Handball-EM:Prokop unter Sonderbeobachtung

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Au Backe: Handball-Bundestrainer Christian Prokop hat sein erstes großes Turnier gleich mal ordentlich vermasselt. (Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images)
  • Der Deutsche Handballbund hat Großes vor: Bei der Heim-WM 2019 soll eine Medaille her, bei Olympia 2020 dann sogar Gold.
  • Die Zweifel, ob Bundestrainer Prokop dafür der richtige Mann ist, wachsen allerdings.
  • Die Kritik nach dem EM-Aus nimmt kein Ende.

Von Ralf Tögel, Zagreb

"Am Wochenende", so sagte Bob Hanning kurz vor der Abreise aus Varazdin, "sind wir alle wieder da." Ein kleines Missverständnis in der allgemeinen Hektik beim Aufbruch nach der verpatzten Handball-Europameisterschaft des Titelverteidigers, wie sich später herausstellte. Die Spitze des Deutschen Handballbundes (DHB) wird nicht mehr nach Kroatien reisen, um sich die Finalspiele in der Arena zu Zagreb zu Gemüte zu führen, nur der DHB-Vorstandschef Mark Schober wird zugegen sein, um in einer "kleinen und knackigen Präsentation" am Samstag die Handballwelt daran zu erinnern, dass das nächste Großturnier bereits naht: die Weltmeisterschaft im Januar 2019 in Deutschland und Dänemark.

Schober ist erst gar nicht mit dem deutschen Tross abgereist, er hat in diesen Tagen viel Arbeit im Hintergrund verrichtet, um Stimmung für den DHB als Ausrichter der EM 2024 zu machen. Das ist ihm offenbar recht ordentlich gelungen, denn Michael Wiederer, der Präsident des europäischen Verbandes EHF, sagte der Fachzeitschrift Handballwoche, dass die Chancen "sehr gut" stünden. Diese Bewerbung ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Planungen im DHB durchaus weiter reichen als die "unverhandelbare Vision" von Bob Hanning. Der erinnert ja stets daran, dass die Olympischen Spiele 2020 in Tokio das Ziel sind, verbunden mit der Möglichkeit, dort um die Goldmedaille zu spielen; auch die davor anstehende Weltmeisterschaft soll mit einer Medaille abgeschlossen werden.

Der Bundestrainer steht schwer in der Kritik

DHB-Präsident Andreas Michelmann will die deutschen Handballer langfristig in der Weltspitze etablieren, bei seinem Amtsantritt im Sommer 2015 verkündete er: "Wir wollen die Handball-Nation der Zwanzigerjahre werden." Der Plan hat am Mittwoch einen empfindlichen Dämpfer erhalten, da schied die DHB-Auswahl durch eine 27:31-Niederlage gegen Spanien aus dem Turnier aus.

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Schon mit seinen Nominierungen hat der Handball-Bundestrainer Selbstzweifel in der Mannschaft gesät. Er muss nun zeigen, dass er aus seinen Fehlern lernen kann - wenn man ihn lässt.

Kommentar von Ralf Tögel

Der sportliche Vorarbeiter, der all die Visionen umsetzen soll und dafür mit einem Vertrag bis 2022 ausgestattet wurde, steht schon nach seinem ersten Härtetest schwer in der Kritik. Bundestrainer Christian Prokop wird in erster Linie für das Scheitern in Kroatien verantwortlich gemacht. Seine Kaderplanung habe Unruhe in die Mannschaft gebracht, lautet der Vorwurf, der 39-Jährige hatte auf Abwehrchef Finn Lemke und Linksaußen Rune Dahmke verzichtet, zwei Europameister von 2016, und dafür die Novizen Bastian Roschek und Maximilian Janke von seinem ehemaligen Klub SC DHfK Leipzig mitgenommen. Im Turnierverlauf holte er dann Lemke und Dahmke nach und räumte damit indirekt ein, dass sein neues, flexibles und offensives Abwehrsystem nicht recht klappt.

Auch das Coaching Prokops geriet in die Kritik: Während der stets engen Partien gelang es ihm nicht, Ruhe und Zuversicht auszustrahlen, im Gegenteil. In Stresssituationen schien Prokop überfordert zu sein, genau dann also, wenn die Spieler einen Ruhepol benötigt hätten. Vielmehr förderte er mit hektischen und häufigen Wechseln Unsicherheit und Nervosität auf dem Feld. Gegen Slowenien wechselte Prokop den Mittelblock in der Abwehr allein in der ersten Halbzeit viermal. Erst als die Abwehr-Routiniers Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek selbst entschieden, defensiver zu agieren, konnte eine Niederlage mit viel Glück verhindert werden. Fortan stand Prokop unter Sonderbeobachtung, jede Auszeit wurde seziert, Spannungen zwischen Spielern und Trainer über die Gesichtsausdrücke interpretiert. Die jüngste Meldung, dass der Trainer das Abschlusstraining vor der Spanien-Partie erbost abgebrochen habe, hat der DHB dementiert.

Die Stimmung bleibt unheilvoll angespannt. Was in der Wahrnehmung haften bleibt, ist eine tiefe Verunsicherung der Protagonisten während des Turniers, der Kapitän Uwe Gensheimer, 31, ein Gesicht gab. Die Leistungskurve des Linksaußens, den viele für den Weltbesten auf dieser Position halten, ging von Spiel zu Spiel nach unten, er stürzte in eine nie gesehene Formkrise. Selbst völlig freie Würfe und Siebenmeter, beides eine Spezialität des Mannheimers, vergab er kläglich. Gensheimer war aber beileibe nicht der einzige, der weit unter seinen Möglichkeiten blieb.

Vor allem der Rückraum, beim Titelgewinn in Polen vor zwei Jahren neben der Abwehr noch das Prunkstück im deutschen Spiel, war nicht wiederzuerkennen. In Krakau war der Stern von Julius Kühn und Kai Häfner aufgegangen, in Varazdin wirkten beide völlig verunsichert. Auffallend war, dass jeder Rückraum-Spieler in genau einer Partie seine Fähigkeiten zeigte - doch zu keiner Zeit mehr als einer. Vor allem die Mittelposition erwies sich als Schwachpunkt. Philipp Weber, der wie der Trainer sein erstes großes Turnier spielte, war dieser Aufgabe nicht gewachsen. Der Berliner Paul Drux, der immerhin in der Abwehr überzeugte, konnte dem Spiel keine Struktur geben; er reiste zudem vor der Partie gegen Spanien verletzt ab.

Darf man dem Trainer aber alleine die Defizite ankreiden? Muss man Prokop dafür in die Pflicht nehmen, dass Gensheimer Siebenmeter verwirft, Steffen Fäth den Spaniern mehrmals den Ball in die Hände spielt oder Weber der Ball aus der Hand fällt? Oder muss man nicht auch ihm in seinem ersten großen Turnier einen Lernprozess zugestehen? Trainer-Institution Heiner Brand findet: ja. "Jeder Trainer zahlt mal Lehrgeld. Das ist im Vorjahr Dagur Sigurdsson und zuvor mir passiert." Das deutsche Spiel war in entscheidenden Momenten unentschlossen, halbherzig, ideenlos - es fehlte ein Anführer. Prokops Plan war, mit breit besetztem Kader ein flexibles Spiel zu präsentieren, Tempohandball mit Kontern, der "schwer auszurechnen" sein sollte. Als beispielhaft für seine Spielidee nannte er die Norweger. Nun muss man feststellen: Sein Plan ist gescheitert. Allein schon, weil ihm im zentralen Rückraum die Qualität dafür fehlte. Ein Taktgeber, der Rhythmus und Tempo bestimmt, der Impulse gibt, eine Partie an sich und die Kollegen mitreißt. Die Spitzenteams haben solche Akteure, die Dänen Mikkel Hansen, die Franzosen Nikola Karabatic, Norwegen Sander Sagosen. "Solche Klasseleute haben wir nicht", hat Hanning zugegeben, der daran erinnerte, dass der Kieler Steffen Weinhold der einzige deutsche Rückraumspieler ist, der in der Champions League spielt, also auf höchstem internationalen Klubniveau.

Die Frage ist nun, ob die offensichtlichen Spannungen zwischen zumindest einigen Spielern und dem Trainer aufgelöst werden können. Ob Prokop bereit ist, Fehler nicht nur kurzfristig zu korrigieren, sondern langfristig daraus zu lernen. Der Trainer hat jedenfalls angekündigt, "noch Großes erreichen" zu wollen. Dafür wird es essenziell sein, ob er bereit ist, seine Spielidee den vorhandenen Spielern anzupassen.

Auch die konsequente Verweigerung eines Linkshänders auf Mitte muss man ihm zur Last legen: Ich traue das meinen Rechtshändern zu", hatte Prokop gesagt, eine Fehleinschätzung.

Alles Fragen, die Bob Hanning nun beantworten muss. Er hat Prokop trotz üppiger Ablöse an den SC DHfK Leipzig durchgesetzt. Er wird einschätzen müssen, ob er seine Visionen mit diesem Trainer erreichen kann. Der DHB wollte in Kroatien Werbung für seinen Sport machen, die Gelegenheit war angesichts der Live-Übetragungen der deutschen Spiele im öffentlich-rechtlichen Fernsehen günstig. Die Einschaltquoten waren gut, im Schnitt mit fünf Millionen Zuschauern bei 20 Prozent Marktanteil. "Im Halbfinale hätten wir zehn Millionen gehabt", sagte Hanning vor seiner Abreise noch. Und dass er nicht glaube, dass der Misserfolg dem Handball in Deutschland geschadet hat. "Aber wir wissen, dass wir die WM zu Hause nicht vergeigen dürfen." Das war unmissverständlich.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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