Handball-EM:Brummen vor dem Sturm

Der Weg der Deutschen durch die Handball-EM ist schwer, der jungen Auswahl droht ein frühes Aus. Doch Bundestrainer Heiner Brand ist ruhiger als jede Buddha-Statue.

Christian Zaschke

Nicht, dass Heiner Brand in den vergangenen Jahren durch Nervosität aufgefallen wäre. In ziemlicher Ruhe berichtete der Handball-Bundestrainer vor großen Turnieren vom Zustand der Mannschaft, meist bedeutete das auch, dass er beständig länger werdende Verletztenlisten kommentieren musste. Vor der EM in Österreich, die für die Deutschen an diesem Dienstag mit der Partie gegen Polen beginnt (18.30 Uhr, live im ZDF), hat Brand jedoch eine neue Dimension der Gelassenheit erreicht.

Handball-EM: Heiner Brand schwört seine Mannschaft im Testspiel gegen Island auf die anstehenden Aufgaben ein.

Heiner Brand schwört seine Mannschaft im Testspiel gegen Island auf die anstehenden Aufgaben ein.

(Foto: Foto: Getty)

Setzte man eine Buddha-Statue neben ihn, wirkte diese vermutlich ein bisschen hibbelig. Gleichmäßig wie ein Schiffsdiesel brummt Brands Bass vor sich hin, er erzählt dies, kommentiert jenes, erläutert, dass er sich nun noch einen Kaffee holen werde, holt sich einen Kaffee, spricht weiter, alles im Fluss, kein Grund, auch nur das kleinste bisschen aufgeregt zu sein.

Zumindest ein wenig überraschend ist das, weil die Deutschen eine Vorrundengruppe erwischt haben, die, wie man in der Sprache des Fußballs gern sagt, eine optimale Mischung aus Hammer-, Mörder- und Todesgruppe darstellt. Die Gegner sind Polen, Zweiter und Dritter der beiden zurückliegenden WM-Turniere, Slowenien, das nun vom Meistertrainer Noka Serdarusic unterwiesen wird, sowie Schweden, das auf dem Weg zu alter Stärke ist.

"Jeder dieser Gegner ist in der Lage, uns zu schlagen", sagt Brand, "aber auch wir können jeden dieser Gegner schlagen." Sanft verklingen diese Sätze, sie bedeuten: Jeder kann jeden schlagen, und das mag nun vielleicht keine buddhistische Einsicht sein, aber doch evozieren die Sätze, vorgetragen in Brandscher Ruhe, Bilder vom Werden und Vergehen, vom Schlagen und Geschlagenwerden, ein ewiger Kreislauf. Aber gut: Es ist bloß Handball.

Sollten die Deutschen die Vorrunde überstehen, träfen sie in der Hauptrunde wohl auf Spanien, den Weltmeister von 2005, und auf Frankreich, den aktuellen Weltmeister und Olympiasieger. Der Weg durch dieses Turnier könnte schwerer nicht sein, und vielleicht hängt Brands Gelassenheit auch mit der Aussichtslosigkeit des Unterfangens zusammen. Es erscheint unvorstellbar, dass die junge Mannschaft das Halbfinale erreicht, zumal ihr zwei wichtige Spieler fehlen: zum einen Rückraumschütze Pascal Hens, der zwar wieder fit ist, sich nach unzähligen Blessuren aber das strapaziöse Turnier nicht zumuten will, zum anderen der verletzte Kreisläufer Sebastian Preiß, der besonders in der Abwehr vermisst wird, wo er mit Oliver Roggisch den Mittelblock bildet.

Immerhin: Anders als immer in den vergangenen Jahren kurz vor Turnieren hat sich bisher niemand verletzt. Der Kader ist gesund und guter Laune, zuletzt meldeten sich Torwart Johannes Bitter nach einer Ellbogen-Operation und Rückraumspieler Holger Glandorf nach einer Zerrung wieder gesund. Das bedeutet, dass Brand eine erste Sieben aufs Feld schicken kann, die für die eine oder andere Überraschung sorgen könnte.

Auf der nächsten Seite: Warum das Mannschaftshotel zum Bundestrainer passt - und welche Faktoren für den Erfolg entscheidend sind.

