Handball:Meister in Frack und mit Zylinder

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Umgezogen: Die Spieler des THW Kiel im Anzug statt im Handballtrikot. (Foto: Axel Heimken/dpa)

Obwohl die Rhein-Neckar Löwen teilweise auf Augenhöhe waren, feiert der THW Kiel am Ende einer Saison "mit viel Bastelei" seine 20. deutsche Meisterschaft.

Von Jörg Marwedel, Kiel

Diesmal sind die Spieler des THW Kiel auf dem Rathausbalkon und auf der Bühne davor nicht in Raumanzügen, Königsmänteln oder goldenen Umhängen aufgetreten wie bei anderen Meisterfeiern, sondern in Frack und mit Zylinder. Auf den edlen Hüten prangte eine 20 für den 20. Titel des Rekordmeisters. Profis, die zum ersten Mal dabei waren (etwa Joan Canellas, Domagoj Duvnjak, Steffen Weinhold oder Rune Dahmke) mussten singen vor mehr als 10.000 Kielern. Am Himmel ging ein Feuerwerk nieder. Dass es gar nicht für den neuen und alten deutschen Handball-Meister zelebriert wurde, sondern zur Taufe des Ozeanriesen "Schiff 4", störte nicht. Es passte prima zu jenem Abend, an dem die Stadtbewohner die vergangenen sportlichen Niederschläge vergaßen - den knapp verpassten Zweitliga-Aufstieg der Fußballer von Holstein Kiel am Dienstag und die Schlappen des THW im Final Four der Champions League vor einer Woche gegen Veszprem (Ungarn) und Kielce (Polen).

Bevor es so weit war, mussten die von vier Spielen in sechs Tagen geschlauchten THW-Handballer noch das "Freundschaftsspiel" gegen den TBV Lemgo mit 33:29 gewinnen. Es ging wirklich äußerst kollegial zu. Die Lemgoer hatten vorher den Klassenerhalt geschafft und gingen nicht mehr so rabiat zu Werke wie ein Team, das um die Existenz kämpft. Und die Kieler wussten, dass ihnen der Titel selbst bei einer Niederlage nicht mehr zu nehmen war, denn die Rhein-Neckar Löwen hätten in Magdeburg 25 Tore aufholen müssen. Es reichte aber "nur" zu einem 32:27 für die Badener. So durften - abgesehen von Duvnjak - noch einmal alle eingesetzten Spieler auf beiden Seiten mindestens ein Tor erzielen.

Applaus für den 2009 aus Kiel verbannten Uwe Schwenker

Und dann kam der Auftritt eines Mannes, dem der Klub viel zu verdanken hat: Uwe Schwenker. 17 Jahre lang war er der THW-Manager und sammelte unter anderem zwölf Meistertitel, sechs DHB-Pokalsiege und einen Champions-League-Gewinn ein, bevor sein Vertrag wegen einer Schiedsrichter-Bestechungsaffäre 2009 aufgelöst wurde. Obwohl er 2012 freigesprochen wurde, gab es für den einstigen "Uli Hoeneß des Handballs" kein Zurück zum THW. Dafür wurde er 2014 zum Präsidenten der Bundesliga gewählt. In dieser Funktion überreichte er nun etlichen alten Weggefährten die Plaketten, die Meisterschale und auch den Preis für den "Trainer des Jahres 2015", Alfred Gislason. Den Erfolgstrainer (inzwischen sechs Meisterschaften mit dem THW) hatte er noch 2008 als Nachfolger des Erfolgstrainers Zvonimir Serdarusic (elf Meisterschaften mit dem THW) aus Gummersbach geholt. Man merkte ihm die Genugtuung bei dem von Beifall begleiteten Auftritt an.

Gislason ist der erste Coach, der in vier Spielzeiten hintereinander mit seinem Klub den ersten Platz in der Bundesliga belegt hat, "obwohl es eine schwierige Saison mit viel Bastelei" war, wie er sagte. Zwar hat er Serdarusic nun mit der persönlichen Auszeichnung "Trainer des Jahres" mit vier zu drei überholt. Gleichwohl muss er den inzwischen 64-jährigen Deutsch-Kroaten künftig wieder fürchten. Serdarusic betreut künftig das Team von Paris Saint-Germain, jenen aus Katar bezuschussten Klub, der gerade dem Champions-League-Sieger FC Barcelona dessen wichtigsten Mann wegschnappte - den früheren Kieler Nikola Karabatic.

Der THW lehnt mehrere lukrative Angebote ab, aber sechs Spieler gehen

Auch die Kieler mussten sich wieder wehren gegen die Spitzen-Konkurrenz aus dem Ausland. Barcelona hatte wegen Duvnjak und Weinhold angefragt. Das lehnte Manager Thorsten Storm ab. Storm glaubt, dass die 2014 geholten Weinhold, Canellas und Duvnjak noch mehr zu Führungsspielern werden: "Die zünden die zweite Stufe." Andererseits müssen auch die Kieler Verluste hinnehmen. Sechs Spieler verlassen den Klub. Der größte Schaden ist der Weggang von Aron Palmarsson, 24. Der Isländer, der 2009 als "Junge von zwölf Jahren" aus Island kam, wie er witzelte, ist längst ein brillanter Spielmacher geworden. Jetzt zieht es ihn nach Veszprem, wo schon die früheren Kieler Christian Zeitz und Momir Ilic viel Geld verdienen. "Ich werde immer THW-Fan bleiben", sagte er zum Abschied.

Ob die Kieler trotzdem die europäische Spitze wieder angreifen werden? "Paris", sagt Alfred Gislason, "wird die nächsten Jahre der großer Favorit sein." Um wieder die Champions League zu gewinnen, müsse man nicht nur gut spielen, sondern auch viel Glück haben. Das hatten die Kieler zuletzt international nicht. Thorsten Storm ist etwas zuversichtlicher: Es gehe nicht nur ums Geld. Zudem komme "unser Wunschtorwart, der vielleicht beste Keeper der Welt": Niklas Landin von den Rhein-Neckar Löwen. Sollen doch die Größen aus Barcelona, Paris oder Veszprem an ihm verzweifeln.

© SZ vom 07.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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