Hamburger SV:Küsschen in Krisenzeiten

Fussball 1 Bundesliga Berlin 28 10 2017 Olympiastadion Berlin Saison 2017 2018 10 Spieltag Hertha; Fiete Arp

Fiete Arp (Mi.): Erstes Tor in der Bundesliga, von Kyriakos Papadopoulos gewürdigt

(Foto: imago/Camera 4)

Von David Joram, Berlin

Fiete Arp ist 17 Jahre alt, Tatsuya Ito immerhin schon 20. Beide wirken gerade ziemlich fehl an ihrem Fußball-Arbeitsplatz, den eine schwarz-weiße Raute und die Grundfarbe blau prägen. Viel Tradition steckt da drin, viel Nostalgie, aber auch eine gewisse Schwere, die wieder mal um sich greift beim so stolzen Hamburger Sport-Verein. Arp und Ito, zwei Talente, über deren Besitz die Hamburger sehr glücklich sind, tangiert das alles weniger.

Sie wirken eher beschwingt und tun das, was sie können: eingewechselt werden und ordentlich Fußball spielen. Arp schoss beim 1:2 des HSV bei Hertha BSC sein erstes Bundesliga-Tor. Den Ball traf er in der 73. Minute volley so präzise, dass Hertha-Torwart Rune Jarstein nur zuschauen konnte, wie das Spielgerät von der linken Innenseite des Berliner Torpfostens ins Netz rauschte. Arp ist damit der erste Bundesliga-Torschütze, der nach 1999 auf die Welt kam.

Und Ito? Der weckte mit seinen frechen Dribblings sogar die eigenen Mitspieler auf, die zuvor mehr oder weniger über den Rasen des Berliner Olympiastadions geschlafwandelt waren. Plötzlich war da ein Kreativspieler, der Räume schuf und Spielfreude verströmte, Dinge, die dem HSV nicht erst seit dieser Saison grundsätzlich abhanden gekommen zu sein schienen.

Mit der Miene eines grimmigen Seefahrers

Aber auch Arp und Ito, die Trainer Markus Gisdol nach 56 Minuten im Doppelpack aufs Feld schickte, reichen derzeit nicht, um all die Schwächen zu kompensieren, die eine mut-, rat- und kopflos agierende Hamburger Restelf in Berlin offenbarte. Nach dem achten sieglosen Spiel in Serie, darunter sieben Niederlagen, wächst der Druck - natürlich auch auf den Trainer. Bei einem Bundesliga-Dino wie dem HSV geht das gar nicht anders. Markus Gisdol, der 48-jährige Schwabe, der aktuell die Hamburger anleitet, weiß das am besten.

Um das Umfeld zu beruhigen, müsste seine Elf vor allem mal gewinnen, am besten mehrmals. Weil es danach nicht aussieht, hat Gisdol selbst die Initiative ergriffen: "Ich, als Trainer werde den Druck auf die Mannschaft erhöhen, auf sonst niemanden", hat Gisdol nach dem Berliner 1:2 gesagt; mit einer Miene, wie sie sonst nur alte, grimmige Seefahrer pflegen. Von "strengeren Maßstäben", die er ansetzen wolle, sprach Gisdol noch, und von "anderen Wegen, die Dinge anzugehen".

Gisdol stellte die Mannschaft damit vor sich. Man könnte auch sagen: Er versteckte sich hinter ihr.

Hat Gisdol noch Ideen? Kann er sie vermitteln?

Das Bemerkenswerte an Gisdols Ausführungen war: Die schwache, destruktive Spielweise seiner Mannschaft thematisierte er gar nicht. Wie hilflos, vor allem in Hälfte eins, die Angriffsversuche gewirkt hatten, wie wenig Präzision in den Zuspielen steckte, wie beschwerlich die Umschaltbewegungen von der Defensive in die Offensive waren. Und wie verhalten insgesamt das Team aufgetreten war, bloß darauf bedacht, keine Fehler zu produzieren.

Ängstlich, zögerlich, so sah das HSV- Spiel über weite Strecken aus. Echte Torchancen aus dem Spiel heraus - Fehlanzeige! Für Gisdol? Eher kein Thema. "Bis zum 2:0 ein total offenes Spiel", urteilte er, was aber an der ebenfalls wenig inspirierenden Hertha lag, nicht an der Stärke des HSV. Trotzdem waren es nur die beiden Gegentore, an denen Gisdol seine Kritik festmachte - mit gewisser Berechtigung.

Jeweils nach Eckbällen, ausgeführt von Marvin Plattenhardt und Mitchell Weiser, waren Niklas Stark (16.) und Karim Rekik (50.) Kopfballtore gelungen. "Zwei aggressive, große Spieler mit gutem Timing. Wir sind froh, dass wir sie haben", klärte Plattenhardt später auf. Markus Gisdol behauptete etwas anderes: "Für die Standards war klar besprochen, wer welchen Spieler zu decken hat und wer welche Räume besetzen muss", grantelte der HSV-Coach. Der Angriff auf die Spieler, zwar nordisch kühl formuliert, fiel großflächig aus. Damit die Botschaft auch klar ankam, legte Gisdol am Sonntag nach. Man könne nicht weitermachen, als sei nichts gewesen, es werde Veränderungen geben.

Es ist meist kein gutes Zeichen, wenn der Trainer in der Öffentlichkeit zu drastischen Formulierungen greift. Es bedeutet ja auch, dass Korrekturen deshalb notwendig sind, weil vorher etwas verbockt wurde. Beim HSV ist schon vieles verbockt worden, was Gisdol nicht zu verantworten hatte, das stimmt. Aber hat er nun auch eine Idee, die nach vorne weist, um die Schwere, die das Team mit sich trägt, aufzuheben? Und kann er seine Ideen noch vermitteln, wenn selbst Anweisungen bei Standardsituationen nicht umgesetzt werden?

Noch trauen sie ihm in Hamburg zu, die Krise zu meistern. Angesichts des finanziellen Engpasses, den der HSV hat, passt ein Trainerwechsel sowieso nicht wirklich ins Konzept. Gisdol wird wohl noch etwas Zeit bekommen, die Schwerfälligkeit aus dem HSV-Spiel zu vertreiben. Die leichtfüßigen Fiete Arp und Tatsuya Ito könnten ihm dabei gut helfen.

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