Spieler mit Entwicklungspotential

Glandorf, Bitter, Mittelmann Michael Kraus und Linksaußen Torsten Jansen genügen höchsten Ansprüchen, Rückraummann Lars Kaufmann und die Rechtsaußen Christian Sprenger und Stefan Schröder könnten den Sprung in die internationale Klasse schaffen, Kreisläufer Manuel Späth hat das wohl größte Entwicklungspotential im Kader.

Handball-EM: Der Spielplan.

Der Spielplan.

(Foto: Graphik: SZ)

Erst seit 2006 spielt der 24-Jährige in der Bundesliga, doch der zwei Meter große und fast 100 Kilogramm schwere Späth macht beständig große Fortschritte. Bei seinem Klub Frisch Auf Göppingen profitiert er von der Arbeit des exzellenten Trainers Velimir Petkovic, der auch den deutschen Kapitän Michael Kraus ausgebildet hat. In Brands Nationalteam steht er nun vor seiner bisher größten Bewährungsprobe.

Auch in der zweiten Reihe warten einige große Talente wie zum Beispiel Linksaußen Uwe Gensheimer, doch ihnen fehlt die internationale Erfahrung. "Das ist eine der jüngsten deutschen Mannschaften, die je gespielt hat", sagt Torsten Jansen und fügt an: "Naja, wenn ich den Schnitt nicht kaputtmachen würde." Jansen, 33, ist der Älteste im Team, außer ihm ist lediglich Roggisch, 31, älter als 30 Jahre. Als die Deutschen im Jahr 2007 die WM im eigenen Land gewannen, wurden sie angeführt von Markus Baur und Christian Schwarzer, die damals 36 respektive 37 Jahre alt waren.

Vieles muss stimmen, damit diese deutsche Mannschaft etwas erreichen kann bei der EM. "Es sind immer mehrere Faktoren, die für alle Teams gelten", sagt Jansen: "Spielt jeder am Limit? Passt es mannschaftlich? Nimmt man die Gegner wirklich ernst?" Auch darin könnte eine Hoffnung der Mannschaft bestehen: dass sie mit den vielen jungen Spielern nicht so ernst genommen wird wie früher. "Wir sind in der Tat eine junge Mannschaft", sagt Jansen, "aber wir sind auch eine kampfstarke Mannschaft, die keine Angst vor dem Scheitern hat und einfach nur froh ist, die EM zu spielen."

Was in den kommenden Tagen in Innsbruck passieren wird: Heiner Brand weiß es einfach nicht. "Die Seriosität verbietet es, Spekulationen anzustellen", sagt er, "wir haben nicht die Aufgabe, von Dingen zu träumen, die später mal kommen, sondern die, schön von Spiel zu Spiel zu denken." Er fügt tatsächlich das Wörtchen "schön" ein, was dem Satz ein wenig Banalität nimmt und ihm dafür einen gewissen Schwung verleiht. "Die haben keinen Druck", führt er aus und meint seine Spieler, "die sollen mit Freude am Wettkampf hier reingehen, und dann lässt sich auch etwas bewegen."

Die Deutschen wohnen in Innsbruck übrigens in einem Hotel namens "Grauer Bär", und wer über ein wenig Phantasie verfügt und Heiner Brand zuhört, wie er gelassen vor sich hinbrummt, der kann nicht anders als anzunehmen, dass dieses Quartier zu Ehren des Bundestrainers gewählt wurde.

Das deutsche EM-Aufgebot Tor: Johannes Bitter (HSV Hamburg), Carsten Lichtlein (TBV Lemgo), Silvio Heinevetter (Füchse Berlin) Feld: Uwe Gensheimer (Rhein-Neckar Löwen), Oliver Roggisch (Rhein-Neckar Löwen), Michael Müller (alle Rhein-Neckar Löwen), Christoph Theuerkauf (SC Magdeburg), Sven-Sören Christophersen (HSG Wetzlar), Torsten Jansen (HSV Hamburg), Manuel Späth (Frisch Auf Göppingen), Michael Kraus (TBV Lemgo), Christian Sprenger (THW Kiel), Lars Kaufmann (Frisch Auf Göppingen), Stefan Schröder (HSV Hamburg), Michael Haaß (Frisch Auf Göppingen), Holger Glandorf (TBV Lemgo).

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: