Hamburger SV:Plattgedrückte Daumen beim HSV

Uwe Seeler

Ist vom jährlichen Daumendrücken gezeichnet: Uwe Seeler.

(Foto: dpa)

Von Jörg Marwedel, Hamburg

"Fußball", sagt Markus Gisdol, "ist ein tolles Spiel." Daran musste der Trainer des Hamburger SV am Donnerstagmorgen noch einmal erinnern. Zwei Tage waren es noch bis zu jenem Duell mit dem VfL Wolfsburg, indem es für beide Mannschaften darum geht, die Relationsspiele um die Bundesliga-Zugehörigkeit zu vermeiden. Mehr Druck gibt es nicht, da könnte einem schon mal der Spaß am bestens entlohnten Beruf vergehen - selbst wenn das Volksparkstadion mit seinen 57 000 Plätzen ausverkauft ist und die Zuschauer alle Unterstützung zugesagt haben.

Gisdol hat sich und seinen Profis mal wieder verordnet, alle "Energiefresser", so nennt er negativen Gedanken, zur Seite zu schieben. Auf Wunsch des Teams ist man - wie vor zwei Wochen - noch einmal ins 90 Kilometer entfernte Rotenburg an der Wümme in ein Kurztrainingslager aufgebrochen. Man möchte Ruhe haben, weil die Gelegenheiten, sich zurückzuziehen, in Hamburg nun mal nicht optimal sind. Gleichwohl redet der Trainer davon, "Normalität" leben zu wollen. Es bringe nichts, einen Kletterwald hochzuziehen. Das Getue um sogenanntes Teambuilding ergebe in solchen Situationen keinen Sinn, sagt Gisdol. Er mag es klassisch: Es sei wichtiger zu reden, einen Film anzuschauen oder gemeinsam etwas zu trinken.

Ob es auf diese Weise gelingt, die Anspannung, die laut Klubchef Heribert Bruchhagen "von der Verpackerin in der Merchandising-Abteilung bis zum Vorstand" im Verein spürbar ist, von den Profis fernzuhalten? Schließlich hat Bruchhagen auch gesagt, wie wichtig der Klassenverbleib des HSV nicht nur für den Klub, sondern auch für die gesamte Bundesliga sei. Und Idol Uwe Seeler, der gerade eine Herz-Operation hinter sich hat, erzählte, er werde wieder die Daumen drücken, obwohl die längst "plattgedrückt" seien. Und zwar von jenen vier Relegationsspielen 2014 und 2015, in denen der HSV mit mehr Glück als Können den ersten Abstieg in seiner Historie gerade noch verhinderte.

Beim bisher letzten Mal war Trainer Bruno Labbadia mit drei Trainingsaufenthalten in Malente einer der Erlöser. Labaddia, danach als "Hamburger des Jahres" geehrt, ist längst Geschichte. Ein weiterer Retter von 2015 könnte jedoch auch diesmal wieder eine Rolle spielen. Um ihn wird aber wohl bis zum Anpfiff gebangt: Nicolai Müller, der damals in Karlsruhe in der Verlängerung das entscheidende Tor zum 2:1 schoss, zog sich wie Pierre-Michel Lasogga und Lewis Holtby am Mittwoch im Training eine Verletzung zu. Mit Ausnahme von Lasogga, dem eine Adduktorenblessur zu schaffen macht, könne man "noch hoffen, dass sie am Samstag eingesetzt werden können", wie Gisdol mitteilte. Das gilt auch für Aaron Hunt, der zuletzt an einer Oberschenkelzerrung litt.

Müller, der gerade sechs Wochen ausgefallen war, weil er sich einen Innenbandriss am linken Knie zugezogen hatte, musste am Mittwoch das gleiche Knie wieder in Bandagen packen. Doch die Ärzte stellten fest, dass die Bänder wohl keinen Schaden genommen haben. Das macht Hoffnung. Tatsächlich ist der flinke Außenbahnspieler mit seinen vielen Spurts dermaßen wichtig für die Balance im HSV-Spiel, dass es kaum Zufall war, dass die Hamburger zuletzt ohne ihn wieder in ein Leistungsloch gefallen sind. Fünf Tore und sieben Vorlagen hat er in dieser Saison beigesteuert. Statistiker haben errechnet, dass der HSV mit Müller im Einsatz in jeder Partie durchschnittlich 1,2 Punkte erarbeitete. Ohne Müller waren es 0,8 Punkte.

Der HSV "kann nur noch gewinnen"

Weitere positive Aspekte hatte der Fußballlehrer Gisdol natürlich parat, bevor er am Donnerstag aufbrach. Nach dieser "wahnsinnig langen Aufholjagd" aus einer fast aussichtslosen Lage könne man jetzt "nur noch gewinnen". Der HSV kann nicht mehr auf einen direkten Abstiegsplatz zurückfallen, aber in dem Spiel gegen Wolfsburg mit einem Sieg den Klassenerhalt schaffen. Und was ihm als Coach eine gewisse "Sicherheit" gebe, sei die Tatsache, dass er so eine Situation "schon einmal gemeistert" habe. Nämlich 2013, als er die TSG Hoffenheim über die Relegation vor dem Abstieg rettete.

Aufbauende Stimmen, immerhin, gibt es zuhauf. Der frühere Bayern-Profi Hasan Salihamidzic, der davor sechs Jahre Hamburger war, sagt: "Ich habe ein gutes Gefühl." Die Mannschaft habe sich beim 1:1 auf Schalke neues Selbstvertrauen geholt. Stefan Schnoor, zehn Jahre beim HSV, fünf Jahre beim VfL Wolfsburg, meint: "Wenn das Publikum mitzieht und der Funke überspringt, wird das den VfL einschüchtern." Die Fans haben schon angekündigt, den HSV-Bus vor dem Spiel wieder aufmunternd zu empfangen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: