Handball:Erlanger Weg

Mit Beharrlichkeit auf die höchste Ebene: Vom Status des Bundesliga-Lehrlings hat sich der HCE dank einer überzeugenden Saison entfernt. Für die kommende Spielzeit wird der Kader verstärkt.

Von Ralf Tögel

Carsten Bissel stand in der Halbzeit auf dem Spielfeld, lächelte und sagte ins Mikrofon: "Ich bin sehr, sehr zufrieden." Mit der Partie der Erlanger Handballer gegen den deutschen Meister Rhein-Neckar Löwen konnte das nichts zu tun haben, Erlangen lag 13:19 zurück und jedem der 6873 Zuschauer, der über rudimentäre Handballkenntnisse verfügt, war bereits klar, dass lediglich die Höhe der Niederlage zur Disposition stand. Die Zufriedenheit des Vorstandsvorsitzenden des HC Erlangen bezog sich auf die jungen Männer in den quietschroten T-Shirts, die vor ihm Spalier standen, die zweite Mannschaft. Die steht seit längerem als Bayernliga-Meister fest, spielt in der kommenden Saison in der dritten Liga und bildet somit den bestmöglichen Unterbau für die Profis. Es war Carsten Bissel ein Bedürfnis, seine Talente einem größeren Publikum vorzustellen, er gab gewissermaßen einen Einblick in die Zukunft des HC Erlangen.

Routinierte Lehrmeister und aufstrebende Talente: So besetzt der HCE fast alle Positionen

Sie sind zurecht stolz auf ihr Projekt beim Aufsteiger, die Dimension des bisher Erreichten verdeutlichte Bissel mit einer kleinen Geschichte: Vor sechseinhalb Jahren habe man beim HC ernsthaft begonnen, Profihandball zu etablieren. Damals sei es ein träumerisches Ziel gewesen, einmal gegen den "großen TV Großwallstadt zu gewinnen", sagt Bissel, "und nächste Saison kommt der große TV Großwallstadt in die Hiersemann-Halle nach Erlangen zum Spiel gegen unsere zweite Mannschaft." Bissel ist der Mann, der hinter diesem rasanten Aufstieg steht, der namensgebender Partner einer renommierten Anwalts- und Wirtschaftskanzlei hat den Klub in diese Dimension modelliert. Mit Beharrlichkeit und in kleinen Schritten sind die Erlanger auf der höchsten Ebene angekommen. Dort wollen sie sich langfristig etablieren.

Vom Status des Bundesliga-Lehrlings hat sich das Team dank einer bislang überzeugenden Saison weit entfernt, der HCE ist Neunter. Trainer Robert Andersson, ehemaliger schwedischer Nationalspieler, dekoriert mit internationalen Titeln und ausgestattet mit jahrelanger Bundesligaerfahrung, befehligt eine gute Mischung aus jungen, hungrigen Talenten und international erfahrenen Kräften, die ihren Zenit schon ein paar Tage überschritten haben. Mehr lässt die solide fränkische Finanzplanung auch nicht zu, weshalb die Nachwuchsarbeit weiter in den Fokus rücken soll, "wir wollen irgendwann eigene Talente spielen sehen", sagt Bissel. Und als hätte dieser Gedanke einer Demonstration bedurft, übernahm Jonas Link im Spiel gegen die Löwen die Rolle des Paradebeispiels. Link ist zwar nicht beim HC Erlangen ausgebildet worden, bekam aber als junger Spieler dort die Chance, sich als Profi zu versuchen. Als 20-Jähriger wagte er den Schritt vom Drittligisten Friedberg nach Mittelfranken, wurde behutsam aufgebaut und bereitet nun Teams vom Kaliber der Rhein-Neckar Löwen Probleme. Meistertrainer Nikolaj Jacobsen, der auch neuer dänischer Nationalcoach ist, gab sogar zu, seine Abwehr auf den flinken Spielmacher der Erlanger ausgerichtet zu haben: "Wir haben intensiv eine 5:1-Deckung trainiert, um Jonas vom Kreis wegzuhalten und Tempo aus dem Spiel zu nehmen."

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Weit oben: Jonas Link spielte vor vier Jahren noch dritte Liga, mittlerweile stellt er Nationalspieler Hendrik Pekeler vor Probleme. Erlangens Trainer Andersson weiß das aber richtig einzuschätzen: "Er hat noch viel zu lernen."

