Hamburger SV:Riss durch Block 25 A

  • Nach den Szenen mit Rauschschwaden und Böllern beim letzten Saisonspiel distanzieren sich engagierte Anhänger des Hamburger SV zunehmend von den Ultras.
  • Die Frage ist, ob der Verein genug tut, um die Fans zu befrieden.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Der Hamburger SV war schon fast aus der Bundesliga verschwunden, der Dino schien einen relativ sanften Tod zu sterben, da erhob der Capo im Volksparkstadion noch einmal die Stimme. Der Capo ist der Einpeitscher im Fanblock, in dem die Ultras stehen, Gruppen mit Namen wie "Poptown" oder "Clique du Nord". Ab jetzt müsse jeder selbst wissen, wie er mit dem Abstieg umgehe, so ungefähr schloss der Anführer seine letzte Ansprache in dieser Saison und in Liga eins. Dann wurde dieses schwarze Transparent über den Stufen entrollt, es sah aus wie ein Sargdeckel, darunter bewegten sich sehr lebendige Menschen. Danach begann der Spuk, der den HSV vermutlich noch einige Zeit beschäftigen wird und der seine Freunde offenbar zunehmend entzweit.

Mehr als hundert Hooligans vermummten sich und packten ihr Arsenal aus. Böllerschläge erschütterten die Arena, aus Rauchbomben quoll schwarzer Qualm, Feuerwerkskörper flogen auf den Rasen und verkohlten büschelweise das Gras. Polizisten rückten mit Helmen, Hunden und Pferden vor, die Mannschaften und Betreuer zogen sich zurück. Die Mehrheit der 57 000 Zuschauer war erschrocken bis entsetzt von dem, was da am vergangenen Samstag kurz vor Schluss des nutzlos gewonnenen Spiels gegen Borussia Mönchengladbach geschah. Ganz Deutschland sah zu. Wie fühlte sich das alles aus nächster Nähe an? Und: Wie geht der Fall weiter?

"So was in der Form hatte von uns noch niemand erlebt", erzählt wenige Tage danach einer, der schon viel erlebt hat. Er stand wie üblich direkt hinter den Hooligans auf der Nordtribüne, er steht da mit seinen Mitstreitern seit Jahren bei jedem Auftritt des HSV. Block 25 A, der turbulenteste Sektor im Volksparkstadion. "Man fühlt sich hilflos und bis zu einem gewissen Grad auch schutzlos", klagt der Mann und widerspricht jenen, die so tun, als sei doch nichts passiert. Schall und Rauch, zwanzig Minuten Unterbrechung, angeblich keine Verletzten - also Schwamm drüber? Lieber nicht, findet dieser Dauerkartenbesitzer, für ihn war das der Gipfel eines lange schwelenden Konflikts. Er sagt: "Die Fronten zwischen den engagierten Fans und den Ultras sind verhärtet."

Als engagierte Fans fühlen sich Leute wie er. 50 Jahre alt, Stammgast bei Heimspielen und oft auch auswärts. Aus diesen Reihen kamen die ersten Rufe gegen jene Ultras nebenan, bald stimmten Tausende ein. "Holt sie raus!", war da zu hören, ein vergeblicher Aufruf an die Polizei. Als die Feuerteufel nach ihrer Zündelnummer Reißaus nahmen, begleitete sie ein Pfeifkonzert. Nachher stimmte das verbliebene Publikum die Hymne "Mein Hamburg lieb' ich sehr" an und verabschiedete die Absteiger auf dem Feld mit warmem Applaus. Das ist das, was der Kritiker aus Block 25 A meint, wenn er vom Riss durch die Szene spricht und seinem HSV empfiehlt, den Konflikt nicht noch weiter eskalieren zu lassen.

Sie entkamen in Kapuzenjacken

Was unternimmt der Klub gegen jene Ultras, die ihm ständig Ärger machen? Wie werden künftig Besucher geschützt, die keine Lust darauf haben, dass vor ihren Füßen Bengalfeuer brennen und in ihren Ohren mittelschwere Explosionen dröhnen? Der HSV will die Übeltäter mit lebenslangem Stadionverbot belegen. Fotos und Videos müsste es reichlich geben. Mehrere Verhaftungen wurden gemeldet, die meisten Brandstifter allerdings entkamen in Kapuzenjacken.

Ungestörte Vorbereitung unter dem Riesen-Transparent

Es sieht nicht so aus, als ob die Funktionäre die Ultras in den Griff bekommen. "Wollen die das überhaupt?", fragt sich der zweifelnde Anhänger? Es hatte vor diesem vorläufigen Höhepunkt der Randale ja bereits Rangeleien und Schlägereien in Block 25 A gegeben, Kreuze am Trainingsplatz, hohe Geldstrafen für den HSV wegen pyrotechnischer Exzesse seines Anhangs in Bremen, auf Schalke, gegen Darmstadt. Nichts geschah.

"Hört mal zu, Leute, die haben Dinge im Block", berichtete der Zeuge zur Pause im Match gegen Gladbach der Polizei. Dennoch erlebte er, wie die Pyromanen sich unter ihrem Transparent ungestört umzogen und ihr Material in Stellung brachten, sie hatten die krachende Aktion bestens vorbereitet: Da waren Rauchtöpfe, Kanonenschläge und Raketen wie Seenotfackeln. Da waren anscheinend außerdem Isolierröhrchen mit Kabelbindern am Zaun - auch für einen geplanten Sturm auf den Platz?

Der blieb aus, und dennoch war es eher Glück als Planung, dass nichts Schlimmeres geschah. Die Behörden argumentieren, dass ein Zugriff auf der Tribüne nur für noch mehr Randale gesorgt hätte und man es kaum verhindern könne, dass Feuerwerkskörper auf die Ränge geschmuggelt werden. Tatsächlich sind die Ultras sehr kreativ und gut organisiert - und zum Glück trotz allem weniger gefährlich als zum Beispiel jene in Argentinien, wo es beim Fußball immer wieder Tote gibt. Auch haben wankende Vereine wie der HSV wohl insgeheim Sorgen, dass ohne ihre Hardcorefront die Stimmung leidet, obwohl Partien wie diese am Ende das Gegenteil bewiesen. Der kritische Geist aus Block 25 A empfiehlt, es mal ohne die ärgsten Ultras zu versuchen: "Man muss ihnen diese Bühne nehmen."

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