Hand-Entscheidung:Nur mit Jurastudium

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Die Hand war's, nicht die Schulter, weshalb Neymars Tor nicht galt. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Ironie der Saison: Auch zum Abschluss spaltet die Hand-Debatte. Hat Neymar schon vor dem 3:1 einen regulären Treffer erzielt?

Von Klaus Hoeltzenbein, Berlin

Selbst in prominenten Schiedsrichterkreisen, die in öffentlich diskutierten Regelfragen nur ungern öffentlich zitiert werden wollen, war die Sachlage am Tag danach sonnenklar: "Das ist ein huntertausendprozentiger Grenzfall", sagte einer - der nicht zitiert werden will.

Es ist eine höchst ironische Pointe dieser Saison. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem über das Handspiel gestritten wurde wie nie zuvor, wird im Champions-League-Finale erneut diese höchst komplexe Regel-Debatte aufgeworfen.

Absicht? Keine Absicht? Das war die Frage, nachdem der Brasilianer Neymar einen Kopfball nicht sauber ausgeführt hatte und der Ball ihm an die Hand und von dort ins Tor sprang. Der das schwere Finale weitgehend souverän leitende Schiedsrichter Cüneyt Cakir aus der Türkei schien den Treffer zunächst anerkennen zu wollen, erst nach Kontakt zu seinem Torrichter zog er ihn zurück. Es wäre das 3:1 für den FC Barcelona gewesen, das Neymar wenig später dann doch selbst und regelkonform nachlegte.

Wie tief der Meinungsgraben in der Handspielfrage inzwischen ist, wurde später in der Wutrede des ZDF-Experten Oliver Kahn deutlich. Sicher trat der einstige Nationaltorwart auch als Anwalt seiner Zunft auf, als er den Hinweis des Moderators, Barcelona sei ein korrekter Treffer vorenthalten worden, wie folgt konterte: "Für mich war es ein absolut brutales Handspiel. Und zwar allein schon deswegen, weil der Torwart extremst irritiert ist. Du kannst dir doch nicht den Ball an die Hand köpfen und von der Hand geht der Ball ins Tor und dann ist das kein Handspiel." Auf den Hinweis, dass das nun mal die Regel sei, trotzte Kahn: "Wahrscheinlich habt ihr alle recht, aber für mich ist das trotzdem Handspiel, weil ich diese Regel sowieso noch nie akzeptiert habe."

Es empfiehlt sich inzwischen, so man nicht Oliver Kahn oder im Besitz einer Schiedsrichter-Lizenz ist, sich der Hand-Regel im Fußball erst nach abgeschlossenem Jura-Studium zu nähern. Denn zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, dass Handspiel im Offensiv- wie im Defensivbereich völlig gleich bewertet werden muss. Allerdings ist es dabei mit dem Haupt-Kriterium der "Absicht" längst noch nicht getan. Wertet man allein diese, hätte Neymars Tor gelten müssen, Absicht war nicht zu erkennen, dafür war seine Reaktionszeit zu kurz.

Es gibt jedoch Klauseln, die aus der Absicht abgeleitet werden, und die nun wohl bei Neymar galten. So das Kriterium der "unerlaubten Vergrößerung der Körperfläche" oder das Kriterium der "unnatürlichen Handbewegung".

In diesem Interpretationsfeld hatte jüngst erst Schiedsrichter Manuel Gräfe in der Erstliga-Relegation auf Freistoß für den Hamburger SV entscheiden. Dieser wurde direkt verwandelt. Der HSV rettete sich in die Verlängerung und in ein weiteres Jahr Bundesliga - der Karlsruher SC bleibt mit Gezeter draußen.

Absicht? Ja oder nein? Es bleibt eine Grenzfall-Debatte. Und nicht nur Torwart-Anwalt Kahn wird tief im Rechtsempfinden irritiert, wenn es erlaubt sein sollte, den Fußball mit der Hand ins Netz zu hieven.

© SZ vom 08.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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