Handball:Appell an die Einheit

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Flehen um Solidarität: Steffen Weinhold, der Rückraumspieler des THW Kiel, erwartet von den Nationalspielern, dass sie den neuen Kurs von Bundestrainer Christian Prokop unterstützen.<QM>

(Foto: Tilo Wiedensohler/imago)

Das Votum des Handballbundes für Christian Prokop als Bundestrainer sorgt keineswegs für Ruhe beim DHB.

Von Joachim Mölter

Wochenlang wird sondiert hinter den Kulissen, dann wird ein Ergebnis bekannt gegeben, und das wird am nächsten Tag schon wieder in alle Einzelteile zerpflückt. Das war neulich bei der SPD so und wiederholt sich gerade beim DHB, dem Deutschen Handballbund. Bei den einen ging's um die Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlerin, bei den anderen geht's um die mit dem Bundestrainer. Der größte Unterschied zwischen den Organisationen: Die SPD macht derzeit einen geschlosseneren Eindruck.

Der Reihe nach: Am Montag hat der DHB-Präsident Andreas Michelmann, zufälligerweise ein ähnlich bärtiger Mann wie der ehemalige SPD-Vorsitzende Martin Schulz, verkündet, dass sein Verband die Koalition mit Christian Prokop als Bundestrainer fortsetzen will, dem miserablen Abschneiden bei der Europameisterschaft in Kroatien zum Trotz. Im Januar war die DHB-Auswahl als Titelverteidiger zum Turnier gereist und als Neunter heimgekehrt; wegen unbestrittenen "atmosphärischen Störungen" zwischen Trainer und Team rechnete man mit der Entlassung Prokops; ihm war immer wieder "Beratungsresistenz" und "Kommunikationsschwäche" vorgeworfen worden. Nach der Besprechung einer internen Analyse von Sportdirektor Alex Kromer, die allgemein als sehr gewissenhaft, detailliert und ausgewogen gelobt wurde, kam das DHB-Präsidium am Montag zur mehrheitlichen (also nicht einstimmigen) Entscheidung, es noch mal mit Prokop zu versuchen. Der 39-Jährige ist schließlich erst seit einem Jahr im Amt und hat noch einen Vertrag bis 2022; eine Kündigung wäre teuer geworden. Die Reaktionen auf Prokops Weiterbeschäftigung fielen überwiegend kritisch aus. "Mutig" und "riskant" waren noch die freundlichsten und wohlwollenden Formulierungen, die meisten Experten und Beobachter halten den Entschluss hingegen für falsch, in verschiedenen Nuancen: von einfach falsch bis eklatant falsch. Letztgenannte Einschätzung vertritt zum Beispiel der ehemalige Welthandballer und Europameister Daniel Stephan, inzwischen 44 und als Kolumnist sowie TV-Experte für den Sender Sport 1 tätig. Er urteilte: "Ich weiß von Spielern, die sich negativ geäußert haben - nicht offiziell, aber das zeigt: Es stimmt einfach hinten und vorne nicht zwischen Prokop und dem Team."

Wenn sie beim DHB gehofft hatten, mit dem Präsidiumsvotum pro Prokop erst mal für Ruhe gesorgt zu haben, dann haben sie sich wohl geirrt. Die Stimmung bleibt zumindest zwiespältig. "Es gab einige, die sich für seinen Verbleib ausgesprochen haben, und einige, die sich dagegen ausgesprochen haben", beschrieb Frank Bohmann, der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL), der Deutschen Presse-Agentur die Haltung der 18 Erstligisten. Deren Vertreter im DHB-Präsidium, Uwe Schwenker, will demnächst noch einmal mit Christian Prokop telefonieren, wie er sagte: "Es hat schon ein Gespräch gegeben, aber es bleiben noch ein paar Fragen." Daraus kann man ableiten, dass durchaus nicht alles geklärt und vom Tisch ist.

"Nun müssen sich alle Beteiligten zusammenreißen, um eine vernünftige Basis zu schaffen."

Christian Prokop selbst hat sich am Dienstag erstmals seit Wochen öffentlich geäußert. In einem Interview des Sport-Informations-Dienstes räumte er Fehler ein: "Mit Sicherheit war die Kommunikation mit- und untereinander nicht optimal. Ich habe die Mannschaft während der EM zu wenig abgeholt und in wichtige Entscheidungen zu selten miteinbezogen." Zudem appellierte er: "Jetzt gilt es zusammenzustehen und uns als Einheit für das sportliche Großereignis - WM im eigenen Land - optimal vorzubereiten."

Führende Funktionäre waren am Dienstag ebenfalls bemüht, Einigkeit und Einheit zu beschwören, gerade im Hinblick auf die im Januar 2019 anstehende WM in Dänemark und Deutschland. "Wir müssen jetzt geschlossen hinter dieser Entscheidung stehen", forderte Thorsten Storm, Geschäftsführer des deutschen Rekordmeisters THW Kiel: "Es geht um die Sache, nicht um Personen." Sein Kollege Dierk Schmäschke von der SG Flensburg-Handewitt sagte der dänisch-deutschen Tageszeitung Flensborg-Avis: "Nun müssen sich alle Beteiligten zusammenreißen, um eine vernünftige Basis zu schaffen." HBL-Präsident Schwenker mahnte: "Wir haben alle Interesse daran, dass der deutsche Handball erfolgreich ist und nicht gegen Christian Prokop gearbeitet wird."

Nun darf man noch gespannt sein, wie die Nationalspieler reagieren. Hinter vorgehaltener Hand heißt es immer wieder, dass einige aus der Auswahl zurücktreten wollten, falls Prokop im Amt bliebe. Indirekt bestätigt das der Kieler Nationalspieler Steffen Weinhold sogar. "Einige werden sich nach dieser Entscheidung sicher noch ihre Gedanken machen", sagte er den Kieler Nachrichten. Der 31 Jahre alte Rückraumspieler ist einer der Meinungsführer in der Nationalmannschaft; bei der EM 2016 in Polen, die mit dem Titelgewinn endete, fungierte er bis zu seinem verletzungsbedingten Ausscheiden als Kapitän für den damals von vornherein verletzten Uwe Gensheimer. Nun appelliert Weinhold an seine Kollegen: "Es liegt jetzt an uns Spielern, dem Trainer neues Vertrauen zu geben. Alle müssen einen Schritt aufeinander zugehen. Wenn drei, vier, fünf Spieler wegbrechen, fehlt es uns an Qualität."

Das Thema Prokop scheint jedenfalls nicht ausgestanden zu sein, "wenn jetzt drei, vier, fünf Spieler sagen würden, dass sie nicht mehr mitmachen, hätten wir eine andere Situation", findet Liga-Geschäftsführer Bohmann. Ob die Beziehung zwischen Spielern und Trainer wieder tragfähig ist, wird man schon bald sehen. Zum ersten Belastungstest kommt es Anfang April bei zwei Test-Länderspielen gegen Serbien in Leipzig und Dortmund. Da wird man sehen, welche Spieler Christian Prokop nominiert - und welche vielleicht mit einer Verletzung absagen.

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