Handball:Monster gesucht

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„Gewisse Resignation“: Trainer Alfred Gislason scheint die Probleme gerade nicht lösen zu können.

(Foto: Oliver Ruhnke/imago)

Der THW Kiel startet so schwach wie seit 15 Jahren nicht mehr in die Saison. So mancher schreibt den Titel bereits ab - und stellt Trainer Gislason infrage.

Von Carsten Scheele, Kiel/Hannover

Als wäre die Situation für Alfred Gislason nicht schlimm genug, streikte seine Bandscheibe in dieser Woche endgültig. Der Trainer des THW Kiel hatte gehofft, den fälligen Eingriff nach seinem Vorfall im vergangenen Frühjahr noch bis zur EM-Pause im Januar hinauszögern zu können, doch der Rat der Ärzte wurde dringlicher. "Es ging einfach nicht mehr", erklärte Gislason, am Freitag wurde der 58-Jährige vom Kieler Wirbelsäulen-Spezialisten Dr. Philipp Lübke operiert. Alles lief wunschgemäß, der Trainer wird lediglich ein paar Tage aussetzen müssen. Am Sonntag beim schweren Champions-League-Auswärtsspiel beim polnischen Spitzenklub Kielce lässt sich Gislason von seinem Assistenten Christian Sprenger vertreten.

Weltmeister Christian Zeitz sagt: "Der Zug deutsche Meisterschaft ist abgefahren."

Der international anerkannte Toptrainer fehlt, doch die Frage ist, ob dieser Umstand für den THW in der aktuellen Konstitution tatsächlich eine Schwächung darstellt. Gislason wird - wie im Übrigen auch Manager Thorsten Storm - beim Handball-Rekordmeister mittlerweile offen in Frage gestellt, und das ist kein plumper Versuch, die Hauptverantwortung für die aktuelle Krise dem Trainer unterzuschieben. Zweifel an seiner eigenen Person nährt der Isländer sogar selbst. Nach der 22:30-Niederlage beim Mittelklasseteam HSG Wetzlar, als Kiel in der zweiten Halbzeit in Führung liegend einbrach, sagte Gislason ein paar Sätze, die kaum einer zuvor von ihm gehört hatte. Ja, es gebe eine "gewisse Resignation" in der Mannschaft, gab Gislason zu, als hätten einige Spieler vergessen, dass es im Handball hilft, an sich selbst und das eigene Können zu glauben - was im Übrigen über Jahrzehnte hinweg eine der großen Kieler Stärken gewesen ist. "Ich muss mich fragen, warum die Mannschaft so verunsichert ist", erklärte Gislason konsterniert. Seine Vermutung: "Das geht garantiert auf meine Kappe."

Es könnte Gislason einige Anstrengung und Überredungskunst kosten, will er zunächst den Oktober und anschließend den Rest der Saison als Trainer des THW Kiel überstehen. Am Tag nach der Schmach von Wetzlar, den Gislason gezwungenermaßen im Bett verbrachte, waren aus Kiel wenig aufmunternde Worte zu vernehmen. "Wir reden jetzt intern", lautete einer der wenigen überlieferten Sätze aus der Führungsetage des Vereins. Gut informierte Medien berichteten bereits, dass Gislason kurz vor der Ablösung stehen soll. In der Mannschaft ist der Trainer nicht mehr unumstritten, seine Aufstellungen sorgen bereits seit Wochen für Verärgerung. Nach zwei verpassten Meisterschaften wollte der 20-malige deutsche Meister in dieser Saison endlich den Spitzenplatz zurückerobern, wie immer mit dem kräftigsten Etat der Liga (9,5 Millionen Euro), mit einer Mannschaft, die sich auf dem Papier wie eine der besten Europas liest, als beste in Deutschland sowieso. Doch nach sechs Bundesliga-Spielen hat der THW schon drei irritierende Niederlagen gesammelt, gegen Hannover, in Melsungen, nun in Wetzlar. Rang neun, 6:6 Punkte, so die Zwischenbilanz - es ist der schlechteste Saisonstart seit 15 Jahren. Wie soll das erst werden, wenn es gegen den Nordrivalen Flensburg und, bereits Anfang Oktober, gegen die Rhein-Neckar Löwen geht?

Ist es Gislason misslungen, eine austarierte Mannschaft zu formen?

In Wetzlar wurde Kiel etwas über eine halbe Stunde seiner Favoritenrolle gerecht, exakt bis zur 37. Minute. Niclas Ekberg hatte per Siebenmeter das 18:17 erzielt, als Wetzlar in Unterzahl den Torwart zugunsten eines Feldspielers herunternahm. Ein normales Manöver im Handball, doch es reichen momentan kleine Finten, um die Kieler in die Verunsicherung zu treiben. Von diesem Zeitpunkt an gelang dem THW jedenfalls nichts mehr, Wetzlar glich aus, wenig später lag Kiel 18:23 zurück. Der THW war weit davon entfernt, die Partie noch einmal zu drehen, das Team hätte sich "ab einem gewissen Zeitpunkt aufgegeben", räumte Rune Dahmke ein. Weltmeister Christian Zeitz formulierte es in den Kieler Nachrichten noch drastischer. "Der Zug deutsche Meisterschaft ist abgefahren", sagte er; es gehe nur noch darum, die Ehre zu retten.

Auch Gislason, der die Mannschaft zu sechs Meisterschaften und zwei Champions-League-Titeln geführt hat, gestand seine Enttäuschung ein, auch über seine fehlerhafte Kaderplanung, da es ihm offensichtlich misslungen ist, eine austarierte Mannschaft zu formen. In jeder erfolgreichen Phase hatte der THW bislang ein paar Mentalitätsmonster, die vorangingen, wenn das Team einmal die Nerven verlor. Diesen Job kann Kapitän Domagoj Duvnjak nach seiner Knie-OP erst im Oktober wieder ausfüllen. Eine weitere Führungskraft, der Nationaltorhüter Andreas Wolff, scheint zu sehr mit den Gedanken an einen Vereinswechsel beschäftigt zu sein, als dass er aktuell Topleistungen abrufen könnte. Typen eines Kalibers wie Stefan Lövgren, Marcus Ahlm oder Filip Jícha, die es in Kiel allesamt zum Heldenstatus gebracht haben, werden vermisst. "Die fehlen heute", sagt auch Gislason.

Eine solche Unwucht im Kader lässt sich kurzfristig kaum beheben, und so muss Gislason versuchen, die Saison mit dem vorhandenen Personal zu retten - wenn er denn weitermachen darf. Er stehe zu seinen Spielern und auch zur geleisteten Arbeit, sagte Gislason. Doch darauf kommt es wohl nicht mehr an.

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