Hamburger SV:Klar im Kopf dank Calhanoglu

Hamburger SV - 1. FC Nürnberg

Der alte und der neue Spielmacher: Rafael van der Vaart und Hakan Calhanoglu freuen sich beim 2:1 gegen Nürnberg.

(Foto: dpa)

Der 20-jährige Deutschtürke Hakan Calhanoglu befeuert die Hamburger Hoffnungen im Abstiegskampf. Als prägende Figur der Mannschaft hat er inzwischen den gealterten Rafael van der Vaart abgelöst - dem HSV tut der Esprit des Jungen sichtlich gut.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Das Kürzel HSV stand beim Boulevard schon für allerlei. "Holländischer SV" zum Beispiel, weil die Hamburger oft holländische Profis und Trainer verpflichten. Oder "Hilflos SV", was nach desaströsen Spielen besonders gern genommen wird. Seit Sonntagabend heißt der Hamburger SV nun "Hakan SV".

Auch wenn Keeper René Adler in der letzten Sekunde mit einer sehenswerten Parade den hochverdienten 2:1-Sieg gegen den 1. FC Nürnberg rettete, waren sich fast alle Beobachter einig über den Mann des Spiels: Hakan Calhanoglu, das 20-jährige badisch-türkische Talent mit dem unglaublichen Schuss. Es war nicht das erste Mal in dessen erster Saison an der Waterkant, dass er zum Matchwinner gekürt wurde.

Der achte Saisontreffer des Offensivspielers war wieder mal einer, der den HSV am Leben hält im Kampf um die Zugehörigkeit zur Bundesliga. Diesmal dauerte es 80 Minuten bis zum 1:0. Dann bekam Calhanoglu mit Hilfe des Fußes des Nürnbergers Frantz eine Flugbahn hin, gegen die selbst der vorzügliche Club-Torhüter Raphael Schäfer machtlos war.

Es war einer von zehn Torschüssen, die der frühere Karlsruher abgefeuert hatte. Besonders dank seiner Tatkraft schnellten die bislang in dieser Spielzeit ermittelten lauen 3,9 HSV-Torchancen pro Spiel hoch wie das Thermometer in den ersten März-Tagen. Und natürlich haben später auch die Kollegen seine Fähigkeiten hervorgehoben, zu denen nicht nur das Freistoßschießen - wie beim 3:0 gegen Dortmund aus 41 Metern - zählt.

"Sein Schuss ist eine echte Waffe", sagte etwa René Adler, "wir müssen dafür sorgen, dass er diese Waffe so oft wie möglich einsetzen kann." Ivo Ilicevic glaubt sogar, dass er bisher mit niemandem zusammengespielt hat, der über eine bessere Schusstechnik verfügte. Da könnten einem die Torhüter leidtun, sagte er.

Der Kunstschütze hat seine ungewöhnlichen Fertigkeiten einmal so erklärt: Er schaue sich Videos des Brasilianers Juninho immer wieder genau an, drücke ständig auf Pause und versuche es dann, exakt zu kopieren. "Dabei geht es um den Anlauf, die Schusstechnik, einfach alles."

Bloß keine Van-der-Vaart-Debatte

Selbst Kapitän Rafael van der Vaart ist vom "Selbstbewusstsein" seines Mittelfeld-Konkurrenten beeindruckt. Der hat ihm inzwischen nicht nur einen großen Teil der Freistöße abgenommen; auch als zentrale Anspielstation hat das Talent den ehemaligen Weltstar abgelöst. Die Mitspieler passen Calhanoglu die meisten Bälle zu, nicht van der Vaart. Diesmal hatte Calhanoglu die meisten Ballkontakte (78), während der eigentliche Spielmacher van der Vaart gerade mal 37 Ballberührungen verzeichnete und bei den erstaunlich beschwingten HSV-Aktionen meistens nur ein bescheidener Helfer war.

Nur Trainer Mirko Slomka möchte die Wachablösung nicht so einfach hinnehmen. Anstatt Calhanoglu für seinen außergewöhnlichen Auftritt zu loben, sagte er: "Es war von A wie Adler bis Z wie Zoua eine geschlossene Mannschaftsleistung." Zudem forderte Slomka seine Profis auf, dem Kapitän mehr Bälle zukommen zu lassen.

Der Trainer weiß: Er kann im Abstiegskampf bei aller Calhanoglu-Begeisterung keine van-der-Vaart-Debatte gebrauchen. Gleichwohl steht Calhanoglu für die Zukunft des HSV. Anfang Februar verlängerte er seinen Vertrag bis 2018, er habe "ein Zeichen" setzen wollen, sagte er damals.

Dass ihm eine große Karriere bevorsteht, daran zweifelt niemand mehr. Vergangene Saison wurde er beim Karlsruher SC "Drittliga-Spieler des Jahres" und verhalf seinem alten Klub, wieder in die zweite Liga aufzusteigen. Dann wurde er im September 2013 zum türkischen A-Nationalspieler. Und nun ist er die große Hoffnung beim lange Zeit depressiven HSV.

Wobei man dem 2013 gekündigten Sportchef Frank Arnesen ein wenig Abbitte leisten muss für seine Personalpolitik, die meist schlecht bewertet wurde. Seit der neue Coach Slomka das Sagen hat und die ausgemusterten Arnesen-Schüler Mancienne und Rajkovic zurückholte, zählten außer diesen beiden mit Adler, Badelj, Ilicevic, Jiracek und eben Calhanoglu nicht weniger als sieben von Arnesen verpflichteten Profis zu den Leistungsträgern. Vielleicht gelingt es seinem Nachfolger Oliver Kreuzer gemeinsam mit Slomka ja doch noch, aus dieser relativ jungen Elf endlich mehr zu machen als sie bislang zeigte.

Eines hat Mirko Slomka offenbar vorerst geschafft: "Wir sind wieder klarer im Kopf, das sieht man auf dem Feld", bemerkte Calhanoglu. Das werde man auch am kommenden Samstag beim nächsten Anti-Abstiegs-Gipfel in Stuttgart sehen, glaubt der Mann, nachdem der HSV momentan benannt ist.

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