(Foto: Zink/imago)

Worte, die zweifellos von einer gewissen Höflichkeit getragen sind, denn ein Spieler der eine Partie entscheiden kann, ist Link nicht. Einen solchen haben vielmehr die Löwen in Andy Schmid im Kader, der Schweizer Nationalspieler agiert seit Wochen in überragender Verfassung. Die acht Treffer seines Erlanger Pedants aber bestätigen allemal dessen rasante Entwicklung. Der 24-jährige Link spielt seine vierte Saison in Erlangen und profitiert derzeit von der Verletzungspause von Michael Haaß. Der Weltmeister ist gesetzt auf dieser Position musste aber wegen einer Sprunggelenkverletzung die Saison vorzeitig beenden. Ein beispielhaftes Pärchen in Erlangen: Der routinierte Lehrmeister und das aufstrebende Talent, nahezu alle Positionen sind beim HCE nach diesem Muster besetzt. "Es ist gut, von einem erfahrenen Spieler lernen zu können. Seit Ende der Hinrunde hat sich meine Spielzeit kontinuierlich gesteigert, jetzt muss ich liefern", sagt Link, was er in die Tat umsetzte. An der deutlichen 26:37-Niederlage gegen den Tabellenführer konnte er freilich nichts ändern, der deutsche Meister ist indes auch nicht das richtige Maß für den HC Erlangen.

HCE-Trainer Andersson kann auch derlei Lehrstunden Positives abgewinnen, vor allem die ersten 20 Minuten haben ihm gefallen, bis zum 11:13 präsentierten sich die Franken auf Augenhöhe. "Dann haben wir sechs, sieben leichte Fehler gemacht, das ist es dann gegen eine Mannschaft dieser Klasse", so Andersson. Die Mannheimer Auswahl, die sich fast ausschließlich aus Nationalspielern vieler großer Handballnationen rekrutiert, legte beständig zu und bekam die Partie problemlos in den Griff. Vor allem das Zusammenspiel von Schmid und Nationalspieler Hendrik Pekeler am Kreis war sehenswert. Erlangens Trainer Andersson erfreute sich an anderen Dingen, der Leistung von Jonas Link beispielsweise: "Er bekommt jetzt mehr Spielzeit und nutzt das, Jonas spielt stabiler als früher und ist auf einem sehr guten Weg. Ich denke, er hat noch einiges vor sich." Andersson weiß aber auch, dass "Jonas noch viel zu lernen hat", er wird den sprunggewaltigen Rückraumspieler vor Höhenflügen schützen. Zufrieden war Andersson am Sonntagabend jedenfalls nicht: "Ich hatte schon gedacht, dass wir sie ein bisschen länger ärgern können."

Coburg verliert erneut: Der Klassenverbleib ist kaum mehr möglich

Dieses Spiel steht exemplarisch für die Saison des Bundesliga-Aufsteigers HSC Coburg: Trotz Kampf, trotz gleichwertiger Leistung und trotz einer begeisternden Aufholjagd in der Schlussphase unterlag die Mannschaft von Trainer Jan Gorr der HSG Wetzlar 27:28. Neben dem Lob des Gästetrainers Kai Wandschneider ("Die spielen mittlerweile richtig gut") und der Bestätigung, dass man auch mit dem Tabellensechsten mithalten kann, blieb den Coburgern: nichts. Weil die direkte Konkurrenz im Klassenerhalt punktete, ist das rettende Ufer nun sieben Punkte entfernt, bei sechs ausstehenden Spielen nur theoretisch noch erreichbar. "Mich hat ein Spiel selten emotional so mitgenommen", sagte Gorr nach dem Spiel, zumal sich auch die Unparteiischen keinesfalls als Heimschiedsrichter präsentierten. Doch die Niederlage mussten sich die Coburger letztlich selbst zuschreiben, denn wie so oft in entscheidenden Phasen versagten die Nerven bei freien Würfen oder unterliefen leichte technische Fehler. Bitter war das Spiel für Gorr auch, weil "wir gesehen haben, was möglich gewesen wäre, wenn ich die beiden Langzeitverletzten Wetzel und Lex als Alternative gehabt hätte". In der Tat wusste vor allem Stefan Lex, der nur zehn Wochen nach seinem Mittelfußbruch sein Comeback gab, zu überzeugen. Auch Tom Wetzel, der fast die gesamte Saison ausgefallen ist, zeigt sich zunehmend als wichtiger Faktor im Rückraum. Ein Comeback nach seiner Bauchmuskelzerrung gab es auch für Florian Billek, der im zweiten Durchgang fünfmal traf. Ralf Tögel

Trost bekam er vom Kollegen Jacobsen, der Erlangen eine gute Leistung attestierte, aber auch feststellte: "Wir spielen zurzeit den besten Handball der Saison."

In Erlangen sehen sie sich auf dem richtigen Weg, der Kader für die kommende Saison steht, er wird punktuell verstärkt, verjüngt, und es gibt im slowenischen Nationaltorhüter Gorazd Skof einen prominenten Zugang. Der 39-Jährige kommt von Paris St. Germain, ist Weltklasse, aber wohl auch ein paar Tage über seinen Zenit hinaus. Skof passt also bestens ins Erlanger Gefüge. Der HCE wird seinen Weg weitergehen, so unaufgeregt wie zielstrebig. Auch dank Entscheidungsträgern wie Carsten Bissel, der trotz der Abreibung gegen die Löwen auch nach dem Spiel noch ein Lächeln im Gesicht hatte.

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