Handball:Ein Quader Schokolade

Warum die deutschen Handballer 1978 Weltmeister wurden.

Von Joachim Mölter

Man lehnt sich nicht weit aus dem Fenster, wenn man vorhersagt, dass die deutschen Handballer des Jahres 2018 nicht lange in Erinnerung bleiben werden. Vermutlich wird in ein, zwei Jahren vergessen sein, wer bei der gerade beendeten Europameisterschaft in Kroatien der Trainer war, welchen Joker er während des Turniers gezogen hat, welche Größen in Rückraum und Abwehr den Gegnern Furcht einflößten - oder es wenigstens versuchen sollten.

Über die Generation der deutschen Handballer von 1978 spricht man hingegen immer noch, jetzt, vier Jahrzehnte später. Vielleicht sogar: gerade jetzt. Am kommenden Montag, dem 5. Februar, jährt sich jedenfalls zum 40. Mal ein einzigartiger Triumph deutscher Handballer bei der Weltmeisterschaft in Dänemark: der Titelgewinn der westdeutschen Mannschaft in einem dramatischen Finale gegen die Sowjetunion (20:19) - sowie die Bronzemedaille für die Auswahl der DDR; die vergisst man bei der Gelegenheit ja gerne.

Rechtzeitig zum runden Jahrestag des Finales von Kopenhagen hat nun der Sportjournalist und Historiker Erik Eggers ein Buch veröffentlicht, mit dem er die Erinnerung wachhält - oder vielleicht auch erst weckt - an den Mythos, der bei jenem Turnier entstand, zumindest in der Bundesrepublik Deutschland; an die klangvollen Namen, die bis heute nachhallen.

Vlado Stenzel, der Trainer, Olympiasieger schon 1972 mit seiner Heimat Jugoslawien, genannt "der Magier".

Erhard Wunderlich, ein Rückraumspieler, Spitzname "Sepp" wegen seiner bayerischen Herkunft, später zu Deutschlands Handballer des 20. Jahrhunderts gekürt.

Heiner Brand, der Mann mit dem Schnauzer, der damals die Abwehr zusammenhielt und 2007 als Trainer die dann längst gesamtdeutschen Handballer zum nächsten WM-Titel führte.

Manfred Hofmann, der Torwächter, schon vorher legendär wegen seiner Parade im entscheidenden Olympia-Qualifikationsspiel gegen die DDR anno 1976.

Und natürlich Joachim Deckarm, der Rückraumspieler, der auf dem Weg war, zum besten Spieler der Welt zu reifen - und ein Jahr später auf einem Handballfeld in Ungarn so schwer verunglückte, dass er fast alle motorischen Fähigkeiten verlor und seitdem im Rollstuhl sitzt.

Erik Eggers widmet jedem der 16 Spieler ein kleines Kapitel und dem unkonventionellen Trainer Stenzel natürlich ein größeres. Der Autor begleitet die Mannschaft von Spiel zu Spiel, er erzählt viele Anekdoten aus jenen WM-Tagen, unter anderem, dass zur Prämie für die als Amateure firmierenden Nationalspieler auch ein monumentaler Quader Schokolade gehörte.

Aber als Historiker forscht Eggers natürlich auch nach den Wurzeln des Erfolges, den Ursprüngen des Mythos. In den Sechziger- und Siebzigerjahren hatten die osteuropäischen Länder das zunehmend in die Halle verlagerte Spiel dominiert; in der BRD hatte man die Entwicklung verschlafen. Erst mit Stenzels Hilfe schloss man auf, 1978 gelang es, die Vormachtstellung des Ostblocks zumindest zu unterbrechen.

Der Autor führt den Leser auch durch die Aufbauarbeit bis zu dieser Zäsur, durch die deutsch-deutschen Konflikte jener Zeit, die sich auf dem Handballfeld widerspiegelten: Das Scheitern der westdeutschen Auswahl bei der WM '74 in der DDR, das erst zum Engagement eines ausländischen Trainers führte. Die Duelle, die sich anschlossen, vor allem jene in der Olympia-Qualifikation für 1976. Die Nacht vor dem Finale, in welcher der DDR-Nationalspieler Wolfgang Böhme dem Klassenfeind aus der BRD taktische Tipps gab, wie die Sowjetunion zu besiegen sei.

Zwei Jahre später, als die BRD die Olympischen Spiele von Moskau wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan boykottierte, gewannen dann die DDR-Handballer Gold und begründeten damit ihren eigenen Mythos. Aber das ist eine andere Geschichte.

"Mythos '78. Der Triumph der deutschen Handballer bei der WM 1978." Verlag Eriks Buchregal. 24,90 €.

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