Hamburger SV:Schmatzer für den plötzlichen Torjäger

Hamburger SV v Borussia Moenchengladbach - Bundesliga

Neue und lange ungewohnte Lieblingsbeschäftigung: Die Profis des HSV jubeln - wie am Sonntag bei Bobby Woods (l.) Siegtreffer zum 2:1 gegen Gladbach.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der Hamburger SV hat sich auf eine Weise stabilisiert, wie es im November beim damaligen Tabellenletzten kaum für möglich gehalten wurde.
  • Viele Spieler wie Angreifer Bobby Wood oder Defensivspieler Gideon Jung entwickeln sich weiter - ein Verdienst von Coach Markus Gisdol.
  • Hier geht es zur Tabelle und zu den Ergebnissen der Bundesliga.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Peter Knäbels Zeit als Sportchef des Hamburger SV (Oktober 2014 bis Mai 2016) war nicht die beste in seiner Karriere als Fußball-Funktionär. Und zwar nicht allein, weil ihm Listen mit den exorbitanten Profi-Gehältern und diskrete Scouting-Berichte aus einem Rucksack entwendet wurden, die dann angeblich in einem Park verstreut auftauchten. Und doch hat der HSV Knäbel viel zu verdanken.

Er hatte den Chilenen Marcelo Diaz vom FC Basel verpflichtet, der den Hamburgern im Mai 2015 beim Relegationsspiel in Karlsruhe mit einem Freistoß in letzter Sekunde die Bundesliga-Zugehörigkeit sicherte. Und Knäbel hat, bevor er die Papiere bekam, den Transfer des Stürmers Bobby Wood, 24, von Zweitligist Union Berlin eingeleitet, für eine Ablöse von 3,5 Millionen Euro.

Bobby Wood aus Kalifornien - Sohn einer Japanerin und eines Afroamerikaners und später Schüler im Jugendinternat von 1860 München - könnte einer der Gründe sein, weshalb der HSV auch sein 54. Jahr in der Bundesliga ohne Abstieg übersteht, obwohl er derzeit mal wieder auf Relegationsplatz 16 verweilt. Am Sonntagabend hat Wood bei der Partie gegen Borussia Mönchengladbach mal wieder "die Kirsche auf die Sahne" gelegt, wie es Kollege Lewis Holtby ausdrückte. Er hatte in der 80. Minute den 2:1-Siegtreffer in einer Weise erzielt, die in der Tat Respekt abringt. Wood war nach einem Duell mit Tony Jantschke im Strafraum zu Boden gegangen, doch als Filip Kostic noch einmal flankte, rappelte er sich wieder auf, tanzte Innenverteidiger Jannik Vestergaard aus und jagte die Kugel vehement unter die Latte.

Gisdol sieht die "beste Pressing-Leistung, seit ich hier bin"

Unter "Instinkt" verbuchte der US-Nationalspieler seinen fünften Liga-Treffer. Und wenn man den beglückten HSV-Fans beim Abmarsch aus dem Stadion zuhörte, fürchteten einige, dass Wood trotz seines Vertrages bis 2020 dem Klub bald eine ordentliche Summe von einem englischen Klub einbringen könnte. Dann müsste man versuchen, den momentan einsetzenden Aufschwung mit neuen Schnäppchen fortzusetzen. Sportchef Jens Todt weiß jedenfalls um das Geschäft: "Wir haben die Tribüne immer voll mit Scouts."

Vorerst aber durfte sich Wood einen Schmatzer von Abwehrkante Kyriakos Papadopoulos abholen. Er hatte ja wahr gemacht, was der Grieche nach dem 1:2 im DFB-Pokal gegen den selben Gegner zehn Tage zuvor im Mannschaftskreis gefordert hatte - eine geglückte Revanche. Wie Wood sich immer mehr zum erstklassigen Stürmer entwickelt, so ist Papadopoulos in kürzester Zeit zum Herz des HSV geworden. Jemand, der die Mitspieler anfeuert oder zeigt, wenn er unzufrieden ist. Heraus kam gegen die noch vom Europa-League-Duell auf Schalke geschwächten Gladbacher die "beste Pressing-Leistung, seit ich hier bin". So sah es Trainer Markus Gisdol.

