kielce.

Von Michael Wilkening, Kiel

Als wäre alles nicht schlimm genug, gab es zur Halbzeit auch noch Häme. Die Schritte fielen Andy Schmid sowieso schon schwer, als er sich auf den Weg in Richtung Kabine machte. Mit dem Kapitän der Rhein-Neckar Löwen trotteten die Kollegen vom Feld, als der Hallensprecher die Stimme anhob. "Die Löwen haben hier nur ein Tor mehr geschossen als in Kielce", frohlockte der Mann mit dem Mikrofon. Die Zuschauer johlten, und einer von ihnen sagte wenig später am Bierstand: "Ich glaube, die haben zwei Mal die zweite Mannschaft geschickt."

Ein absurder Tag in der Geschichte des professionellen Handballs war noch nicht vorbei, aber für den Tabellenführer der Bundesliga schon gelaufen. "Das war ein Scheißtag für uns, ein Scheißtag für den Verein und ein Scheißtag für den Handball", fasste Schmid später die Eindrücke vom 22:27 der Löwen-Profis zusammen. Zur Pause lagen sie beim THW Kiel bereits 9:17 zurück, was Quervergleiche zur eigenen zweiten Mannschaft zuließ, die kurz zuvor im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Polens Meister KS Kielce nach 8:21 zur Halbzeit mit 17:41 verlor.

Der Europa-Verband widersetzt sich dem Diktat der Bundesliga

Der seit langem schwelende Terminstreit zwischen der Bundesliga (HBL) und dem europäischen Verband (EHF) gipfelte darin, dass die Löwen an einem Tag gleich zwei wichtige Spiele bestreiten mussten. Weil es dem Klub aus Mannheim jedoch an magischen Kräften mangelt und der Mensch aufgrund physikalischer Grenzen nicht zeitgleich an zwei Orten sein kann, mussten sich die Löwen entscheiden: Die beste Mannschaft reiste nach Kiel, das Reserveteam aus der dritten Liga nach Kielce. Die Champions-League-Ambitionen schenkten die Badener so notgedrungen ab, und in der Liga gab es einen bitteren Rückschlag.

"Wir sind jetzt die kompletten Idioten", sagte Schmid mit Blick auf die Leistung in Kiel, aber im Grunde steht dieser Satz sinnbildlich für die gesamte Sportart. Die leidet unter einem Machtkampf zwischen EHF und HBL, bei dem es um die Frage geht, welcher Verband wichtiger für die Entwicklung dieses Sports ist. Beide Verbände sind überzeugt davon, die Lokomotive des Handballs zu sein. Pikanterweise können sowohl die EHF als auch die HBL große Zugkraft entfalten. Doch keine Organisation ist bereit, zurückversetzt zu fahren, sobald nur ein Gleis zur Verfügung steht.

Die deutsche Liga hat durch einen im vergangenen Sommer in Kraft getretenen Fernsehvertrag die Chance, zwei Bundesligaspiele pro Saison live zur besten Sportschau-Zeit am Samstagabend, wenn die Fußball-Bundesliga pausiert, in der ARD zu übertragen. Die HBL und die beteiligten Klubs erreichen damit auf Klubebene eine lukrative und äußerst seltene Zuschauer-Reichweite jenseits der Millionengrenze. Deshalb nahmen sie die Termin-Konfrontation mit der EHF bewusst in Kauf, deren Champions-League-Termine länger als ein Jahr im Voraus festgelegt werden - und setzten darauf, dass in Abstimmung mit dem europäischen Verband und den betroffenen Klubs im Ausland schon eine Lösung gefunden werde. In der Vergangenheit hatten sich auch auf europäischer Ebene deutsche Interessen meist durchgesetzt, da der Bundesliga-Werbemarkt der wichtigste für den Handball ist. Das hatte nicht nur Zustimmung gefunden.

"Uns wurde oft vorgeworfen, dass wir zu deutschland-freundlich handeln würden. Diesmal haben uns viele Klubs gelobt, dass wir uns nicht den Wünschen der HBL gebeugt haben", sagte EHF-Präsident Michael Wiederer (Österreich). In der EHF-Zentrale in Wien ist der Ärger über den deutschen Ligaverband seit Jahren groß, denn mehrmals kam es zu Terminüberschneidungen. Vor zwei Jahren trug die HBL ihr Pokal-Finalwochenende zeitgleich zum Viertelfinale in der Champions League aus - und schrammte nur knapp an einer ähnlichen Konstellation vorbei, wie sie jetzt die RN Löwen beklagten.

Die führenden Klubs in Europa - FC Barcelona, Paris Saint-Germain oder KC Veszprem/Ungarn - sind wie die EHF nicht mehr bereit, sich dem Diktat aus Deutschland zu unterwerfen. Die gewünschte Ausweitung der Champions League scheiterte lange am Veto der Bundesliga. Diese ist sportlich und wirtschaftlich lukrativer als die nationalen Ligen im übrigen Europa und begründet damit eine Sonderrolle. Wird eine solche der HBL nicht eingeräumt, reagieren die Vertreter dünnhäutig. "Unprofessionell", nennt Ligachef Frank Bohmann den Terminstreit. Die Fronten sind verhärtet. Die TV-Verträge gelten bis 2020, der Rahmenterminkalender der EHF sieht weitere Überschneidungen vor: Im November 2018 und im März 2019, wenn die ARD erneut Handball-Live-Spiele zur Sportschau-Zeit plant, sind auch Champions-League-Spiele angesetzt.

Ein Lösung, die der Bundesliga auch kaum schmecken dürfte, hat die EHF bereits angekündigt. So soll die Liga neben ihren zwei garantierten Startplätzen keine Wildcard mehr für die Champions League bekommen. In der Spielzeit danach könnte es nach einer neuerlichen Reform sogar nur noch einen deutschen Teilnehmer geben. So kann man sich eines Problems auch entledigen. Aber vermutlich lädt man sich dadurch ein neues auf.

Apropos: Andy Schmid, der Schweizer, in Deutschland 2017 zum Handballer des Jahres gewählt, erzielte in Kiel drei Treffer. Das ist weit unter seiner Standard-Quote. Es war wirklich ein Witz-Tag in der Handball-Historie: Der Meister verliert zugleich in Kiel und Kielce.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: