Handball-EM:Im Hexenkessel

Deutschlands Handballfrauen erwarten in der "Balkangruppe" Turniere in hitziger Atmosphäre - Bundestrainer Emrich zählt auf das junge Kader.

Kathrin Steinbichler

Es gibt vieles, worüber Armin Emrich in den Wochen vor dieser Europameisterschaft in Mazedonien nachgedacht hat. Etwa, wie er die Standfestigkeit seiner Abwehrformation verbessern kann. Oder zu welchen Gelegenheiten auf dem Feld seine Spielerinnen noch variantenreicher werden müssen. Bei einem Punkt aber muss der Bundestrainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft der Frauen nicht überlegen. "Die Stimmung dort unten wird enorm sein, sehr ungewohnt für die meisten, das darf man nicht unterschätzen. Aber die Jungen schaffen das, keine Frage. Ich bin von ihnen überzeugt."

Handball-EM: Die deutschen Damen purzeln nach einem Sieg in Peking durch die Halle.

Die deutschen Damen purzeln nach einem Sieg in Peking durch die Halle.

(Foto: Foto: dpa)

Die sogenannten Jungen beschäftigen Armin Emrich seit längerem, schließlich ist der Bundestrainer der deutschen Frauenhandball-Nationalmannschaft ein vorausschauender Mann. Die Entwicklung der vergangenen Jahre, belohnt mit WM-Bronze 2007, fußt auf den konstanten Leistungen deutscher Weltklassespielerinnen wie der Rückraumspielerinnen Grit Jurack, 31, und Nadine Krause, 26, oder Torfrau Sabine Englert, 27. An ihnen orientiert sich der im Schnitt noch junge Kader, "das sind Persönlichkeiten, auf dem Feld und auch daneben". Doch Bundestrainer Emrich weiß, dass die Entwicklung stagnieren oder gar zurückgehen könnte, sollte Deutschland einmal auf diese Topspielerinnen verzichten müssen und keinen adäquaten Nachwuchs parat haben.

Ein Riesenrucksack

Zuletzt kam sogar ein Problem auf, das niemand so erwartet hatte: Die gesamte, gut eingespielte Nationalmannschaft litt bei der ersehnten Olympiateilnahme 2008 in Peking unter den hohen Erwartungen, die sie selbst und das Umfeld plötzlich hatten. "Alle haben von einer Medaille gesprochen, auch wir selbst", sagt Emrich, "wir hatten dadurch einen Riesenrucksack durchs Turnier mitzuschleppen." Der elfte Platz, den die Deutschen am Ende belegten, "war eine große Enttäuschung", erinnert sich Nadine Krause, "an der hatten wir alle lange zu knabbern".

Schon zum Worldcup in Dänemark Mitte Oktober gab Emrich deshalb einigen jungen, unerfahrenen Spielerinnen vermehrt Spielanteile. Mit ihrer Neugier und ihrer unbelasteten Spiellaune sollten sie sich als Alternativen anbieten und die Lockerheit zurück ins Team bringen. Einige von ihnen sollen sich nun auch bei der EM in Mazedonien beweisen. Auf zwölf Spielerinnen des Peking-Kaders setzt Emrich auch wieder bei der EM, dazu sind vier Neue nominiert, darunter die Spielmacherin Ania Rösler, 26, von Meister 1. FC Nürnberg, die kurz vor Olympia noch aus dem Kader gestrichen worden war. Und Linksaußen Sara Walzik, gerade 21 Jahre alt und Stammspielerin in Nürnberg, "hat als jüngste Spielerin der Mannschaft ihren Part zuletzt sehr gut gemacht", lobt Emrich. Mit nur 13 Länderspielen geht sie nun in ihr erstes internationales Titelturnier, und das bei einer EM, "die in einem absoluten Hexenkessel stattfindet", meint Emrich.

"Die Halle wird komplett gegen uns sein"

Die Vorrundengegner der Deutschen nämlich haben es in sich. Nicht, weil sie reich an Titeln oder aussichtsreiche Favoriten wären. Sondern weil sie allesamt unkonventionell und damit unangenehm zu spielen sind und mit zahlreicher Unterstützung aus der Heimat rechnen können. Zum Auftakt am Dienstag geht es gegen Gastgeber Mazedonien (20.10 Uhr), es folgt am Donnerstag Serbien (18 Uhr), zum Abschluss der Gruppenspiele wartet am Samstag Kroatien (18 Uhr/alle Spiele live im DSF). "Wir sind in der Balkangruppe gelandet", sagt Emrich, "da erwartet uns in fast jedem Spiel eine aufgeladene Atmosphäre, in der die Halle mehr oder weniger komplett gegen uns sein wird."

Umso wichtiger wird es sein, in der zuletzt häufig wackligen Abwehr Stabilität zu beweisen. "Die EM-Vorbereitung ist etwas schwierig verlaufen, weil wir durch Verletzungen und Ligaspiele nicht immer den kompletten Kader zur Verfügung hatten", sagt Emrich. Noch am Sonntagabend, eine Nacht vor dem Abflug nach Mazedonien, bat er seine Spielerinnen zu einer Trainingseinheit ins hessische Landesleistungszentrum in Frankfurt. Vor allem Abwehrübungen und der schnelle Wechsel zwischen Defensive und Angriff standen auf dem Programm. "Wir hatten in der Vorwoche nicht viel Zeit miteinander, weil die vier Nürnberger Spielerinnen erst nach dem Ligaspiel gegen Leipzig anreisen konnten", sagt Emrich, "die Abstimmung in der Mannschaft muss sich einfach noch mehr automatisieren."

Mehr Routine und mehr Ruhe, das ist es auch, was Emrich sich für Laura Steinbach wünscht. Die 22-Jährige vom TSV Bayer Leverkusen war als Lehrling für den kreativen Rückraum bereits in Peking dabei. "Zuletzt hatte sie leider nicht viele Spielanteile, aber das wird sich ändern", sagt Emrich. Aus dem linken Rückraum hat die hochgewachsene Steinbach in 24 Länderspielen bereits 33 Tore erzielt. Spielführerin Grit Jurack kümmert sich rührend um das Rückraumküken, Emrich aber sieht Steinbach weniger in der Rolle der Spielmacherin als in der einer Angriffswaffe. "Laura ist mit ihren Qualitäten eher die Distanzschützin, das hat sie schon oft unter Beweis gestellt. Ich wünsche ihr, dass sie weiter ihre Schritte macht, dann kann sie für uns sehr wertvoll werden."

Emrich hat also viel Zukunft im Kopf, wenn er die EM-Aufstellungen überlegt. Eines ist dabei klar: "Wir haben uns diesmal keine Medaille zum Ziel gesetzt." Er will die Entwicklung herbeispielen, nicht erzwingen.

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