Überhaupt hat sich das Team auf eine Weise stabilisiert, wie es im November beim damaligen Tabellenletzten kaum für möglich gehalten wurde. Seit sieben Bundesliga-Spielen sind die Hamburger daheim ungeschlagen, weshalb man schon von einer "Festung Volksparkstadion" spricht. Zu den geschlagenen Gegnern zählten neben Gladbach (vermeintliche) Hochkaräter wie Hertha BSC, Leverkusen und Schalke. Selbst nach dem 0:8 vor zwei Wochen in München setzte man auf eine Eigenschaft, die man in Hamburg in den vergangenen Jahren vergeblich gesucht hatte. Mit "Ruhe", sagt Todt, habe man auch diesen Rückschlag verarbeitet.

Wood ist nur ein Beispiel von vielen

Natürlich hätte es auch gegen die Borussia schiefgehen können nach dem frühen 0:1 durch Andreas Christensen. Einmal verhinderte Keeper René Adler das 0:2 gegen den mit einem Dahoud-Pass alleine vor ihm auftauchenden Josip Drmic (29.). Nach dem Ausgleich durch einen Kopfball von Kostic (36.) war es kurz vor der Pause wieder Adler, der das Duell mit dem freien Patrick Herrmann gewann und das 1:2 vereitelte.

Eindrucksvoll war wiederum, mit welcher Coolness die Hamburger die von Schiedsrichter Deniz Aytekin (der drei Tage zuvor beim 6:1 des FC Barcelona gegen Paris St. Germain im Jahrhundertspiel einige umstrittene Entscheidungen getroffen hatte) die zu Recht nicht gegebenen Abseitstore von Wood und Holtby (28./35.) verarbeiteten. Sie machten weiter und drängten die ohne die angeschlagenen Raffael und Stindl angetretenen Borussia in Hälfte zwei noch mehr in die Defensive.

Die neue Heimstärke des Hamburger SV

Der HSV begann die Saison mit sechs Spielen ohne Heimsieg, darunter ein 0:3 gegen Eintracht Frankfurt und ein 2:5 gegen Borussia Dortmund. Seitdem ist das Team in sieben Heimspielen in Serie ungeschlagen. Bei den fünf Siegen fiel das entscheidende Tor übrigens stets in der zweiten Spielhälfte, zuletzt dreimal hintereinander nach der 75. Minute. Die Partien:

12. Spieltag, 26.11.: Werder Bremen 2:2 (2:2)

14. Spieltag, 10.12.: FC Augsburg 1:0 (0:0)

16. Spieltag, 20.12.: FC Schalke 04 2:1 (0:0)

19. Spieltag, 3. 2.: Bayer Leverkusen 1:0 (0:0)

21. Spieltag, 21. 2.: SC Freiburg 2:2 (1:1)

23. Spieltag, 5. 3.: Hertha BSC 1:0 (0:0)

24. Spieltag, 10.12.: Mönchengladbach 2:1 (1:1)

Trainer Markus Gisdol darf man anrechnen, dass er viele Profis besser gemacht hat. Der immer durchsetzungsstärkere Wood ist ja nur ein Beispiel. Beim jungen Defensivspieler Gideon Jung kann man die Entwicklung von Spiel zu Spiel beobachten. Der fast schon abgeschobene Aaron Hunt dirigiert mittlerweile gekonnt das HSV-Spiel, der teuerste Einkauf Kostic (14 Millionen Euro) hat sein kleines Tief gerade überwunden, wie nicht nur sein Tor und seine Vorlage zeigten. Auch der Sechser Albin Ekdal scheint nach langer Verletzungspausen in die Spur zu kommen.

Sollte der HSV am Samstag auch in Frankfurt gewinnen, könnte sich die Abstiegszone noch weiter ausdehnen. Dann müsste sogar die Eintracht, bislang Tabellensechster und Europa-League-Kandidat, ängstlich nach unten gucken. Der Vorsprung auf die Hamburger betrüge dann nur noch sechs Punkte.

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