Hamburger SV:Pause für die Wasserwerfer

Erster Erfolg nach 15 sieglosen Spielen: Die vom neuen Trainer Christian Titz revitalisierten Hamburger entzünden gegen Schalke eine winzige Hoffnung auf den Klassenverbleib.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Den Wasserwerfer, der vor dem Anpfiff vor der HSV-Kabine im Volksparkstadion platziert war, wegen möglicherweise erneut frustrierter und gewaltbereiter Fans - den Wasserwerfer also hatte die Polizei längst wieder abgezogen. Die Anhänger des Hamburger SV hatten schon während der Partie eine Party-Stimmung entfacht, so beseelt waren sie über den sich abzeichnenden 3:2-Sieg ihres zuvor 15 Mal sieglosen Teams. Der Unterlegene war immerhin der Tabellenzweite, Schalke 04, der eigentlich mit dem siebten Bundesliga-Sieg in Serie einen Vereinsrekord erschaffen wollte. Doch die Hamburger spielten plötzlich so, als hätten sie mit dem Abstieg so wenig zu tun wie die biederen Schalker mit dem Gewinn der Champions League.

Entzündet hat die nun wieder winzige Hoffnung auf den Klassenverbleib - bei fünf Punkten Rückstand auf Relegationsplatz 16 - ein Mann, der etliche Bücher über Fußballtaktik geschrieben hat. Der neue Trainer Christian Titz, 47, hat binnen vier Wochen die Hoch-und-weit-Systeme seiner Vorgänger Markus Gisdol und Bernd Hollerbach auf den Müll geworfen. Etliche Profis der alten Ära wie Bobby Wood, Mergim Mavraj und André Hahn sitzen auf der Tribüne. Auf dem Platz wirkte am Samstagabend eine Auswahl, die den Gegner derart bedrängte, dass "jedes zweite Passspiel ins Aus ging", wie Schalke-Coach Domenico Tedesco zugab.

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Eleganter Gewaltschuss: Aaron Hunt erzielt aus gut 30 Metern das Siegtor gegen Schalke 04.

(Foto: Valeria Witters/Witters)

Titz, der zuvor die Regionalliga-Auswahl des HSV betreute, hat tatsächlich binnen kurzer Zeit ein Team von jungen Wilden geformt. Wobei die übrig gebliebenen Alten gegen Schalke noch etwas Struktur gaben und schließlich auch die drei Tore beisteuerten: erst Filip Kostic, der einen Einwurf von Douglas Santos zum 1:1 einköpfelte (17.), dann der einst ausgemusterte und von Titz begnadigte Lewis Holtby (52.) zum 2:1, schließlich Aaron Hunt, der in der 84. Minute mit einem Schuss aus 22 Metern, der mit 101 Stundenkilometern im Winkel einschlug, den ersten Sieg seit dem 26. November sicherte, seit 132 Tagen also.

Okay, Profis wie Hunt, Holtby, Kostic und auch Kyriakos Papadopoulos (der die Mitspieler und den Trainer zu Gyros einlud, um sich für seine verbalen Ausfälle nach seiner zwischenzeitlichen Verbannung auf die Ersatzbank zu entschuldigen) - sie alle werden aus Kostengründen kaum zu halten sein, wenn der sogenannte Dino doch erstmals in Liga zwei absteigen sollte. Aber das, was der Klub am Samstag zeigte, könnte durchaus auf eine bessere HSV-Zukunft hoffen lassen. Nicht nur, weil plötzlich eine "gute, junge Truppe, mit Hamburger Jungs als Identifikationspotenzial" auf dem Platz stand, wie der Rheinländer Holtby lobte. Der HSV hatte zudem einen Profi in seinen Reihen, der Begeisterung weckt: Tatsuya Ito, 1,66 Meter groß, 20 Jahre alt, der die Schalker durcheinanderwirbelte.

Hamburger SV v FC Schalke 04 - Bundesliga

Zu flink für Schalker Füße: Hamburgs fintenreicher Wirbelwind Tatsuya Ito bereitete das 2:1 vor.

(Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

In der 52. Minute zum Beispiel, als er erst Daniel Caligiuri umkurvte, dann den Nationalspieler Leon Goretzka ins Leere laufen ließ, bevor er die Kugel dem Torschützen Holtby überließ. Er sei "nie zu greifen gewesen", urteilte Tedesco, sichtlich beeindruckt. Hamburgs Abwehrspieler Rick van Drongelen hielt die höchste Huldigung parat. Man könne ihn auch "Lionel Ito" nennen, befand der Niederländer, vor dem Holtby-Tor "war er wie Messi".

Dabei war das nur eine von etlichen Situationen, in denen der 2015 nach Hamburg transferierte Japaner die Gegenspieler aussehen ließ wie Erstklässler. Bei seinen ersten Spielen unter Gisdol hatte Ito nur Kraft für 50 Minuten, diesmal hielt er erstmals bis kurz vor Spielende durch. Erst dann packte ihn ein Wadenkrampf. Ito tut, wie van Drongelen berichtete, einiges für seine Karriere: Er sei nach dem Training oft noch in der Fitnessstube zugegen, um an seiner Verfassung zu arbeiten.

Interessant wird nun zu beobachten sein, wie der neue Präsident und Aufsichtsratschef Bernd Hoffmann die neue Lage interpretiert. Hoffmann hatte kürzlich gesagt, er präferiere einen Neustart mit einer jungen, wehrhaften Auswahl. Andererseits ist ihm der Trainer Titz noch nicht ganz geheuer; Hoffmann mag eigentlich prominente Namen. Bernhard Peters, der als Direktor Sport für die erstmals seit den 70er-Jahren wieder erfolgreiche Nachwuchsarbeit verantwortlich ist, hat sich jedenfalls schon positioniert. Er möchte Titz gerne weiterbeschäftigen, auch im Abstiegsfall.

"Es war in dieser Saison das erste Mal, dass wir richtig Fußball gespielt haben", sagt Aaron Hunt

Und weil laut Peters nach diesem Sieg gegen Schalke eine "andere Dynamik" im Team entstehen könnte, glaubt auch er an die winzige Chance, das Schlimmste noch zu verhindern - auch wenn es am Samstag gegen seinen früheren Arbeitgeber TSG Hoffenheim geht, einen Europa-League-Anwärter, gegen den der HSV im November (3:0) den bis dato letzten Sieg geschafft hatte. Bis zum Spiel gegen Schalke.

Das Restprogramm der Klubs im Abstiegskampf

14. SC Freiburg 26:48 Tore / 30 Punkte FSV Mainz 05 (Auswärtsspiel), Hamburger SV (A), 1. FC Köln (Heimspiel), Borussia Mönchengladbach (A), FC Augsburg (H).

15. VfL Wolfsburg 30:37 / 29 FC Augsburg (H), Borussia Mönchengladbach (A), Hamburger SV (H), RB Leipzig (A), 1. FC Köln (H).

16. FSV Mainz 05 30:47 / 27 SC Freiburg (H), FC Augsburg (A), RB Leipzig (H), Borussia Dortmund (A), Werder Bremen (H).

17. Hamburger SV 23:46 / 22 Hoffenheim (A) SC Freiburg (H) VfL Wolfsburg (A) Eintracht Frankfurt (A), Mönchengladbach (H).

18. 1. FC Köln 28:56 / 21 Hertha BSC (A), FC Schalke 04 (H), SC Freiburg (A), Bayern München (H), VfL Wolfsburg (A).

"Es war in dieser Saison das erste Mal, dass wir richtig Fußball gespielt haben", sagte Torschütze Hunt. Auch deshalb war es nur eine Notiz, dass Naldo beim frühen 0:1 den Freistoß von Calgiuri auch mit der Hand ins Tor geleitet hatte und die Video-Assistenten nicht eingriffen. Womöglich stärkte dieser Vorfall sogar den Glauben der Hamburger. So hätten sie die Erfahrung gemacht, "dass sie auch zurückkommen können", sagte Titz. Bisher hatte der HSV in dieser Saison keine Partie gedreht, in der er in Rückstand geraten war.

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