Handball:"Den Berg runtergestoßen"

HC Leipzig

Vor der allmählichen Auflösung: Die Handballerinnen des HC Leipzig bei ihrem letzten Triumph, dem Gewinn des DHB-Pokals 2016.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Der langjährige Bundesligist und 21-fache deutsche Meister HC Leipzig muss nach der Insolvenz in die dritte Liga zwangsabsteigen. Dem Klub wird seit langem eine unverhältnismäßige Personalpolitik nachgesagt.

Von Saskia Aleythe, Leipzig/München

Irgendwann wollte Kay-Sven Hähner nicht mehr mit Uli Hoeneß verglichen werden. Den Beinamen hatte er sich in der deutschen Handball-Szene als Manager des HC Leipzig verdient, seit 20 Jahren werkelt er nun schon im Verein und konnte mit den Sächsinnen nach dem Mauerfall sechs Meisterschaften feiern. Doch er habe ja keine Konten in der Schweiz und auch keine Steuern hinterzogen, sagte er im Februar 2015 dem Meininger Tageblatt, deshalb hinke der Vergleich mit Hoeneß nun schon. Was ihn mittlerweile ohnehin vom FC-Bayern-Oberhaupt unterscheidet: Der Mann, den sie Uli Hoeneß nannten, ist gerade dabei, mit seinem Verein in die Bedeutungslosigkeit zu stürzen.

"Insolvenzantrag eingeleitet", lautet die Formulierung, die seit Samstagmorgen in der Welt ist, und sie markiert einen Einschnitt im deutschen Frauen-Handball: Der einstige Liga-Krösus ist finanziell am Boden und wird in der kommenden Saison in der dritten Liga zu finden sein, den Platz in der Bundesliga übernimmt der Zweitliga-Dritte HC Rödertal. Zusammen mit den Erfolgen aus der DDR-Zeit kann sich der HC Leipzig 21-facher deutscher Meister nennen, im vergangenen Jahr gewann man zudem zum siebten Mal den DHB-Pokal. In Leipzig strömten die Zuschauer noch vor ein paar Jahren alle zum Frauenhandball, als der Fußball-Bundesligist RB Leipzig noch SSV Markranstädt hieß und der DHfK Leipzig mit der Männer-Bundesliga nur liebäugelte. Leipzig und Sport, das war für viele vor allem der Frauen-Handball. Früher.

Im Dezember wir Leipzig Spielort für die Handball-WM sein, die deutschen Frauen tragen alle ihre Gruppenspiele dort aus. Auch Achtel- und Viertelfinals sind für die Arena vorgesehen, in der dann der Bundesliga-Handball der Frauen ausgezogen sein wird. 1,3 Millionen Euro soll die Schuldenlast des Vereins betragen, weshalb die Handball-Bundesliga Frauen (HBF) schon Mitte Mai nur mit Auflagen die Lizenz erteilte und schließlich verweigerte. Manager Hähner ging bis vors Schiedsgericht, das am 7. Juli doch noch eine Option zur Lizenzvergabe ermöglichte: Für den Fall, dass die HCL Bundesliga GmbH bis zum 14. Juli 600 000 Euro "Eigenkapitalerhöhung nachweisen kann". Das konnte sie nicht. "Das Geld ist nicht drauf, ich bin enttäuscht", teilte Hähner dem MDR mit. "Die Enttäuschung ist riesig, das zieht einem den Boden unter den Füßen weg", sagte Trainer Norman Rentsch, "wir haben alle daran geglaubt und hatten Vertrauen in die Vereinsführung, dass es klappt." Was schon viel über die Verhältnisse im Verein und das Wesen der Entscheidungsträger aussagt.

Anfang Juli wechselte mit Mazzucco die letzte verbliebene Nationalspielerin

Das Wörtchen "alle" ist zunächst einmal relativ: Bereits seit Monaten fällt das Team auseinander, alle Leistungsträgerinnen haben den Verein mittlerweile verlassen, einige von ihnen spielten schon jahrelang in Leipzig. Mit Alexandra Mazzucco war Anfang Juli die letzte verbliebene A-Nationalspielerin gewechselt. Wegen ausgebliebener Gehaltszahlungen wurde der Verein in der vergangenen Saison mit einem Abzug von vier Punkten bestraft. Trainer Rentsch hat noch einen Vertrag bis 2019 und entschied sich trotz Offerten anderer Vereine dafür, seinem Heimatklub treu zu bleiben. Auch weil Manager Hähner ihm Mut auf eine Zukunft machte. "Man hat hier Menschen so vor den Kopf gestoßen und den Berg runtergestoßen", sagt er nun.

