Handball:7:1 mit Händen

Brasilien feiert den Handball-Erfolg gegen Deutschland als kleine Revanche für die Halbfinal-Niederlage bei der Fußball-WM 2014 in Belo Horizonte.

Von Maik Rosner

Dagur Sigurdsson saß auf dem Medienpodium und richtete die Augen auf den Zettel in seinen Händen. Starr war sein Blick. Gerade so, als könne er nicht fassen, was aus der Statistik abzuleiten war. "Wir hatten so viele gute Phasen. Schade, dass wir das Spiel nicht unter Kontrolle brachten", sagte der Handball-Bundestrainer.

Dass er nach dem unerwarteten 30:33 seiner Europameister gegen den Gastgeber (und dem damit verpassten vorzeitigen Viertelfinaleinzug) lange unbehelligt auf den Zettel starren konnte, lag auch an den Problemen seines Kollegen. Der nämlich sollte über Fußball reden. Was Jordi Ribera Romans, 53, zunächst nicht begriff. Fußball? Dabei hatte der Trainer doch soeben erst die Handballer aus Brasilien zu ihrem ersten Sieg gegen die Deutschen dirigiert. Nach zuvor neun Niederlagen. Und jetzt? Fußball? "Daran haben wir noch gar nicht gedacht", sagte Romans, nachdem ihm erklärt worden war, um was es geht. Um dieses verflixte 1:7! Um jene Halbfinal-Niederlage der Seleção mit dem berühmten Neymar bei der Fußball-WM 2014.

Romans blieb wohl der einzige siegreiche Brasilianer, der sich weigerte, eine tiefergehende Querverbindung zu ziehen. Vermutlich, weil er gebürtiger Spanier ist.

Die rund 11 000 Zuschauer in der nahezu ausverkauften Arena do Futuro wirkten hingegen durchaus so, als spürten sie eine späte Form der Genugtuung, wenngleich dieser geschichtsträchtige Erfolg mit den Händen erworfen wurde. Einen infernalischen Lärm hatte das Publikum veranstaltet. Jedes Tor, jede Parade und jeder Ballgewinn wurden frenetisch gefeiert. Gerade so, als handele es sich nicht um ein mittelwichtiges Vorrundenspiel, sondern um das Finale um Gold. Oder gar die offizielle Revanche für den bitteren Kick von Belo Horizonte. Die Anleihen der torcedores, der Fans, beim Fußball und den dort üblichen Gesängen waren jedenfalls eindeutig.

Spontane Straßenfeste wurden in Rio nach dem Sieg der Handballer zwar nicht gesichtet. Auch sind aus den Favelas keine Feuerwerke aufgestiegen, wie man sie in Deutschland allenfalls an Silvester kennt, die in Brasilien nach großen Fußballspielen aber zum nächtlichen Panorama gehören. Und doch wirkte der Sieg der Handballer wie ein kleiner Trost für jene Fußballschmach, die höchste Niederlage des fünfmaligen Weltmeisters überhaupt.

"Historischer Sieg", schrieb O Globo, dieser werde "immer in Erinnerung bleiben bei denen, die Sport verfolgen und mögen". Zitiert wurde zudem Brasiliens erfolgreichster Werfer Fábio Chiuffa, der in Spanien als Rechtsaußen bei BM Guadalajara spielt, acht Tore erzielte und sagte: "Es ist immer gut, gegen Deutschland zu gewinnen. Wir haben den Fußball gerächt, besonders nach diesem 1:7."

Der aktuelle Panamerikameister Brasilien hat im Welthandball bislang keine bewegende Rolle gespielt. Als beste Ergebnisse stehen Platz 13 von der WM 2013 und Platz zehn bei Olympia 2004 in der Bilanz. Jetzt rechnet Bob Hanning, Vizepräsident Leistungssport des Deutschen Handball-Bundes (DHB), den Gastgebern gar eine "Halbfinal-Chance" zu. Er sagte: "Das war eine große Leistung, sehr diszipliniert, zudem spielen sie auf dem eigenen Kontinent." Sigurdsson meinte: "Brasilien wird Spiel für Spiel wachsen." Ein Kompliment, das als Ablenkung von der eigenen Leistung gewertet werden kann.

Die besonders in der Abwehr dürftig blieb. 91 Gegentore kassierte die DHB-Auswahl trotz ordentlicher Torwart-Leistungen von Andreas Wolff (THW Kiel) und Silvio Heinevetter (Füchse Berlin) bislang - in den ersten drei Spielen beim EM-Triumph im Januar waren es nur 79. Was heißt: 33 Gegentore sind auch gegen überfallartig konternde Brasilianer zu viel.

"Ich habe riesiges Vertrauen in unsere Truppe", sagt der Bundestrainer dennoch vor den letzten Vorrunden-Duellen gegen Slowenien am Samstag (14.30 Uhr MESZ) und Ägypten am Montag (16.30 Uhr MESZ). Nach Siegen gegen Schweden und Polen hat die deutsche Auswahl weiterhin gute Aussichten, einen der vier Viertelfinal-Plätze zu erreichen, die in der Sechser-Gruppe ausgespielt werden. Zumal seine Mannschaft, so Sigurdsson, zuletzt auf Rückschläge stets eine starke Reaktion gezeigt habe: "Wir werden unseren Weg hier in Rio fortsetzen."

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