Handball-EM:Deutsche Handball-Keeper: Mal der eine, mal der andere

Handball-EM: Dagur Sigurdsson und Carsten Lichtlein freuen sich bei der EM.

Dagur Sigurdsson und Carsten Lichtlein freuen sich bei der EM.

(Foto: AFP)
  • Auf die Langen hinten drin ist Verlass: Beim ersten Endspiel ums Halbfinale gegen Dänemark bauen die deutschen Handballer auf das Torhüter-Duo Lichtlein und Wolff.

Von Joachim Mölter, Breslau

Carsten Lichtlein wird die deutschen Handballer für den Rest der EM in Polen als Kapitän anführen, "darauf hätte ich gern verzichten können", sagt der Torhüter des VfL Gummersbach, mit 35 Jahren und 209 Länderspielen bei weitem der Erfahrenste in der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB). Denn die Kapitänsbinde übernimmt er von Steffen Weinhold; der 29 Jahre alte Linkshänder vom THW Kiel fällt wegen einer Adduktorenverletzung aus, ebenso wie sein Klubkollege Christian Dissinger, 24, auf der halblinken Rückraumseite. Beide hatten die Blessuren am Sonntag beim 30:29 über Russland erlitten, sie werden der Mannschaft nun enorm fehlen.

Dass Lichtlein die Kapitänsbinde trägt, bedeutet jedoch nicht, dass er im letzten Hauptrundenspiel gegen den Titelkandidaten Dänemark an diesem Mittwoch (18.15 Uhr/ARD) auch von Anfang an im Tor steht. Obwohl es in diesem Spiel um viel geht, den Einzug ins Halbfinale. Und obwohl Coaches in so einer Partie mit K.o.-Charakter meistens auf Erfahrung setzen. Es würde dennoch nicht überraschen, wenn Bundestrainer Dagur Sigurdsson seinem Kapitän den elf Jahre jüngeren und vergleichsweise unerfahrenen Andreas Wolff vorzieht.

Lichtlein und Wolff stehen bei diesem Turnier für zwei unterschiedliche Generationen. Lichtlein ist der Letzte aus der Weltmeister-Mannschaft von 2007, der noch dabei ist, Wolff der Mann der Zukunft. Viele Experten sehen ihn schon in einer Reihe mit großen deutschen Torhüter-Legenden wie Wieland Schmidt oder Henning Fritz. Bei dieser EM haben sich Lichtlein und Wolff bislang abgewechselt, mal hielt der eine überragend, dann der andere; lief's bei dem einen nicht so gut, kam eben der andere ins Tor.

Für Wolffs Einsatz gegen Dänemark spricht nun, dass im gegnerischen Gehäuse Niklas Landin stehen wird, ein Weltklassemann, der in der Bundesliga für den Rekordmeister THW Kiel aktiv ist. Dorthin wird Andreas Wolff zur kommenden Saison von der HSG Wetzlar wechseln. "Ich muss mich auf internationales Niveau begeben und mich dort mit den Allerbesten messen, um besser zu werden", erklärt er seinen Schritt.

An Selbstbewusstsein fehlt es dem knapp zwei Meter großen Mann dabei nicht: "Natürlich gehe ich nach Kiel, um dort die Nummer eins zu werden", sagt er: "Ich will nicht dreimal deutscher Meister werden, und dabei nur auf der Bank sitzen." Dass er Landin nicht mit knackigen Sprüchen aus dem THW-Tor vertreiben kann, ist Wolff klar: "Am Ende entscheidet die Leistung."

Die erste Runde im Kampf um den Platz im Kieler Tor beginnt vermutlich schon an diesem Mittwoch; Sigurdsson wird sich jedenfalls kaum die Gelegenheit entgehen lassen, Wolffs extrem großen Ehrgeiz im direkten Vergleich mit Landin zu nutzen. Die Aussicht auf einen Sieg der DHB-Auswahl gegen den EM-Zweiten von 2014 ist ja nach den Ausfällen von Weinhold und Dissinger schwer getrübt; wenn sie ihre geringe Chance wahren will, muss die Abwehr, müssen die Torleute auf höchstem Niveau agieren.

Das wird schwierig, weil die nachnominierten Kai Häfner und Julius Kühn auf die Schnelle integriert werden müssen und zudem der neue Abwehrchef Finn Lemke, ein 2,10-Meter-Riese, von einer Grippe geschwächt ist. Also kommt es vor allem auf die Torleute an.

Unfrieden ist nicht in Sicht

Egal, wem Dagur Sigurdsson zunächst das Vertrauen ausspricht: Unfrieden zwischen den Torhütern braucht er nicht zu befürchten. Wolff sagt bei seinem ersten internationalen Turnier: "Ich erhebe hier keinen Anspruch auf die Nummer eins." Und Lichtlein ist sowieso ein Teamspieler, wie man ihn sich nur wünschen kann, unvorstellbar uneitel: Er hat sich Laufe seiner langen Karriere immer wieder klaglos auf die Bank gesetzt und seine Teamkollegen von dort am lautesten angefeuert.

"Ich muss der Mannschaft helfen, wenn ich reinkomme", lautet sein Credo. "Ein ganz, ganz lieber Mensch" sei der gebürtige Würzburger, findet Wolff, nachdenklich, ruhig, auch wenn er nicht immer so wirke: "Er gibt einem eine gewisse Gelassenheit." Kiels Linksaußen Rune Dahmke, 21, bestätigt diesen Eindruck: "Carsten strahlt viel Ruhe aus mit seiner Erfahrung."

Wolff hingegen fühlt sich eher für die Emotionen zuständig, für Gefühlsausbrüche und das leidenschaftliche Anfeuern der Kollegen auf dem Parkett. Dabei erzählt er über seine Anfänge als Handballer, dass er "beim ersten Training etwas schüchtern war und mit den anderen wenig zu tun haben" wollte: "Deshalb habe ich mich hinten reingestellt. Und dann wollte ich nicht mehr raus."

Wolff sagt, er habe bei der HSG Wetzlar viel von dem früheren spanischen Nationaltorwart José Javier Hombrados gelernt, der in den vergangenen beiden Spielzeiten beim mittelhessischen Klub ausgeholfen habe. Er versucht auch, sich von Carsten Lichtlein etwas abzuschauen; aber dessen akribische Herangehensweise an die Spiele hat er nicht übernommen. Lichtlein studiert ja das Wurfverhalten gegnerischer Stürmer mit wissenschaftlicher Präzision und malt dann Wurfbilder, um zu wissen, wo er hinlangen muss. Wolff vertraut mehr seinem Instinkt und seinen Reflexen. "Während des Spiels kann ich auch nicht auf einen Zettel schauen", sagt er.

Vom etatmäßigen Kapitän, dem verletzten Steffen Weinhold hat Andreas Wolff im Übrigen schon ein indirektes Lob bei dieser Europameisterschaft bekommen, auch wenn es zunächst nicht so klang: "Das waren noch keine außergewöhnlichen Leistungen von ihm." Soll heißen: Der junge Wolff kann noch mehr.

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