Handball-EM:Tendenz: ausbaufähig

Handball-EM: K.o.-Wurf: Jorge Maqueda schmettert Steffen Weinhold bei einem direkten Freiwurf den Ball an den Kopf. Für die Aktion sieht der Spanier Rot.

K.o.-Wurf: Jorge Maqueda schmettert Steffen Weinhold bei einem direkten Freiwurf den Ball an den Kopf. Für die Aktion sieht der Spanier Rot.

(Foto: Janek Skarzynski/AFP)

Bei der 29:32-Auftaktniederlage gegen Spanien mischen die deutschen Handballer gute Ansätze und Schwächephasen. Gegen Schweden soll es am Montag besser werden.

Von Joachim Mölter, Wroclaw

Einige deutsche Handball-Nationalspieler sind schwer in den Schlaf gekommen in der Nacht auf Sonntag: der Kreisläufer Hendrik Pekeler, weil ihm das sowieso immer so geht nach aufregenden Spielen; der Torwart Andreas Wolff, weil er wegen der Dopingprobe noch eine Menge Flüssigkeit loswerden musste; und der Kapitän Steffen Weinhold, weil ihm der Schädel brummte von dem Ball, den ihm der Spanier Jorge Maqueda bei einem Freiwurf unmittelbar vor der Halbzeit ins Gesicht geknallt hatte (wofür dieser dann die rote Karte sah). Neben einem angebrochenen Zahn nahm Weinhold auch eine leichte Gehirnerschütterung mit ins Bett.

Der 29-Jährige war aber der einzige, der einen Wirkungstreffer verarbeiten musste im EM-Auftaktspiel der deutschen Auswahl gegen Spanien in Wroclaw, dem ehemaligen Breslau. Das ging zwar 29:32 (15:18) verloren, aber "wir müssen uns nicht schämen für das Spiel", fand Bundestrainer Dagur Sigurdsson. Die Spanier ordnete Bob Hanning, der für den Leistungssport zuständige Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB), ja als "Finalkandidat" bei diesem Turnier ein. Und gegen so eine Mannschaft kann man schon mal verlieren, zumal mit einer so jungen Auswahl wie Sigurdsson sie mit zur EM nach Polen hat nehmen müssen.

Weil insgesamt vier Stammspieler von der WM 2015 in Katar verletzt fehlen (Linksaußen Uwe Gensheimer, Rechts- außen Patrick Groetzki, Abwehrchef Patrick Wienczek, Spielmacher Paul Drux) und dazu weitere Akteure aus dem A-Kader, gibt Sigurdsson dem Nachwuchs eine Chance. Elf seiner 16 EM-Teilnehmer sind 25 oder jünger; nur die zwei Ältesten - Torwart Carsten Lichtlein, 35, und Spielgestalter Martin Strobel, 29 - haben EM-Erfahrung, sechs weitere zumindest schon mal bei einer WM mitgemacht, wo die Partien aber nur selten so umkämpft sind wie bei einem kontinentalen Vergleich.

Für das halbe Team ist es also der erste Auftritt auf einer großen internationalen Bühne, das merkte man im Duell mit den routinierten, abgezockten Spaniern. Die nutzten eine zehnminütige Schwäche- phase der Deutschen in der ersten Halbzeit, um einen 7:9-Rückstand (12. Minute) in einen 18:11-Vorsprung (23.) zu verwandeln. Da spielten die DHB-Akteure den Ball im Angriff zu oft in die Hände der Spanier, was diese zu Gegenstößen und leichten Toren nutzten, die "weh getan haben", wie Hanning bemerkte.

Aber die Art und Weise, wie sich die Mannschaft zurückkämpfte und die zweite Halbzeit ausgeglichen gestaltete, macht den DHB-Verantwortlichen Mut, dass die Auswahl in den restlichen Partien gegen Schweden (Montag, 20.30 Uhr/ARD) und Slowenien (Mittwoch, 17.15 Uhr/ZDF) die Punkte für den angestrebten Einzug in die Zwischenrunde holt.

Von einem Stresstest, von besonderem Druck für seine junge Mannschaft wollte Bundestrainer Sigurdsson nichts wissen: "Hier bedeuten alle Spiele für alle Mannschaften Stress und Druck", wiegelte er ab. Weil die Schweden ihr erstes EM-Spiel gegen Slowenien gewannen (23:21), sind sie aber in einer besseren Ausgangslage, abgesehen davon sieht Sigurdsson den Rekord-Europameister (vier Titel) "in einer ähnlichen Situation wie wir sind". Nämlich mit einem verjüngten Team am Start, vor allem mit vielen jungen, hoffnungsvollen Rückraumspielern. Dem deutschen EM-Debütanten-Trio Christian Dissinger (24, sechs Tore gegen Spanien), Steffen Fäth (25, vier) und Fabian Wiede (21, eins) steht auf schwedischer Seite sogar ein Quartett gegenüber: Lukas Nilsson, 19, Jesper Konradsson, 21, Philip Stenmalm, 23, und Viktor Östlund, 23. "Die haben keine 200 oder 300 Länderspiele, das heißt aber nicht, dass sie keine Qualität haben", sagt Sigurdsson: "Aber man hat auch gesehen, dass sie wie wir Schwankungen im Spiel haben." Nach einem 16:9 zur Pause mussten die Schweden am Ende zittern, ehe der Sieg über Slowenien feststand.

Erstes Ziel für die DHB-Auswahl im Vergleich mit den Schweden wird es sein, die guten Ansätze aus dem Spanien-Spiel auszubauen, "wir müssen schauen, dass wir stabiler sind über 60 Minuten", sagt der Bundestrainer. Heißt: Weniger Abspielfehler im Angriff, klügere Wurfauswahl, die Abstimmung in der Abwehr verbessern.

Die war ja vor einem Jahr beim 7. WM-Platz in Katar das Prunkstück der DHB-Auswahl, auf dem alles aufbaute. Doch nun merkt man das Fehlen von Wiencek, wie selbst dessen Vertreter Hendrik Pekeler zugibt. Mit seinem neuen Nebenmann Erik Schmidt habe er "noch nicht so oft zusammengespielt", sagt der 24-Jährige; und gerade bei offensiven Abwehrvarianten habe Wiencek mit seiner Champions-League-Erfahrung vom THW Kiel noch mal extra Sicherheit und Rückhalt gegeben. "Aber ich denke schon, dass wir auf einem guten Weg sind", sagte der Kreisläufer des Bundesliga-Tabellenführers Rhein-Neckar Löwen. Auf diesem Weg wird sie ihr Kapitän Weinhold übrigens weiter begleiten: "Er hat keine Kopfschmerzen, sieht nicht doppelt und hört gut", sagte Teamarzt Kurt Steuer: "Er kann spielen." Und die Jugendgruppe des DHB kann in Polen jeden erfahrenen Mann brauchen.

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