Handball:Mit Klugheit zum Titel

Frankreichs Frauen-Nationalteam überlistet beim WM-Finale in Hamburg mit taktischem Geschick und defensiver Härte den großen Favoriten Norwegen.

Von Saskia Aleythe, Hamburg

Es gibt einen Unterschied zwischen fiesen Gegentoren und normalen Gegentoren. Fiese Gegentore sind für einen Torhüter solche, die verdeckt durch die Abwehr geschossen kommen, Reaktionsmöglichkeit: verdammt kurz. Auch Amandine Leynaud hat bei dieser Handball-WM ein paar fiese Gegentore kassiert, doch als sie am Sonntagabend schluchzend auf dem Boden lag, die Hände vorm Gesicht, war für die Torhüterin alles vergessen. Die Französin ist 31 Jahre alt und hat schon zwei Mal in einem WM-Finale gestanden, zwei Mal ging sie mit einer Silbermedaille nach Hause. Beim dritten Mal nicht.

Es war 19.38 Uhr, als die Marseillaise durch die Hamburger Arena dröhnte, Leynaud mit ihren Kolleginnen den WM-Pokal küsste, die Glitterfontäne regnete Goldschnipsel hinein, und im Publikum machte ein Großteil der 11 200 Zuschauer bedröppelte Gesichter. Norwegen war durch dieses Turnier marschiert, zahlreiche Fans hatten sich Finaltickets besorgt, doch dann tanzte Frankreich. Und Norwegen litt. Nora Mörk, mit 66 Treffern beste Torschützin des Turniers, wandte sich ab von der Siegerehrung, die Silbermedaille hatte sie sofort unter der Trainingsjacke versteckt. Das 23:21 (11:10) war dabei nicht nur eine Revanche für das WM-Finale von 2011. "Heute hat die beste Abwehr gegen den besten Angriff gespielt", sagte Frankreichs Trainer Olivier Krumbholz und beantwortete somit die Frage, wie man den dreimaligen WM-Sieger Norwegen stoppen kann: mit großer Defensivleistung.

*** BESTPIX *** France v Norway - 2017 IHF Women's Handball World Championship Final

Der verdiente Lohn: Frankreichs Kapitänin Siraba Dembélé stemmt nach dem Finalsieg in Hamburg die WM-Trophäe hoch.

(Foto: Oliver Hardt/Getty Images)

Was hatte nicht alles für einen Finalsieg der Skandinavierinnen gesprochen: Erbarmungslos waren sie durch die Ausscheidungsrunde getobt, hatten nach nur einem Vorrundenausrutscher gegen Schweden im Viertelfinale Rekordsieger Russland mit 34:17 demontiert und Bronze-Gewinner Holland im Halbfinale mit 32:23 ohne Chance gelassen. Die Französinnen hatten mehr zu kämpfen gehabt, auch gegen mitunter leichtere Gegner: Die WM startete für sie mit einer Niederlage gegen Slowenien, ein Remis gegen Spanien kam hinzu, das Halbfinale gegen Schweden entschieden sie erst in den letzten fünf Minuten für sich. "Der Druck lag heute bei Norwegen", sagte Krumbholz also richtig, "wir waren nicht Favorit - und das haben wir genutzt."

Wer modernen Handball sucht, kommt an den Norwegerinnen nicht vorbei, sie spielen vor allem über Tempo und sind mit schnellen Angriffen erfolgreich. "Diese Attacken wurden heute von Frankreich unterbunden", sagte Stine Skogrand mit geröteten Augen, "sie waren heute einfach die klügere Mannschaft." Und diese Klugheit ist auch das Ergebnis eifriger Tüfteleien von Trainer Krumbholz. "Nicht jede Spielerin ist gut in der Abwehr, nicht jede gut im Angriff", erklärte er nach dem Finale, er sucht nicht nach Allroundern, sondern bastelt sich fast minütlich ein neues Team zusammen. "Das ist sehr, sehr anstrengend", sagte er und lachte erschöpft. Allein im linken Rückraum wechselte er zwischen vier Spielerinnen durch.

Die Handball-Weltmeisterinnen seit 1990

Jahr: 1990, Gewinner: Russland, Deutsche Platzierung: 3. (DDR)

1993, Deutschland, 1.

1995, Südkorea, 5.

1997, Dänemark, 3.

1999, Norwegen, 7.

2001, Russland, nicht qualifiziert

2003, Frankreich, 12.

2005, Russland, 6.

2007, Russland, 3.

2009, Russland, 7.

2011, Norwegen, 17.

2013, Brasilien, 7.

2015, Norwegen, 13.

2017, Frankreich, Achtelfinale

Hochklassige Partien hatte man bei dieser WM selbst in den Ausscheidungsspielen nicht immer gesehen, wofür das Endspiel entschädigte. Auch als sich Norwegen nach 13 Minuten mit 7:4 etwas absetzen konnte, blieb Frankreich konzentriert und erarbeitete sich eine 11:10-Führung zur Halbzeit. Trotz Unterzahl konnte das Team auf 13:10 ausbauen, Norwegen glich durch stark herausgespielte Tore von Veronica Kristiansen und Mörk zum 17:17 aus (44.). Die Abwehr um den Innenblock mit Camille Ayglon-Saurina und Beatrice Edwige zermürbte Norwegen zusehends, wann immer ein Ball Richtung Tor flog, waren ihre Arme dazwischen. "Sie waren herausragend", befand Trainer Krumbholz. Sein Gegenüber Thorir Hergeirsson wirkte freilich zerknirscht. "Die Spielerinnen haben sehr hart gearbeitet, aber in der letzten Partie nicht ihr Bestes gezeigt", sagte der 53-Jährige und verwies auch auf die eigenen Torhüterinnen: "Sie hatten heute nicht ihren Tag." Schon vor dem Endspiel wurden die besten Spielerinnen des Turniers vom Weltverband IHF bestimmt, was für Norwegens Katrine Lunde kein gutes Omen darstellte: Im Endspiel hielt sie - als frisch gekürte beste WM-Torhüterin - gerade mal drei Bälle, Ersatzfrau Kari Grimsbö parierte einen Strafwurf. Erfolgreicher war auf der anderen Seite Leynaud: Mit zehn Paraden hatte sie wie schon in der ganzen Finalrunde geglänzt. Was Krumbholz auch zu der Ansprache brachte: "Wir haben den besten Torhüter des Turniers."

Ein paar Wunden hat Krumbholz in seinem Leben als Handballtrainer schon davongetragen, was zum einen daran liegt, dass er mit einer Unterbrechung von drei Jahren seit 1998 Nationaltrainer ist. Und zum anderen daran, dass er in dieser Zeit auch ein paar Mal gegen die Norwegerinnen antreten musste. "Meine Mannschaft hat in der Vergangenheit auch schon ein paar Spiele verloren", resümierte er in Hamburg mit der Goldmedaille um den Hals, er erinnerte sich etwa an die jüngste EM 2016 mit dem Halbfinal-Aus gegen Norwegen, er wollte den Schmerz der Vergangenheit betonen, der die Zufriedenheit umso stärker hervorhob. Und wertvoller machte denn je: Diese Norwegerinnen hatte er nun doch einmal besiegen können.

Es ist der zweite Titel nach 2003, auch damals war Krumbholz schon Trainer, für Frankreich schließt sich damit zum Jahresende ein Kreis: Im Januar holten die Männer den WM-Titel, nun haben auch die Frauen bewiesen, dass sie das beste Handballteam weltweit sind.

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