Handball:Im Teich mit großen Hechten

Leipzig hat die Trainer-Turbulenzen gut gemeistert. Bei der Pokal-Endrunde ist das Team dennoch nur Außenseiter.

Von Joachim Mölter

DHfK Leipzig Erlangen Handball Maenner Leipzig 24 03 2017 Leipzig Arena Handball Bundesliga

Wurfgewaltig: Dank namhafter Verstärkung wie Nationalspieler Niclas Pieczkowski stehen Leipzigs Handballer unter den besten deutschen Klubs.

(Foto: Picture Point LE/Imago)

Im Pokal-Wettbewerb der deutschen Handballer haben sich im vergangenen Jahrzehnt gewisse Gesetzmäßigkeiten gebildet. Nämlich: Der deutsche Rekordmeister THW Kiel gewinnt immer auch den Pokal - sofern er es bis ins Final Four schafft, die Endrunde, die seit 1994 in Hamburg ausgetragen wird; in den vergangenen drei Jahren war Kiel nicht dabei, da gab's folglich andere Sieger. Zweitens: Die Rhein-Neckar Löwen, die aktuellen Meister, scheitern irgendwann an der SG Flensburg, bevorzugt im Halbfinale, wo sich die Teams auch an diesem Samstag treffen, mittlerweile im vierten Jahr nacheinander. Drittens: Flensburg, in den Nullerjahren dreimal in Serie Pokalsieger, vergeigt die Finals; eine Ausnahme wie 2015 bestätigt die Regel. Viertens: Zu den drei üblichen Titel-Verdächtigen gesellt sich ein üblicher Außenseiter, zuletzt war das der SC Magdeburg, nun ist es der SC DHfK Leipzig.

Dass die Leipziger den Magdeburgern auch gleich als Pokalsieger nachfolgen, ist unwahrscheinlich: Die Sachsen treten am Samstag im Halbfinale gegen Kiel an, da greift vermutlich wieder Pokalgesetz Nummer eins. Doch Leipzigs Trainer Christian Prokop sagt: "Wir sind der Karpfen im Teich mit drei großen Hechten, aber wir wollen über diese Rolle hinaus. Wir fahren dahin, um ins Finale zu kommen."

Nun scheinen Leipzigs Handballer tatsächlich ein Händchen dafür zu haben, gewisse Gesetzmäßigkeiten zu brechen. Zum Beispiel die, wonach sich ein Klub im zweiten Jahr nach dem Aufstieg schwerer tut als im ersten. Der SC DHfK Leipzig ist 2015 in die Bundesliga gekommen, hat Platz elf belegt und sich in dieser Saison noch verbessert, bislang auf Rang sechs, hinter den Titel- und Trophäengewinnern der jüngeren Vergangenheit: Flensburg, Rhein-Neckar Löwen, Kiel, Berlin, Magdeburg.

Der steile Aufstieg des Klubs hat viel mit dem 38 Jahre alten Christian Prokop zu tun, der gerade eine sogar noch steilere Karriere hinlegt: 2016 Trainer des Jahres in der Bundesliga, kürzlich vom Deutschen Handballbund (DHB) als neuer Bundestrainer engagiert worden, in der Nachfolge des nach Japan abgewanderten Isländers Dagur Sigurdsson. Dienstbeginn ist offiziell am 1. Juli, aber Prokop hat die Auswahl neulich schon mal betreuen dürfen bei zwei Länderspielen gegen Schweden.

Seine Abwerbung durch den Verband hat monatelang für Turbulenzen gesorgt, er hatte seinen Vertrag in Leipzig ja erst im Sommer verlängert, ohne Ausstiegsklausel. Der Klub gab Prokop nur nach zähen Verhandlungen und gegen eine vermutlich nicht bloß symbolische Ablöse frei. "Wir hätten gern weiter mit ihm zusammengearbeitet", sagt Leipzigs Geschäftsführer Karsten Günther: "Aber man muss das akzeptieren." Der frühere Nationalspieler Stefan Kretzschmar, 44, heute Aufsichtsrat-Mitglied in Leipzig, hält Prokop für "einen der talentiertesten Trainer überhaupt" und schwärmte jüngst im Interview mit der Handballwoche: "Er ist ehrgeizig, ein harter und akribischer Arbeiter. Zudem auch noch menschlich sehr in Ordnung."

Dass sich das Gezerre um den Trainer nicht negativ auf das Team ausgewirkt hat, führt Günther auf den "sehr guten Zusammenhalt im Verein" zurück: "Wir haben die Situation gut gemeistert. Es ist der Mannschaft hervorragend gelungen, sich auf die wichtigen Aufgaben in der Liga zu fokussieren." Und weil er vor der wichtigen Aufgabe im Pokal keine neue Unruhe schüren will, sagt Karsten Günther nichts zur Suche nach einem neuen Trainer: "Wir werden keine Wasserstandsmeldungen abgeben, aber wir sind auf einem guten Weg."

Das lässt sich über den ganzen Klub sagen, der seit 2007 einen neuen Aufschwung erfährt. Seine besten Jahre hatte der SC DHfK zu DDR-Zeiten, mit sechs Meistertiteln zwischen 1959 und 1966 sowie dem Europapokal der Landesmeister als Krönung. Karsten Günther, der die jüngste Entwicklung als Trainer mitangeschoben hat, spricht von "vielen kleinen Schritten", mit denen es wieder vorwärtsgehe; vom Nachwuchs, der in die nationale Spitze vorgestoßen ist; vom kürzlichen Umzug der Geschäftsstelle in größere Räume; von einer "sehr entwicklungsfähigen Mannschaft", die man zu Saisonbeginn mit einem Nationalspieler verstärken konnte, dem Rückraummann Niclas Pieczkowski.

Die Situation in Leipzig sei gerade "sehr,

sehr angenehm", berichtet Günther, und sie werde durch die Konkurrenz des ebenfalls aufstrebenden RB Leipzig nicht getrübt. "Der Fußball zieht natürlich Aufmerksamkeit auf sich, aber dadurch ist der Fokus in der Stadt generell auf dem Sport", sagt Günther: "Das hilft auch uns weiter." Zur ersten Final-Four-Teilnahme hat er potenzielle Sponsoren ebenso nach Hamburg eingeladen wie die bisherigen Geldgeber; für die, so der Manager, sei das "eine Wahnsinnsbestätigung ihres Engagements". Karsten Günther arbeitet gerade daran, "nächstes Jahr die Vier-Millionen-Euro-Grenze zu überspringen" beim Etat. In zwei, drei Jahren soll sich die Mannschaft dann auch für internationale Wettbewerbe qualifizieren, so der Plan. Der ist nicht schlecht: Wer kleine Schritte macht, kommt nicht so leicht ins Stolpern. Auch dann nicht, wenn ihm der Trainer abspenstig gemacht wird.

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