Handball:Reichmann ist der König Europas

KS Vive Kielce - MKB Veszprem

Der zweite große Pokal im Jahr 2016: Tobias Reichmann war mit neun Toren im Finale bester Werfer.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Es gibt nur einen Handballer, der in dieser Saison EM und Champions League gewinnen konnte: Tobias Reichmann macht Mut für Olympia.

Von Ulrich Hartmann, Köln

Der Handballer Tobias Reichmann erlebt gerade das beste Jahr seiner Karriere. Und dabei ist es noch nicht mal zu Ende. Der 28 Jahre alte Berliner ist im Januar mit der Nationalmannschaft überraschend Europameister geworden. Am Sonntagabend holte er in Köln mit seinem polnischen Klub KS Vive Kielce ebenso überraschend den Champions-League-Titel. Und im August wird Reichmann mit der deutschen Mannschaft zu den Olympischen Spielen nach Rio de Janeiro reisen. Gegen eine weitere Überraschung dort hätte er vermutlich nichts einzuwenden. An diesem Dienstag benennt Bundestrainer Dagur Sigurdsson seinen Olympiakader.

Der Rechtsaußen Reichmann, der 2010 und 2012 bereits mit dem THW Kiel die Champions League gewonnen hat, ist schon jetzt der herausragende deutsche Spieler des Jahres 2016, und er hat beste Chancen, am Ende Handballer des Jahres zu werden. Und, nicht zu vergessen: mit Vive Kielce ist er ja auch polnischer Meister.

An die Kölner Arena hatten Reichmanns Klubkollegen Grzegorz Tkaczyk, Karol Bielecki, Krzysztof Lijewski und Michal Jurecki eine schmerzliche Erinnerung, weil sie dort am 4. Februar 2007 das WM-Finale gegen Deutschland verloren hatten. Tkaczyk und Bielecki haben seinerzeit noch für Magdeburg gespielt, Lijewski war beim HSV Hamburg, bloß Jurecki spielte schon damals für Kielce. Neun Jahre und vier Monate später war das Quartett (plus dem Kielcer Manager und damaligen polnischen Nationaltrainer Bogdan Wenta) nach Köln zurückgekehrt, um den größten Titel im Klubhandball zu gewinnen.

Ein Spiel ohne Angst und Druck

2013 und 2015 hatte Kielce in Köln das Spiel um Platz drei jeweils gegen Kiel gewonnen. Jetzt gelang ihnen nicht nur gegen favorisierte Pariser der erste Endspieleinzug, sondern gegen den ungarischen Meister MVM Veszprem in einer denkwürdigen Partie auch der erste Champions-League-Titel für ein polnisches Team.

Nach 46 Minuten war die Sache zugunsten der Männer aus Veszprem scheinbar entschieden. 28:19 führten sie - spielten fortan aber auch so. Tor um Tor holten die Polen auf. "Ganz ehrlich, ich habe selbst nicht mehr daran geglaubt", verriet Reichmann. Dieser fehlende Glaube war vermutlich das größte Glück der Kielcer. Denn so spielten sie ohne Angst und Druck. "Wir haben den Kopf ausgeschaltet und uns in einen Rausch gespielt", sagte Reichmann.

"Er hat ein unglaubliches Jahr bei uns gespielt"

Das 23:28 erzielte er in der 50. Minute vom eigenen Kreis aus ins leere Veszpremer Tor. Danach dauerte es noch sieben Minuten, ehe die Kielcer zum 28:28 ausglichen. Erst in diesem Moment fingen sich die Ungarn wieder. Die Partie war nun spannend über die 60. (29:29) und die 70. (35:35) Minute hinaus bis ins Siebenmeterwerfen, das die Polen 4:3 für sich entschieden. Den vorletzten Siebenmeter für Kielce verwandelte Reichmann, den letzten zum Sieg Julen Aguinagalde aus Spanien. Mit ihm zusammen war Reichmann bei der EM im Januar ins All-Star-Team berufen worden.

Im Viertelfinale hatten Reichmann und Kielce die SG Flensburg-Handewitt aus der Champions League geworfen - mit einem einzigen Treffer Vorsprung, der auf einer Fehlentscheidung beruhte. Reichmann, den man im Spiel seines Teams bisweilen mit einer Eckfahne verwechseln könnte, weil er als Rechtsaußen oft stoisch in seiner Ecke wartet, hatte zum 28:26 im Halbfinale gegen Paris zunächst vier Treffer beigetragen und steigerte sich im Endspiel mit neun Treffern zum überragenden Torschützen. Schon bei der EM war er mit 46 Toren Deutschlands bester Werfer.

"Er hat ein unglaubliches zweites Jahr bei uns gespielt", sagte Kielces Trainer Talant Duschebajew, 47, der sich nun Champions-League-Sieger-Trainer nicht mehr nur mit Ciudad Real nennen darf, sondern auch mit Kielce. "So ein Spiel gibt es nur alle 40 Jahre", sagte Duschebajew, nachdem er aus dichtem Glitterregen in der Arena wieder herausgetreten war. Wenn einer wie Duschebajew das sagt, wird es vermutlich sogar aufs Jahr genau stimmen.

Die Erfahrung seines Trainers hat Reichmann noch nicht, aber nach drei sehr erfolgreichen Jahren in Kiel (2009-2012), zweien in Wetzlar (2012-2014) und zwei nun auch schon starken in Kielce (180 Kilometer südlich von Warschau) wird sich der Familienvater später einmal nicht viel vorzuwerfen haben. Ein Jahr läuft sein Vertrag in Polen noch, dann will Reichmann in die Bundesliga zurück. Es dürfte nicht allzu schwer werden, einen Verein für Deutschlands derzeit erfolgreichsten Handballer zu finden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: