Handball-EM:Und hinten ein Wandschrank

180126 Spaniens Arpad Capar Sterbik under semifinalen mellan Frankrike och Spanien under Handbolls

Sicherer Rückhalt: Spaniens Torwart Arpad Sterbik.

(Foto: Frederik Varfjell/imago)

Spanien, die abgezockteste Mannschaft des Turniers, könnte mit einem Sieg im Finale gegen Schweden erstmals Europameister werden. Einen großen Anteil daran hat der reaktivierte Torwart Arpad Sterbik.

Von Ralf Tögel, Zagreb

Natürlich hatte der Hallensprecher übertrieben. "Vom Wohnzimmer ins Halbfinale", brüllte er in der Arena zu Zagreb ins Mikrofon, als Arpad Sterbik aufs Spielfeld trottete. Vom Sofa ins Tor? Es gehört wohl zum Berufsprofil eines Stimmungsmachers bei der Handball-Europameisterschaft, die Dinge ein bisschen zuzuspitzen. Gleichwohl war der Einsatz des spanischen Torhüters im Halbfinale gegen Frankreich eine ganz besondere Pointe dieser Titelkämpfe. Und ein bisschen hatten sogar die deutschen Handballer damit zu tun. Im letzten Hauptrundenspiel der Gruppe zwei in Varazdin, als sich Spanien und Deutschland im direkten Vergleich um den Einzug ins Halbfinale duellierten, verletzte sich Spaniens Nummer eins im Tor Gonzalo Pérez de Vargas am Innenband des rechten Knies. Den Sieg gegen Deutschland sicherte Kollege Rodrigo Corrales, der für das französische Starensemble Paris St. Germain spielt. Doch für das Halbfinale gegen Frankreich musste sich Spaniens Nationaltrainer Jordi Ribera etwas überlegen, die Lösung lag nahe: Arpad Sterbik.

Die Spanier spielen nicht schön, aber clever und effektiv

Also stand nun am Freitagabend Kentin Mahe, einer der sichersten französischen Siebenmeterschützen, dem Zwei-Meter-Brocken Sterbik gegenüber, der mit seinen 119 Kilogramm keinen sonderlich austrainierten Eindruck macht. Aber die Wandschrank-Maße des mittlerweile 38-Jährigen sind zum einen Respekt einflößend, täuschen aber auch. Sterbik kann seine langen Beine nach wie vor mit überraschender Leichtigkeit bis zur Latte nach oben wuchten. Und Mahe spielte in der Geschichte mit, er verwarf.

Sterbik kam noch viermal aufs Feld für einen Strafwurf, zwei davon parierte er. Knapp zwei Minuten Arbeitszeit, in denen er den vielleicht entscheidenden Impuls setzte: Mahes Siebenmeter hätte den 9:9-Ausgleich für die Franzosen bedeutet, so brachte er den Weltmeister aus dem Konzept. Spanien zog bis zur Halbzeit auf 15:9 davon. Und wie schwer es ist, gegen die routinierten Iberer einen Rückstand aufzuholen, das haben auch die Deutschen vor ein paar Tagen in der Arena in Varazdin erfahren müssen. Spanien wusste den Vorteil ins Ziel zu bringen, wackelte Mitte der zweiten Halbzeit noch einmal kurz, als die Franzosen auf 20:23 verkürzten, gewann aber letztendlich hoch verdient mit 27:23 Toren.

Die Spanier haben vielleicht nicht die schönste Spielweise bei dieser EM, sie spielen geduldig, suchen lange ihre Chance, aber sie zeichnen sich durch eine enorme Effektivität und Cleverness aus. Der Schlüssel ist "unsere Abwehr", wie Gedeon Guardiola erklärte, der diese erneut mit eiserner Hand und viel Übersicht organisierte. Die Spanier sind eine sehr routinierte Mannschaft, mit erfahrenen Könnern wie Daniel Sarmiento, Viran Morros, Joan Canellas, Raul Entrerrios und den unverwüstlichen Julen Aguinagalde, der mit seinen unglaublichen Fangkünsten am Kreis der Mannschaft immer wieder über jene Momente hinweghilft, in denen das Positionsspiel ins Stocken gerät. Dann suchen sie den Kreisläufer, der jeden Ball zu greifen bekommt, egal wie stark er bedrängt wird oder wie schräg er in der Luft liegt. Alle diese Spieler sind jenseits der 30, sie haben ihr Deutschland-Trauma bereits in der Hauptrunde besiegt, bekanntlich unterlagen die Iberer vor zwei Jahren im Finale deutlich. Nun fehlt noch ein Schritt, wie Abwehrspieler Guardiola sagt: "Wir sind hier, um den Titel zu gewinnen." Denn das ist dem zweimaligen Weltmeister trotz vier Finalteilnahmen noch nie gelungen. Es wäre auch für Sterbik die Krönung einer Weltkarriere.

Sein letztes Pflichtspiel im Verein bestritt Sterbik am 14. Dezember 2017

Die Spanier haben den gebürtigen Serben nachnominiert, obwohl er alles andere als fit ist, daraus macht er gar keinen Hehl. Sein letztes Pflichtspiel bestritt er am 14. Dezember des Vorjahres, zuletzt hielt er sich bei seinem Klub Vardar Skopje in Mazedonien fit, was sich nicht gerade einfach gestaltete. "Wir haben mit drei Torhütern und drei Feldspielern trainiert", sagte Sterbik. Auch der Trainer stand nicht zur Verfügung: Raul Gonzalez, der in der kommenden Saison zu Paris St. Germain wechselt, trainiert auch die mazedonische Nationalmannschaft und weilte in Kroatien. "Bis Mittwochabend um elf Uhr habe ich nicht im Traum daran gedacht, zur EM zu fahren", so Sterbik, der sich einen Anruf später ins Flugzeug setzte und am Donnerstag in Zagreb einschwebte.

Sterbik ist ohne Zweifel einer der ganz großen Torhüter seiner Zeit, vielleicht neben dem Franzosen Thierry Omeyer der beste, den es je gab. Und er hat eine sehr lebendige Vita. Er besaß die jugoslawische, serbische und ungarische Staatsbürgerschaft, ehe er sich 2008 in Spanien einbürgern ließ. Sterbik war 2005 Welthandballer, mit Spanien 2013 Weltmeister, er hat viermal die Champions-League gewonnen, letztmals im vergangenen Jahr mit Skopje. Egal bei welchem Verein der Kosmopolit mit ungarischen Wurzeln unterschrieb, er brachte Erfolg, gewann unzählige nationale Meisterschaften und Pokale. Den Finalgegner Schweden wird er schon allein mit seiner Anwesenheit beeindrucken.

Im vergangenen Jahr war Sterbik eigentlich aus der spanischen Nationalmannschaft zurückgetreten, wurde aber wie nun wegen einer Verletzung von Gonzalo Pérez de Vargas von Nationaltrainer Ribera schon für die EM-Qualifikation reaktiviert. "Wir wissen alle, was er kann", sagt Abwehrchef Guardiola, "er wird uns helfen." Nach dieser Saison, so hat Sterbik angekündigt, werde er seine Karriere beenden. Doch sollte er am Sonntag Europameister sein, würde er sich das vielleicht noch mal überlegen.

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