Hamburger SV:"Wir wurden zurecht von den Fans ausgepfiffen"

Hamburger SV v RB Leipzig - Bundesliga

Leidensmine: Lewis Holtby nach der 0:4-Niederlage gegen Leipzig.

(Foto: Oliver Hardt/Bongarts/Getty Images)

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Einige Fans des Hamburger SV fühlten sich als Anhänger des einzigen Traditionsvereins, der immer in der Bundesliga spielte, vor dem Heimspiel gegen Aufsteiger RB Leipzig dazu aufgerufen, eine Demonstration abzuhalten. Nicht gegen das Wirtschaftsabkommen TTIP, gegen das auch am Samstag auf die Straße gegangen wurde. Vielmehr gegen die Leipziger, die mit dem Geld des Brauseherstellers Dietrich Mateschitz einen Retorten-Verein gegründet hatten, der nun als 55. Bundesligaklub in die Geschichte eingegangen ist. Die 1800 mitgereisten Sachsen störte das nicht. Sie drehten die Auseinandersetzung sogar um, denn auch sie hatten ein schlagkräftiges Argument. Sie riefen: "Ohne Kühne wär hier gar nichts los!" Denn ohne diesen schwerreichen Fan wäre der HSV kaum noch Bundesligist.

Die Leipziger haben die Auseinandersetzung aber vor allem auf dem Rasen mit 4:0 deutlich gewonnen. Mindestens bis zum Sonntagabend liegen sie auf dem zweiten Tabellenplatz und dürfen sich als bester Aufsteiger seit 25 Jahren feiern lassen. Damals führte der nach der Wiedervereinigung in die Bundesliga aufgenommene ehemalige DDR-Klub Hansa Rostock mit drei Siegen in den ersten drei Spielen die Tabelle an. Was im aktuellen Match mehr als deutlich wurde: RB verfolgt seit Jahren ein klares Konzept, nichts ist bei ihrem Pressing-Spiel dem Zufall überlassen. Beim HSV hingegen bastelten seit Jahren immer wieder andere Männer an einer neuen Mannschaft. Auch der Trainer Bruno Labbadia, immerhin seit fast anderthalb Jahren da, hat es nicht geschafft, der zuletzt mit über 35 Millionen Euro verstärkten Mannschaft ein neues Gesicht zu geben.

Mit einem Pfeifkonzert in die Kabine

Eine Stunde haben die Hamburger zwar "den Ball gut laufen lassen", wie Labbadia sagte. Kurz vor der Pause verpasste man sogar die Führung, als Aaron Hunt den überragenden Keeper Peter Gulacsi anschoss. Nach dem 0:1 in der 66. Minute aber brach der HSV zusammen und eröffnete den Gästen eine Konterchance nach der anderen. Die Szene, die das Spiel nur noch in Leipzigs Richtung laufen ließ, war ein Foul von HSV-Torwart Adler (in Leipzig geboren) am eingewechselten Timo Werner. Den Strafstoß verwandelte Emil Forsberg sicher.

Und der Schwede, der erstmals von Beginn an spielte, war auch an den nächsten drei Treffern beteiligt. Sechs Minuten später flankte er einen Freistoß auf den Kopf von Bernardo, und Willi Orban berührte ihn zuletzt, obwohl auch Werner den Treffer für sich reklamierte - ein kleiner Streit der Erfolgreichen. Wieder fünf Minuten später nutzte Forsberg den zweiten Fehler von Johan Djourou (der auch den Freistoß verschuldet hatte) aus und bediente wieder Timo Werner - 0:3. Und in der Nachspielzeit setzte sich Forsberg robust gegen Lewis Holtby durch und gab dem für Yussuf Poulsen gekommenen Davie Selke die Vorlage zum 0:4.

Mit einem Pfeifkonzert schickten die wütenden Anhänger die Hamburger Spieler in die Kabine. "Wir wurden zurecht von den Fans ausgepfiffen", sagte Mittelfeldspieler Lewis Holtby. "Es tut mir leid für alle, die heute unsere Farben tragen mussten. Jeder einzelne Fan wurde von uns enttäuscht."

Hasenhüttl kritisiert sein Team

Die Leipziger haben ihr starkes Spiel vom vergangenen Wochenende bestätigt, als sie den Favoriten Borussia Dortmund mit 1:0 schlugen - obwohl sie in der ersten Halbzeit nicht die bessere Mannschaft waren. Er habe das Team in der Pause kritisiert, sagte Trainer Ralph Hasenhüttl, "vielleicht sogar etwas zu sehr", wie er nachschob. Er hat den teuersten Mann im Kader, Naby Keita, ausgewechselt, weil der "nur gut war, wenn er den Ball besaß". Und Hasenhüttl hatte so viel Qualität auf der Bank, dass er mit Werner, dem für Marcel Sabitzer eingewechselten Kapitän Dominik Kaiser und Selke der Partie einen anderen Dreh geben konnte.

Labbadia hat dagegen vermutlich nicht die besten Entscheidungen getroffen. Den oft fehlerhaften Djourou hat er gerade wieder zum Kapitän ernannt. Den glücklosen Hunt ließ er 70 Minuten mitkicken, anstatt Alen Halilovic, das angebliche Wunderkind vom FC Barcelona, eher ins Spiel zu bringen. Und den Abnehmer für den Flankengeber Filip Kostic, der wie eine Maschine fast ein Dutzend Hereingaben fabrizierte, gab es nicht. Einerseits, weil Bobby Wood quasi unsichtbar und die Alternative Pierre-Michel Lasogga (gesund) nicht mal im Kader war.

Während auf Hasenhüttl am Mittwoch schon ein Spitzenspiel gegen Mönchengladbach moderieren darf, wird sich Labbadia, der am Dienstag in Freiburg antritt, bevor der HSV den FC Bayern empfängt, erstmal wieder dort aufhalten, wo die Hamburger in den letzten Jahren meist anzutreffen waren - am Tabellenende. Und weil der HSV im gesamten Jahr 2016 die wenigsten Punkte geholt hat, wird wohl die nächste Debatte auf ihn zukommen. Nämlich die, ob er eine Zukunft am Volkspark hat.

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