Handball-Bundesliga:Komparse in der Hauptrolle

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Mit dem früheren THW-Ersatzkeeper Andreas Palicka als Rückhalt siegen die Rhein-Neckar Löwen in Kiel. So eng wie es im Kampf um den Titel zugeht, könnte der Erfolg noch eine große Bedeutung bekommen.

Von JÖRG MARWEDEL, Kiel

Sie haben Andreas Palicka auf den Kopf, den Rücken und die Schulter geklopft und gehauen, die Kollegen von den Rhein-Neckar Löwen. Sie wussten, dass sie ohne ihren Torhüter kaum 29:26 beim Handball-Rekordmeister THW Kiel gewonnen hätten. Ein Jahr zuvor, genauer: vor 364 Tagen, hatten die Löwen in der Kieler Halle ja noch eine 21:30-Schmach erlitten (waren am Saisonende aber dennoch erstmals Meister geworden). Nun stellte ihr Kapitän Andy Schmid fest, dass es "unser bestes Auswärtsspiel seit Jahren war" und es vielleicht ein paar Weihnachtsgeschenke mehr gebe. Für die Mannschaft aus Mannheim war es 13. Sieg nacheinander, und sie ist nur deshalb nicht Tabellenführer der Bundesliga, weil die SG Flensburg (35:24 in Coburg) sie als bislang einziges Team schlug und bei Punktgleichheit (je 32:2) das bessere Torverhältnis hat.

Palicka, der 30 Jahre alte Schwede, war der Hauptdarsteller an jenem Ort, an dem er sieben Jahre lang fast nur als Statist beschäftigt war, von 2008 bis 2015. Erst war er beim THW der Ersatzmann des Welttorhüters Thierry Omeyer, der jede Minute, die nicht er spielte, als Beleidigung auffasste. Dann wurde Palicka vom Hof gejagt, weil der Klub mit dem bis dahin für die Löwen tätigen Niklas Landin erneut einen Keeper holte, den etliche Spitzenklubs in Europa gern verpflichtet hätten. Als die Kieler in diesem Jahr mit dem frischgekürten Europameister Andreas Wolff einen weiteren Schlussmann der Spitzenklasse aufnahmen, galten die beiden schnell als das beste Torhüter-Duo der Bundesliga, vielleicht sogar Europas und der Welt.

Der Torwart ist selbst erstaunt: "Ich hatte in den letzten Wochen richtige Holzbeine."

Doch an diesem Mittwochabend war alles anders. Der ehemalige Löwe Landin hatte einen so miserablen Tag, dass er schon in der 20. Minute gegen Wolff ausgewechselt wurde. Doch auch der hatte nur einen durchschnittlichen Tag. Palicka dagegen, bei den Mannheimern für gewöhnlich nur die Nummer zwei hinter seinem Landsmann Mikael Appelgren ist, steigerte sich in einen Rausch. "Palle", so Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen, habe "im zweiten Durchgang eine Riesen-Halbzeit" gespielt: Die Statistiker zählten 15 Paraden, gefühlt waren es mehr. THW-Coach Alfred Gislason erinnerte sich an gleich sieben freie Würfe, die Palicka abwehrte.

"In Kiel zu gewinnen, ist fantastisch", freute sich der einstige THW-Komparse und frotzelte über sich selbst: "Ich hatte in den letzten Wochen richtige Holzbeine, da musste ich einige Paraden machen." Jetzt könne man ein schönes Weihnachtsfest genießen, "aber schon am 26. Dezember müssen wir höllisch aufpassen, dass wir nicht in Magdeburg ausrutschen". Die Kieler spielen am zweiten Weihnachtstag gegen den Tabellenletzten Bergischer HC, einen Tag später tritt Flensburg bei der MT Melsungen an. Dann ist wegen der Weltmeisterschaft in Frankreich Pause bis zum 8. Februar. Und wenn es wieder losgeht, empfangen die Flensburger gleich mal wieder ihren Lieblingsrivalen aus Kiel, während die Löwen noch frei haben.

Was bedeutet dieser Erfolg der Badener beim THW für den Titelkampf, bei dem die drei Klubs nur durch zwei Punkte beziehungsweise das Torverhältnis getrennt sind? Weil kaum jemand Punkte abgebe, "haben die Spitzenspiele eine große Bedeutung", sagt Andy Schmid. Der Schweizer war diesmal - das fand nicht allein der stolze Jacobsen - "der Kopf" bei diesem "Power-Handball". So nannte Teammanager Oliver Roggisch die Vorführung seiner Löwen. Der Regisseur erzielte nebenbei noch fünf Tore, genauso wie Alexander Petersson, 36, und der zweite frühere THW-Profi Gudjon Valur Sigurdsson, 37, die alle ihren x-ten Frühling haben. Nur Kim Ekdahl du Rietz traf einmal mehr.

Duvnjak darf keine Pausen machen - sonst bricht beim THW vieles zusammen

Die Kieler sind jetzt der Außenseiter im Meisterrennen, eine ungewohnte Rolle. Sie verloren, so der frühere Löwen- und heutige THW-Manager Thorsten Storm, mit einer "jungen Mannschaft gegen ausgebuffte Löwen". Das verjüngte Team spielt zuweilen holprig, diesmal besonders in der Abwehr, in der kein System (3-2-1 oder 5-1 oder 6-0) half. Außerdem fehlten neben den Langzeitverletzten Steffen Weinhold und Blazenko Lackovic kurzfristig noch Christian Dissinger und Ilija Brozovic. Der unter Rückbeschwerden leidende Christian Zeitz saß meist nur auf der Bank.

Die Verantwortung wurde oft auf Spielmacher Domagoj Duvnjak abgeladen und ein wenig auf Kreisläufer Patrick Wiencek, die beide je siebenmal trafen. Duvnjak darf im Grunde keine Pausen machen, sonst bricht beim THW vieles zusammen. Und weil die jungen Spieler Nikola Bilyk und Lukas Nilsson (beide 20) in schwierigen Phasen noch überfordert sind, ist Kiel vorerst nur der Dritte im Bunde der Titelanwärter.

Während fast alle Kieler zugaben, dass der aktuelle Meister besser war, zeigte sich Torhüter Andreas Wolff nicht als der fairste Verlierer. "Ich bin mit den Schiedsrichtern nicht einverstanden", motzte er, "mit ihrem schwäbischen Dialekt haben sie die Mannschaft aus dem Süden bevorzugt." Vermutlich war der Team-Torhüter Wolff nicht nur wegen der Niederlage angefressen, sondern auch wegen der zwei Zeitstrafen, die ihm das Gespann Baumgart/Wild aufgebrummt hatte.

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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