Vieles deutet darauf hin, dass der Manager der Alleinentscheider im Verein war, und das Vertrauen seiner Untergeben riesig, bisweilen naiv. Ein vierköpfiges Präsidium ist vorhanden, einen Aufsichtsrat gibt es nicht. "Der Verein hat sich hingestellt und gesagt, das wird", sagte Rentsch weiter, "es hieß, Sponsoren sind da. Wir haben Vertrauen in die gesamte Führung gehabt - das kommt jetzt als Schelte zurück." Tatsächlich sagte Hähner noch am Freitag der Leipziger Volkszeitung: "Wenn sich alle Partner an die Absprachen und Zusagen halten, ist das Geld bis heute eingegangen." Allzu oft soll sich Hähner in der Vergangenheit auf mündliche Zusagen verlassen haben. Sein Missmanagement gab er im Frühsommer sogar im Ansatz zu: "Ich habe meine Anteile daran, dass die Situation so ist, wie sie ist", sagte er auf einer eigens berufenen Pressekonferenz zur Lage des Vereins. Doch die Botschaft war auch da weiterhin: Das wird schon mit der Lizenz.

Dem Klub wird seit langem eine unverhältnismäßige Personalpolitik nachgesagt

Das Rettungskonzept sah so aus: 300 000 Euro sollten durch Gläubigerverzichte aufgebracht werden, 100 000 Euro waren auf einem Unterstützerkonto zusammengekommen, durch Fan-Spenden und prominente Unterstützer. RB Leipzig hatte sich mit Versteigerungs-Aktionen beteiligt, Männer-Bundesligist SC DHfK Leipzig spendete aus einer Partie einen Teil der Ticket-Einnahmen, Rekord-Nationalspielerin Grit Jurack und Flensburgs Torwart Matthias Andersson halfen ebenfalls. Der Leipziger Stadtrat hatte 200 000 Euro zugebilligt, sollte der Verein eine Million selber stemmen können, nach langen Diskussionen mit der Begründung: "Der Leipziger Frauenhandball hat eine jahrzehntelange Tradition und es wäre im Jahr der Handball-Weltmeisterschaft ein schlechtes Zeichen an die Sportwelt, würde die Stadt den Verein nicht unterstützen."

Den größten Teil sollte ein Investor beitragen: eben jene 600 000 Euro. Doch über die Verbindlichkeit seiner Absichten gab es dann wohl unterschiedliche Ansichten. Berndt Dugall, Vorsitzender der Handball-Bundesliga Frauen, sagte dem MDR, der potenzielle Geldgeber hätte schon am Mittwoch vergangener Woche mitgeteilt, dass er sich nicht engagieren wolle, "in dieser Situation sei der Verein nicht sanierungsfähig".

Eine unverhältnismäßige Personalpolitik wird dem Klub seit langem nachgesagt, zu lange habe man Gehälter gezahlt, die längst nicht mehr im Budget lagen. Immer mehr Zuschauer pilgern mittlerweile auch eher zum Männerhandball oder RB Leipzig. Kam man im Jahr 2010 noch auf 2700 Zuschauer im Durchschnitt, waren es mittlerweile nur noch 1000. Das Abspringen von Sponsoren führte Hähner ebenfalls immer wieder als Grund für die Schulden an. Auch das Antreten in der Champions League war ein Verlustgeschäft, finanziell wie personell. "Dadurch gab es eine Megabelastung gerade für die Nationalspielerinnen und schließlich die vielen Verletzungen", sagte Hähner noch im Februar.

Wie der Verein funktioniert, zeigte dann auch die gewählte Kommunikationsform am Samstagmorgen: Laut der Leipziger Volkszeitung soll Hähner dem Präsidium die Insolvenzanmeldung über eine WhatsApp-Gruppe mitgeteilt haben, ohne Angabe von Hintergründen. Der Handball-Bundesliga Frauen Bescheid zu geben, also dem Lizenzgeber, sparte sich Hähner gleich ganz. HBF-Vorsitzender Dugall soll von einem Vertrauten die Botschaft erhalten haben - und über Twitter.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: