Hamburger SV:Spezialist für ungeklärte Mordfälle

European Champions Of 1996 Meeting

Jens Todt, der neue Sportdirektor beim HSV.

(Foto: Alexander Roth-Grisard/Getty Images)

Jens Todt gewann als Fußballer die EM, ohne zu spielen. Als Journalist beschäftigte er sich mit Gewalt. Jetzt hat ihn der Hamburger SV als Sportdirektor verpflichtet.

Von Tobias Schächter

Eigentlich wollte Jens Todt seinen 47. Geburtstag am vergangenen Donnerstag mit seiner Familie im Urlaub in Thailand feiern. In den letzten dreieinhalb Jahren lebten seine Frau und die drei Kinder in Potsdam, während Todt beim Zweitligisten Karlsruher SC als Sportdirektor arbeitete. Aber Todt, der Ende November beim KSC freigestellt wurde, weil er seinen im Sommer auslaufenden Vertrag nicht verlängern wollte, verbrachte den Tag dann doch wieder fernab der Familie. Er flog alleine nach Dubai, wo der Hamburger SV gerade seine Vorbereitung auf die Rückserie verbringt. Nur rund fünf Wochen nach seiner Demission beim KSC unterschrieb Todt beim HSV einen Vertrag als Sportdirektor bis zum 31.12.2018.

In den letzten Wochen hat sich der HSV komplett neu aufgestellt. Nach der Entlassung von Dietmar Beiersdorfer, der zuletzt unglücklich agierender Vorstandsvorsitzender und Sportdirektor in einer Person war, geht Hamburg mit Heribert Bruchhagen, 68, als Vorstandsboss und Todt als Sportdirektor in eine Rückrunde, in der es nach turbulenten Wochen mit etlichen Personalwechseln und einer sportlich ungenügenden Vorrunde mal wieder nur ums Überleben geht. Todt soll dem HSV etwas von der Professionalität zurückbringen, die viele dem Klub zuletzt absprachen. Trainer Markus Gisdol sagt: "Es ist wichtig, dass jetzt ein Manager da ist, der sich voll reinhaut und mich entlastet - alleine schaffe ich das nicht."

Zwischen dem Trio Bruchhagen, Todt und Gisdol gibt es Verbindungen: Todt pflegte in den letzten Jahren regelmäßigen Austausch mit Gisdols Assistent Frank Fröhling; nachdem klar war, dass Bruchhagen letzten Sommer Eintracht Frankfurt nach 13 Jahren verlassen würde, kontaktierte die Eintracht auch Todt als dessen möglichen Nachfolger.

"Jeder Klub hat seine eigenen Hürden", sagt Todt

Bislang hat Todt als Sportchef in Bochum und Karlsruhe in der zweiten Liga gearbeitet. Den in den letzten Jahren als Chaosklub wahrgenommenen HSV zu erneuern, ist für Todt Chance und Risiko zugleich. Durch seine Zeit als Nachwuchschef (2008 bis 2009) kennt er Klub und Stadt zwar sehr gut. Aber der ehemalige Nationalspieler, der 1996 ohne Einsatz Europameister wurde, weiß auch, dass er sich trotz Zeitdruck keine Fehlgriffe im Kaderumbau erlauben kann.

Besonders in der Innenverteidigung und im defensiven Mittelfeld besteht im unharmonischen Kader Handlungsbedarf. Trainer Gisdol hat klare Vorstellungen: In Emir Spahic (Vertragsauflösung angeboten) und Cleber (FC Santos) sind zwei Innenverteidiger gerade abgeschoben worden, Gideon Jung fällt wegen einer Verletzung voraussichtlich zehn Tage aus. Derzeit stehen Gisdol in der Abwehrzentrale also nur Johan Djourou und der neu aus Köln verpflichtete Mergim Mavraj zur Verfügung. Ein möglicher Zugang ist der griechische Nationalspieler Kyriakos Papadopoulos, der bei RB Leipzig nicht zum Zug kommt.

Es wird interessant sein zu beobachten, wie die neue Führungscrew mit Investor Klaus-Michael Kühne zurechtkommt, ohne dessen Geld der HSV schon lange nicht mehr handlungsfähig wäre. Todt ("Jeder Klub hat seine eigenen Hürden") kennt das Geschäft aus vielen Perspektiven, er war auch im Nachwuchsbereich beim VfL Wolfsburg tätig. Der gebürtige Hamelner ist kein Getriebener, obwohl seine berufliche Vita nach der Fußballerlaufbahn von Unstetigkeit gekennzeichnet ist.

Die Chefscout-Aufgabe bei Hertha BSC Berlin zog er einst der zugesagten Redakteurs-Ausbildung bei der Stuttgarter Zeitung vor. Nach einem Jahr wurde Todt dann doch Journalist, für Spiegel Online schrieb er über Jugendgewalt oder ungeklärte Mordfälle. Nach drei Jahren aber hatte er "wieder richtig Bock auf das Fußballgeschäft".

Spitzen aus dem Präsidium in Karlsruhe ertrug er stoisch

Nun soll er jenen Klub retten, bei dem er 2009 als Nachwuchschef wegen Differenzen mit dem damaligen Vorstand Bernd Hoffmann ausstieg. In Karlsruhe war Todt danach manchmal bis an die Grenze der Selbstverleugnung loyal: Als es im Herbst 2015 um die Vertragsverlängerung mit Trainer Markus Kauczinski ging, schloss KSC-Präsident Ingo Wellenreuther Todt aus den Gesprächen aus; ein Affront, den der Sportchef nach außen stoisch ertrug, nur nach innen wird er auch mal laut. Ein weiteres Beispiel: Kauczinskis Nachfolger Thomas Oral verteidigte Todt auch dann noch, als sich dessen Verpflichtung als Fehler erwiesen hatte. Kurz nach Todts Weggang wurde Oral entlassen.

Seine Transferbilanz beim KSC ist sportlich und wirtschaftlich insgesamt positiv, der Aufstieg blieb dem Klub aber im Sommer 2015 verwehrt: Die Karlsruher scheiterten damals in den Relegationsspielen unglücklich - am HSV. Todt sagte damals: "Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen könnte." Es ist ja auch nicht die schlechteste Voraussetzung für einen Job beim HSV, wenn jemand selbst im Moment des Scheiterns seinen Humor nicht verliert.

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