Hamburger SV:Kleiner Triumph im Pleiten-und-Pannen-Spiel

Fussball

HSV-Torhüter René Adler nach dem 0:0 bei bei Borussia Mönchengladbach. In dieser Szene tritt Adler André Hahn eine blutige Lippe.

(Foto: Uwe Speck/WITTERS)

Der HSV profitiert beim 0:0 von Gladbacher Fehlleistungen in Serie.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Der Fußballmanager Dietmar Beiersdorfer hatte in letzter Zeit wenig zu lachen. Von sieben Bundesligaspielen hat sein Hamburger SV kein einziges gewonnen; nicht mal ein Tor hat das Team seit exakt acht Stunden und zwei Minuten geschossen. Am Samstag, obwohl die Hamburger wieder nicht gewannen, wieder keinen Treffer erzielten und keine einzige Torchance verzeichneten, hat es trotzdem gleich mehrere beglückende und sogar belustigende Momente gegeben.

Zuerst, als der HSV-Torwart René Adler einen Elfmeter des Mönchengladbachers André Hahn parierte, dann, als der Gladbacher Lars Stindl einen weiteren Elfmeter an die Latte drosch, und in der Schlussminute, als Gladbachs Oscar Wendt den Pfosten traf. Als die niederrheinische Pleiten-Pech-und-Pannen-Show vorbei war und der Profiteur HSV mit einem Nullzunull den letzten Tabellenplatz verlassen hatte, wurde Beiersdorfer gefragt, ob die Tabelle mit dem HSV auf dem vorletzten Platz nun nicht gleich viel freundlicher aussehe. Da lachte Hamburgs Sportchef wirklich kurz auf. "Nein, ich darf behaupten, dass ich mit dem Tabellenstand weiterhin keineswegs zufrieden bin", bekannte er lakonisch.

Ein bisschen Humor leisteten sich die Hamburger trotz dieses zweiten nicht gewonnenen Spiels unter dem neuen Trainer Markus Gisdol deshalb, weil ihre Gladbacher Gastgeber zuvor zehn Bundesliga-Heimspiele nacheinander gewonnen und im Borussia-Park schon manch starken Klub demoralisiert hatten. Die Hamburger feierten das Nullzunull als kleinen Triumph und Zeichen des Aufbruchs. Ihr Trainer Gisdol wollte sich trotz dramatischer Unterlegenheit nicht als Günstling des Schicksals wahrnehmen, sondern vielmehr als Anführer einer Rebellentruppe, die sich ihr Glück tapfer erstritten hat. "Meine Mannschaft hat brillant ...", begann Gisdol einen Satz und musste ganz kurz überlegen, was seine Mannschaft denn eigentlich brillant gemacht hatte - dann schloss er kurzerhand: "... gekämpft".

Zwei Elfmeter verschoss Borussia zuvor nur 1984 in Karlsruhe

65 Minuten Überzahl nach einer frühen roten Karte für Hamburgs Cleber, zwei Elfmeter, 69 Prozent Ballbesitz, 22:5 Torschüsse, 10:3 Ecken und 22:8 Flanken hatten die Gladbacher Champions-League-Fußballer gegen das vormalige Schlusslicht HSV nicht zum Heimsieg nutzen können. Das Spiel glich dieser Zaubernummer, in der der Magier mit lauter Schwertern eine Kiste durchbohrt, aus der die Assistentin dann aber lächelnd und ohne jeglichen Kratzer herausklettert. "So ein Spiel erlebt du ein Mal in zehn Jahren", sagte kopfschüttelnd der Gladbacher Trainer André Schubert, als sei er Augenzeuge eines fußballerischen Wunders geworden. Die Hamburger schienen zum Glauben bekehrt: "Der Fußballgott war auf unserer Seite", predigte Lewis Holtby.

Von guten Geistern verlassen wähnten sich hingegen die ersten Kunden auf der Gladbacher Haupttribüne, die gegen Ende einer zähen ersten Halbzeit zu pfeifen begannen. Pfiffe hat es im Borussia-Park seit einer Ewigkeit nicht mehr gegeben, aber neuerdings mehren sich Gladbacher Aussetzer wie beim 1:3 in Freiburg, beim 0:4 in Manchester, beim 0:4 auf Schalke oder nun beim 0:0 gegen Hamburg.

Die neue Anfälligkeit einer zuvor so stabilen Borussia nimmt auch der Sportdirektor Max Eberl besorgt wahr, beruft sich zur öffentlichen Beruhigung aber traditionell auf die Gesamtentwicklung des Klubs seit dem Beinahe-Abstieg vor fünfeinhalb Jahren. "Jeder, der jetzt murrt und sagt: 'Was ist denn da los im Borussia-Park?", der sollte sich zwicken und erinnern, dass wir vor fünf Jahren in der Relegation gegen Bochum gespielt haben", sagte Eberl nach dem Festival der verpassten Chancen. "Niemand sollte so schnell vergessen, dass wir seit damals hier Großes geleistet haben, und dabei kann es einfach auch mal mühsam sein." Die Aufgabe gegen den HSV, fand Eberl gar, habe man "mit Bravour" gelöst - allerdings dürften sich am Samstag auch die wohlgesonnensten Fans schwer getan haben, die Vokabel "Bravour" im Gladbacher Fußball wiederzuerkennen - schließlich beschreibt der Duden diesen Begriff als "vollendete Meisterschaft, meisterhaft ausgeführte Darbietung". Geht nicht, bei diesen Daten: Erst zum zweiten Mal in ihrer Liga-Geschichte vergab die Borussia zwei Elfmeter in einem Spiel; zuvor nur 1984 bei einem 3:3 gegen Karlsruhe.

"Es waren Krämpfe und Schmerzen dabei. Es war eine geile Schlacht."

Borussias Fußball mangelt es ganz im Gegenteil seit einigen Wochen an Tempo, Einfallsreichtum und Abschlusseffizienz. Diese Defizite könnten am kommenden Mittwochabend gefährliche Folgen haben, wenn die Gladbacher zur Wahrung letzter tabellarischer Chancen im Champions-League-Duell bei Celtic Glasgow mindestens einen Punkt benötigen.

Geduld und bissiger Humor sind wie bei HSV-Manager Beiersdorfer aber auch Züge des Sportchefs Eberl, zwecks Zerstreuung aufkeimender Zweifel. Gerade angesichts der katastrophalen Chancenverwertung malt er sich für die Partie in Glasgow träumerisch ein Bravourstück des Minimalismus aus. "Vielleicht", sagt er, "gelingt uns im Celtic-Park ja aus einer kleinen Chance ein Tor."

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