Handball:Sigurðssons Abschied - fast wie bei Guardiola

Germany v Portugal - Handball European Championship Qualifier

Er kann nicht mehr zurück: Handball-Bundestrainer Dagur Sigurðsson.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Für Handball-Bundestrainer Sigurðsson gibt es kein Zurück mehr: Er wird sich vom DHB verabschieden - und lässt seine Mannschaft unvollendet zurück.

Von Klaus Hoeltzenbein, Berlin

Eine Buchpräsentation ist keine Bundespressekonferenz. Obwohl auch dort zum Ausklang Fragen zugelassen sind, die investigativ daherkommen können. "Was wollen Sie denn in Japan?", wollte jemand von Dagur Sigurdsson wissen, und es ging ihm nicht um touristische Aspekte: "Das ist nun weiß Gott keine Handball-Nation. Was reizt Sie daran?"

Meist aber kommt, sobald in ein Literatur-Kaufhaus geladen ist, alsbald eine Verehrung für den Autoren durch, wie durch jene junge Frau, die sport-historisch ein bisschen ausholte. Sie erinnerte an den deutschen WM-Gewinn 2007, an diese tiefe Delle danach, aus der Bundestrainer Sigurdsson diesem Land, das sich anders als Japan durchaus als Handball-Nation versteht, den Weg gewiesen hat. Im Januar wurden die Deutschen in Polen überraschend Europameister, im August war Olympia-Bronze in Rio fast schon eine Enttäuschung.

Nun sagte die junge Frau in ihrer Danksagung: "Sie haben die Euphorie nach Deutschland gebracht. Ich würde mich sehr freuen, wenn sie hier bleiben." Und mancher Quoten-Experte sicher auch, denn Handball entwickelt heute beim Zuschauer eine Energie wie die Geysire rund um Reykjavik. Meist versteckt sich dieser Sport tief in den Nischen der Fachsender, gibt es jedoch eine Eruption, schauen mehr als zehn Millionen zu, wie beim 24:17 im EM-Finale gegen Spanien.

In Reykjavik wurde Sigurdsson vor 43 Jahren geboren. Vermutet wird nun, seine Familie dränge dorthin zurück - er selbst könne von dort aus zu neuen Handball-Expeditionen aufbrechen. Sigurdsson sagt nahezu nix dazu. Auch nix dazu, dass die Verkündung seiner Vertragsauflösung mit dem Deutschen Handball-Bund (DHB) aufgrund einer bis zum 31. Dezember wirksamen Ausstiegsklausel stündlich erwartet wird. Warum er immer noch nahezu nix sagt, verrät Sigurdsson in "Feuer und Eis" (Droemer, 304 Seiten, 19,90 €), jenem am Dienstagabend in Berlin vorgestellten Buch, das man als Bilanz seiner 2014 begonnenen Erweckungsgeschichte lesen kann: "Es ist richtig, dass ich kein Freund von belanglosem Smalltalk bin ... Ein anderer Punkt ist, dass man als Trainer nicht überzeugender wird, je mehr man spricht. Wer viel redet, sagt häufig das Gleiche."

Der isländische Schweiger wird mit der WM im Januar in Frankreich sein letztes Turnier mit den Deutschen um Kapitän Uwe Gensheimer coachen, anschließend wird er sich anders orientieren. Eine Kehrtwende wird es nicht geben, auch wenn Sigurdsson und Bob Hanning, der Vorstand und Trainerfinder beim DHB, wortarm auf Zeit spielen und unisono behaupten, "es sei noch nichts entschieden". Das mag sogar so sein, zumal der bislang als künftiger Arbeitgeber favorisierte japanische Verband am Mittwoch erklärte, er habe zum Thema "keine Informationen".

Warum Japan? Weil Olympia 2020 in Tokio stattfindet. Weil Sigurdsson von 2000 bis 2003 bei Wakunaga Hiroshima als Spielertrainer wirkte und die Zeit dort in seinem Buch als "überwältigend" beschreibt. Und weil sich seine heimische Tischplatte zwar vor Angeboten biegen wird, die weit lukrativer sind als jede Offerte des DHB, Sigurdsson aber am Ende seiner Zeit beim Bundesligisten Füchse Berlin erklärt hatte, nie wieder in die tägliche Mühle der Klubtrainer-Arbeit einsteigen zu wollen.

Guardiola ist Feuer, Sigurdsson ist Eis

Dass es ohnehin kein Zurück gibt, wissen Vollprofis wie Sigurdsson und Hanning, denn ein Trainer, der mit dem Abschied kokettiert, verliert Aura und Autorität. Zudem läuft die Fahndung nach dem Nachfolger, der Kreis soll in Kürze auf drei Kandidaten reduziert werden. Gesucht wird auch nicht per Sofort, sondern spätestens ab Sommer 2017, damit könnten Namen wie Ljubomir Vranjes (SG Flensburg) oder Alfred Gislason (THW Kiel) in der Debatte bleiben, von denen es heute heißt, sie bekämen von ihren Klubs keine Freigabe.

Für die Sigurdsson-Ära setzt "Feuer und Eis" den finalen Punkt. Dass das Werk anfangs als Gedankenstrich gedacht war, als Inne-Halten, als Zwischen-Bilanz, lässt sich auf Seite 282 entdecken. Dort wird das Kapitel "Verlängerung" zum Dokument eines Sinneswandels, den das Lektorat übersehen hat, oder den es vor Drucklegung nicht mehr rausfischen konnte, jedenfalls verdient es das Kapitel, zitiert zu werden:

"Die Jungs hatten einen Titel geholt und nach vielen negativen Schlagzeilen den deutschen Handball wieder strahlen lassen - aber standen sie, standen wir als Team nicht erst am Anfang? Als ich Bundestrainer wurde, hieß das große Ziel Gold bei Olympia 2020. Das ist nach wie vor unser Leitgedanke. Doch die Ereignisse in Polen und nun in Rio haben gezeigt, dass die Jungs bereits jetzt zu Großem fähig sind. Warum also nicht diese Geschichte erzählen? Wenn später noch mehr Erfolge hinzukommen - umso besser." Sigurdsson beschreibt jene gemeinsame Zukunft, die es fortan nicht mehr geben wird.

In einigen Facetten erinnert der Abschied vom Handball-Erwecker an jenen von Pep Guardiola beim FC Bayern. Zwei Mannschaften, mit ähnlich viel Talent bestückt, bleiben unvollendet zurück. Guardiola fehlt in München der Champions-League-Triumph, Sigurdsson macht lange vor dem avisierten Olympiasieg die Biege. Zurück bleibt die Frage, wie diese Mannschaften auf Dauer mit dem Trennungsprozess von ihren Erfindern klarkommen werden, der sich jeweils in einem Kaugummi-Verfahren vollzieht.

So unterschiedlich ihr Charakter, Guardiola ist Feuer, Sigurdsson ist Eis, so manisch beider Wirken. Von Guardiola sind nächtliche Sitzungen in der Münchner Gastronomie bekannt, in denen er taktische Formationen mit Salz- und Pfefferstreuern auf der Tischplatte nachstellte. Und von Sigurdsson weiß man jetzt, was er mit seiner berühmten Taktiktafel anstellte, die er einst als Spielertrainer in Bregenz geschenkt bekam. Die er "abends mit ins Bett nahm und die halbe Nacht damit zubrachte, die kleinen Magnete hin und her zu bewegen, bis ich eine neue Spielkombination ausgetüftelt hatte". Diese Tüftelei hat sich gelohnt.

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