Handball-EM:Geweint wird später

Die deutschen Handballer haben gezeigt, dass ihr WM-Sieg kein Zufall war - Heiner Brand feiert einen Triumph über die Besserwisser.

Klaus Hoeltzenbein, Trondheim

Magnus Wislander sah geradeaus, er sah ins Leere. Dort, wo er hinsah, war nichts, nur das karge Innenleben einer handelsüblichen Sporthalle. Er hatte die Hände in der Jeans vergraben und blickte minutenlang von der Tribüne aus in dieses Nichts. Er sah auch nicht in die Ecke zu der kleinen schwarz-rot-goldenen Gruppe mit den Heiner-Brand-Schnauzbärten und den Goldkronen, die entfesselt mitteilte, dass sie jetzt dringend "die Mannschaft sehen" wolle. Wislander schien das zuvor Erlebte sehr nahe gegangen zu sein, auch wenn er nur noch indirekt damit zu tun hat.

Deutschland Handball-EM

Der Weltmeister will auch Europameister werden: die deutschen Handballer nach dem Sieg über Schweden.

(Foto: Foto: dpa)

Der kleine Unterschied von Trondheim

Er hatte das 29:31 (18:16) seiner jungen Landsleute bei der Europameisterschaft gegen die Deutschen für das schwedische Fernsehen kommentiert, wieder eine Niederlage, wie zuletzt so viele. Seit der einstige Regisseur des THW Kiel, den Experten zum besten Handballer des vergangenen Jahrhunderts wählten, nicht mehr mit dabei ist, gewinnen die Schweden, der Rekord-Europameister, keine großen Turniere mehr. Doch einmal kurz in seiner Meditation gestört und nach dem entscheidenden, dem kleinen Unterschied im Duell von Trondheim befragt, sagte Wislander: "Sie sind jetzt der Weltmeister - und sie wissen das."

Die, die seit einem Jahr Weltmeister sind, zeigten sich dann alsbald ihrem Anhang. Jedenfalls das, was von dieser Mannschaft noch übrig war. Das sah sehr komisch aus: Oben stand Wislander, ein Regent dieses Sports, der in die Ferne blickte. Und unten zogen die deutschen Spieler vorbei, humpelnd, müde, manche schon verbunden, sich gegenseitig stützend, aber beseelt von ihrem grenzenlosen Wettkampfglück. Die Szene hatte etwas von einem mittelalterlichen Schlachtengemälde. "Wir wollten dieses Spiel gewinnen. Egal mit wem", lieferte Markus Baur, der Kapitän, den Kommentar zum Bild. Der Unterschied zum Mittelalter ist nur: Dieser Schlachtenlenker lacht und grinst, sobald die Streitaxt wieder ruht. Das Duell hatte für sich gesprochen, es erinnerte an die Dramen der WM vor einem Jahr. Wer es verfolgt hatte, weiß jetzt wieder, was Handballer alles aushalten.

Und was nicht. Bundestrainer Brand erklärte, er habe sich "am Spielfeldrand keine Diagnosen mehr angehört", er sei nur darauf bedacht gewesen, die Einsatzfähigen zu betreuen. Oliver Roggisch, der Mittelblocker, hatte sich in der 38. Minute krankgemeldet, Diagnose: Muskelfaserriss. Michael Kraus lag quer auf den Stühlen, die als Auswechselbank dienten, um seinen Ellbogen kühlen und verbinden zu lassen. Florian Kehrmann kehrte immer wieder dorthin zurück, mal wegen blutiger Nase, mal wegen blutigem Knie. Und Torsten Jansen war Dauerpatient, weil er schon mit einer Rippenprellung ins Spiel gegangen war. Für den Körper ist dieses Kompaktturnier der pure Stress: "Die medizinische Abteilung arbeitet seiner einer Woche bis in die Nacht rein. Ohne Unterbrechung, außer mal zum Essen", berichtete Brand.

"Den Qualitätsnachweis haben wir hier und heute abgeliefert"

Der Bundestrainer hatte sich bis zu diesem Spiel in Geduld üben müssen, und man hatte es seinen Bartspitzen angesehen, wie schwer es ihm fiel. Oft schienen diese Spitzen nach unten zu zeigen, so als seien sie ein Barometer schlechter Laune. Schließlich war Brand bewusst, dass es um mehr ging, als auf dem Weg zu Olympia in Peking einen guten Eindruck zu hinterlassen. Es ging auch darum, den Gewinn der Weltmeisterschaft, zu bestätigen. Brand konnte nun mit kaum getarnter Genugtuung feststellen: "Den Qualitätsnachweis haben wir hier und heute abgeliefert." Es gab ja auch Berufskollegen, die hatten den WM-Gewinn dem Heimvorteil zugeschrieben, und wie sehr ihn das gewurmt hat, ließ Brand in Trondheim erkennen: "Die so was gesagt haben, sind Dummschwätzer." Gemeint waren wohl wieder die lieben Berufskollegen, der Spanier Juan Carlos Pastor und der Franzose Claude Onesta, mit denen Brand inzwischen innige Aversionen pflegt. Gegen beide hatten die Deutschen in Norwegen verloren. "Wir haben unseren Qualitätsnachweis heute abgeliefert", meinte Brand.

Alles, was jetzt noch kommt, ist Zugewinn. Wer sich bei diesem Turnier der Strapazen, das acht Spiele in elf Tagen verlangt, ins Halbfinale durchringt, hat nichts mehr zu verlieren. "Die Zweifel hier an uns waren ja berechtigt", gab Brand zu, "wir hatten im Angriff - außer in den ersten 25 Minuten gegen Island - kein Mal unser Leistungsvermögen abgerufen. Nur eine gute Abwehr reicht nicht." Als es aber drauf ankam, war klar zu erkennen, wer diese Mannschaft trägt. Immer noch geht Markus Baur voran, der mit seinen 37 zwar reservierter als früher wirkt, der aber nicht nur bei jedem Siebenmeter (16 von 17 im Turnier, alle vier gegen Schweden) zeigt, dass er unentbehrlich ist. Im Rückraum sind Pascal Hens und Holger Glandorf unwiderstehlich, sobald sie ihren Rhythmus finden. Hens (7 Tore) schleuderte sich all die Kritik der vergangenen Tage vom Leib, bei Glandorf (7) ist bei jedem seiner Hochrisiko-Tore nur zu hoffen, dass er gut versichert ist. Um seine Außen, Torsten Jansen und Florian Kehrmann, wird Brand von fast allen beneidet. Der Kreis mit Andrej Klimowets (4) und Sebastian Preiß (1) leistet unaufgeregt schmerzvolle Dienste, am Ende aber waren es wieder die Torhüter, die im Sekundenstress vor Abpfiff den Betrieb zusammenhielten.

"Wir halten zusammen, egal, was kommt"

Meist war es in der Vergangenheit Henning Fritz, jetzt zeigte Johannes Bitter die Schlüsselreflexe. "Die deutschen Torhüter waren heute besser", teilte Wislander noch knapp mit, und er dachte dabei auch an jenen Siebenmeter, der beim Stand von 30:28 an Bitters mächtigem Leib abprallte. Das Fazit zog Michael Kraus, die auch mit schwerem Ellbogenverband stets frisch-forsche Nachwuchskraft: "Wir haben eine absolute Weltklasse-Mannschaft. Wir halten zusammen, egal, was kommt."

Schon seltsame Typen, diese Handballer. Humpeln und hinken aus der Arena, tragen Mull und Tape an Arm und Bein, die Pflaster an Kopf und Knie, und dann sagt Kapitän Baur mit wild entschlossenem Blick: "Jetzt gibt's keine Klagen mehr." Geweint werde später. Schaut in die Runde, grinst fröhlich und setzt noch einen drauf: "Jetzt machen wir weiter bis zum bitteren Ende."

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