Hamburger SV:Ist der HSV eine unfaire Mannschaft?

Lesezeit: 3 min

Schiedsrichter Felix Zwayer zeigt Albin Ekdal (HSV, nicht im Bild) die gelb-rote Karte. (Foto: Tim Groothuis/Witters)

Fünfmal Rot oder Gelb-Rot: Dass der HSV erneut im Bundesligakeller feststeckt, liegt auch an den vielen Platzverweisen. Der eigene Minusrekord gerät in Gefahr.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Der Hamburger SV hat in den vergangenen Jahren etliche Negativ-Marken geknackt. Im vorigen Herbst etwa hatte er sogar Tasmania Berlin, den schlechtesten Bundesligisten aller Zeiten, unterboten: Nach neun Spielen hatte der HSV als Tabellenletzter erst zwei Punkte und zwei Tore auf der Habenseite. Ganz so bitter ist die Lage beim Traditionsklub nicht mehr, unter dem neuen Trainer Markus Gisdol sind die bisher "unabsteigbaren" Hamburger inzwischen auf den vertrauten Relegationsplatz 16 geklettert.

Dennoch droht weiteres statistisches Ungemach, denn der HSV ist drauf und dran, seinen eigenen Minusrekord aus der Saison 1994/95 zu überbieten, als er nicht weniger als sechs rote und vier gelb-rote Karten kassiert hatte.

Aktuell sind es nach dem Platzverweis für Albin Ekdal beim 0:1 in Wolfsburg bereits drei rote und zwei gelb-rote Karten - nach der Hälfte der Saison. In der inoffiziellen Fairplay-Tabelle ist nur Frankfurt schlechter, weil sich die Eintracht noch zehn gelben Karten mehr (48) als die Hamburger (38) geleistet hat. Beim HSV kommt allerdings erschwerend hinzu, dass sich alle fünf Platzverweise schon mehr oder weniger früh in den Spielen ereignet hatten.

Bis zur Unterzahl hat der HSV die Spiele im Griff

209 Saisonminuten hat der HSV daher bereits dezimiert verbracht - ein enormes Handicap. Das "späteste" Rot kassierte Bobby Wood in der 58. Minute - beim 0:3 in Köln rammte er Gegenspieler Dominique Heintz den Ellbogen in die Magengrube. Dabei hatte sein Team die Kölner bis zu dieser Schlüsselszene gut im Griff gehabt, und es stand bis zur Unterzahl ebenso noch 0:0 wie am Samstag in Wolfsburg, wo es Ekdal in der 33. Minute an der Seitenlinie im Mittelfeld erwischte, als er den VfL-Stürmer Ntep innerhalb von fünf Minuten zum zweiten Mal regelwidrig zu Fall gebracht hatte. In der 83. Minute war die Kraft der zehn Hamburger dann so aufgebraucht, dass doch noch das 0:1 fiel.

In Gladbach hatte der HSV im Herbst zudem großes Glück gehabt, dass die Borussia nach dem sehr frühen Rot gegen Cleber (26.) zwei Elfmeter verschoss und die Partie 0:0 ausging. Nur beim 0:3 gegen Frankfurt, als Dennis Diekmeier in der 57. Minute das Feld räumen musste, führte der Gegner zum Zeitpunkt des Hamburger Feldverweises bereits 1:0. Gisdol, der sich auch nach Ekdals Entschuldigung in Wolfsburg nicht beruhigen wollte, grantelte nun, er wolle nicht auch noch extra trainieren, wie man ein Spiel mit zehn Mann beende.

Fairness-Tabelle * Gelbe Karte = 1 Strafpunkt - Gelb-Rot = 3 Punkte - Rot = 5 Punkte. Quelle: transfermarkt.de / SZ-Grafik (Foto: SZ-Grafik)

Schon im Oktober in Köln schimpfte der Trainer nach dem Blackout von Wood (anschließend drei Spiele gesperrt): "Das ist nicht zu entschuldigen, das können wir nicht akzeptieren." Ist der HSV also wirklich eine unfaire Mannschaft? Die Bild hatte die Hamburger zuletzt "Übel-Treter" genannt. Der neue Sportchef Jens Todt widerspricht dem natürlich, er hat eine andere Erklärung für die immer wiederkehrenden Aussetzer. Der HSV habe "kein Disziplin-Problem", sondern: "Das passiert, wenn man mit nur zwei Punkten aus den ersten zehn Spielen in die Serie startet. Da spielt viel Druck und Frust mit rein."

Mit Sicherheit aber hat die Mannschaft mentale Schwierigkeiten, die auch durch den Einsatz des Sportpsychologen Christian Spreckels von der Universität Hamburg bisher offenbar nicht eingedämmt werden konnten. Denn nur relativ wenige Profis sollen bisher freiwillig Gespräche mit dem Experten gesucht haben. Der Sportpsychologe Kurt Banse kreist die Ursachen für solche Vergehen so ein: In extrem fordernden Situationen reagiere der Körper, "das Herz schlägt schneller, die Kapillaren verengen sich, es wird viel Adrenalin ausgeschüttet". Und dann komme es vor, dass man kratze oder trete. "Das sind Ur-Instinkte", sagt Banse, die Kunst sei, dass man sich während des Spiels wieder entschleunige. Aber viele Spieler wissen nicht, wie sie das machen sollen. Bei Ekdal war es offensichtlich so, dass er mit seinem Auftritt in den ersten 30 Minuten nicht zufrieden war. Dann beginnt manchmal eine Negativspirale.

Was für diese These spricht: Als der HSV 1979, 1982 und 1983 Meister wurde, kassierte er nicht einen einzigen Platzverweis; so wie jetzt Tabellenführer FC Bayern und die ebenfalls sehr erfolgreichen Hoffenheimer, die als einzige Teams bisher weder eine rote noch eine gelb-rote Karte sahen.

Beim Kellerduell der Hamburger an diesem Samstag in Ingolstadt ist die Karten-Gefahr hingegen für beide Seiten wieder groß - in der Fairness-Tabelle liegen auch die Oberbayern nur auf Rang 15. Immerhin ist Ekdal, der jüngste HSV-Missetäter, nicht dabei. Er sitzt die Sperre für die Ampelkarte von Wolfsburg ab.

© SZ vom 25.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Timo Kraus
:Wie ein HSV-Mitarbeiter auf dem Heimweg verschwand

Seit fast zwei Wochen sucht die Hamburger Polizei einen Familienvater und Mitarbeiter des Bundesliga-Vereins. Handydaten und ein Zeuge helfen bei der Rekonstruktion - doch der Fall bleibt mysteriös.

Von Peter Burghardt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: