Handball:Patienten und Rentner

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Nur der Schwede Magnus Wislander erzielte für den THW mehr Bundesliga-Tore als der tschechische Nationalspieler Filip Jicha. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Trotz einer kuriosen Personalsituation erreicht der THW Kiel zum vierten Mal in Serie die Champions-League-Endrunde.

Von Joachim Mölter, Kiel/München

So eine große Geburtstagsparty wie am Sonntagabend wird Filip Jicha wohl für den Rest seines Lebens nicht mehr feiern - mit mehr als 10 000 Gästen. Die waren zwar in erster Linie gekommen, um den Handball-Rekordmeister THW Kiel im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League gegen den ungarischen Klub Pick Szeged anzufeuern; es galt ja, das 29:31 aus dem Hinspiel aufzuholen. Aber weil sie schon mal da waren, feierten sie nach dem ungefährdeten 31:23 (18:10)-Erfolg und dem Einzug ins Final-Four-Turnier in Köln (30./31. Mai) auch gleich lautstark den 33. Geburtstag des Kieler Kapitäns. Jicha hatte mit acht Toren maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass auch in diesem Jahr eine deutsche Mannschaft beim Gipfeltreffen der vier besten europäischen Klubs dabei ist.

"Einen Wunschgegner für das Final Four habe ich nicht", sagte Jicha, der mit dem THW zum vierten Mal nacheinander die Champions-League-Endrunde erreicht hat: "Das größte Geschenk haben mir heute sowieso die Fans und meine Mannschaft gemacht - die Atmosphäre war einfach großartig, die Zuschauer waren unglaublich." Schon Minuten vor dem Abpfiff, beim Stand von 25:15, stimmte das Publikum den Partyhit "Viva Colonia" an.

Bereits am Montag machten sich dann die ersten Kieler auf den Weg nach Köln, Manager Thorsten Storm führte eine THW-Delegation an, die an diesem Dienstag der Auslosung der beiden Halbfinals beiwohnen wird. Als Gegner kommen der Rekord-Champions-League-Sieger FC Barcelona, Polens Serienmeister KS Kielce sowie der ungarische Spitzenklub MKB Veszprem in Frage. "Egal, auf wen wir treffen, es wird schwierig", sagt THW-Trainer Alfred Gislason: "Wir sind jedenfalls nicht die Favoriten in Köln." Das, so der Isländer, seien für ihn diesmal die Spanier aus Barcelona.

2012 haben die Kieler die Champions League zuletzt gewonnen, in den Jahren danach mussten sie mitansehen, wie jeweils nationale Rivalen den Pokal mit nach Hause nahm, erst der HSV Hamburg (2013), dann die SG Flensburg-Handewitt (2014). Dass Gislason die Favoritenbürde nun von sich weist, hat aber wohl eher damit zu tun, dass er derzeit auf eine ersatzgeschwächte Mannschaft zurückgreifen muss. Zuletzt waren die Linksaußen Dominik Klein (Kreuzbandriss) und Rune Dahmke (Außenbandanriss) ausgefallen bzw. angeschlagen, für diese Position hat der THW Anfang April den im vorigen Jahr zurückgetretenen Henrik Lundström, 35, reaktiviert. Der Schwede war schon zwischen 2004 und 2012 in Kiel aktiv, seit vorigem Sommer ist er in Göteborg Sportdirektor des Erstligisten Redbergslids IK, eine Aufgabe, die er nun von Kiel aus erledigen will.

Damit nicht genug hatte sich auch im Tor eine Lücke aufgetan: Erst zog sich der Schwede Andreas Palicka einen Sehnenanriss im linken Oberschenkel zu. Dann wurde bei seinem Landsmann Johan Sjöstrand Maltafieber diagnostiziert, ein Infekt, den er sich vermutlich Ende Januar bei der WM in Katar eingefangen hat und der ihn nun für den Rest der Saison lahmlegt. Weil die Wechselfrist schon abgelaufen war, überredete Manager Storm den einstigen THW-Keeper Steinar Ege zu seinem Comeback und holte den 42 Jahre alten Norweger aus dem Handball-Ruhestand.

Ege kam im Viertelfinal-Rückspiel gegen Szeged auch zum Einsatz, er wehrte sogar einen Siebenmeter ab. Aber die meiste Zeit stand der genesene Palicka im Tor, neben Filip Jicha avancierte er zum Matchwinner. "Er hat nach wochenlanger Pause in den ersten 20 Minuten und nach der Halbzeit fantastisch gehalten", lobte Trainer Gislason. Manager Storm bezog die medizinische Abteilung des Klubs in das Kompliment mit ein: "Unglaublich, dass Andreas Palicka spielen konnte." Der so Hochgelobte selbst sprach von "vielen Behandlungsterminen" und einer "Super-Hilfe der Athletik-Trainer", warnte aber: "Das heißt nicht, dass alles schon gut ist. Ich muss schauen, wie das Bein reagiert."

Viel Zeit zum Schauen bleibt ihm freilich nicht, bereits am Mittwoch steht das nächste Bundesliga-Spiel auf dem Programm, zu Hause gegen FrischAuf Göppingen. Erst danach kann Palicka seine Verletzung in Ruhe auskurieren: Wegen der EM-Qualifikation der Nationalmannschaften und des deutschen Pokalfinales macht der Ligabetrieb drei Wochen Pause. Dass der Liga-Rivale Rhein-Neckar Löwen nach der Auswärtsniederlage in Wetzlar (27:31) am Wochenende den Kampf um die Meisterschaft fast verloren hat, veranlasste die Kieler am Sonntag indes noch nicht zum Feiern. "Natürlich nicht", wie Palicka mahnte; auch der THW habe in dieser Saison schon unerwartet verloren, erinnerte er. Eine Meisterfeier gibt es erst, wenn der neuerliche Titelgewinn feststeht. Und am Sonntagabend gab es schließlich genug andere Gründe zum Feiern.

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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