Hamburger SV:Gute Freunde

FC Ingolstadt v Hamburger SV - Bundesliga

Alle im Blick: Aaron Hunt (links) spielt beim HSV selbstloser als früher.

(Foto: Bongarts/Getty)

Hamburg profitiert in Ingolstadt von einem neuen Teamgeist. Plötzlich steht der ehemalige Fast-Absteiger im gesicherten Mittelfeld.

Von Sebastian Fischer, Ingolstadt

Es ist nicht lange her, da hätte der Fußballer Aaron Hunt keine Möglichkeit ausgelassen, mit seinem Können zu glänzen. Dass er darüber verfügt, ist unstrittig: Er kann präzise passen und schießen, den Ball behandelt er wie einen guten Freund. Doch nach seinem Wechsel von Werder Bremen zum VfL Wolfsburg im Sommer 2014 gehörte Hunt irgendwie nie richtig dazu beim Pokalsieger, er galt als Eigenbrötler, frustriert, zum Nebendarsteller degradiert. Er schien die Lust verloren zu haben, weil er so selten spielen durfte.

Seit gut drei Wochen ist Hunt, 29, Angestellter des Hamburger SV. Drei Spiele hat er bestritten, alle von Beginn an im zentralen Mittelfeld. Er nimmt wieder eine Hauptrolle ein. Und, noch wichtiger: Nicht mehr nur der Ball ist sein Freund, auch mit den Kollegen versteht er sich bestens. Auch deshalb hat der HSV beim FC Ingolstadt am Dienstag zum dritten Mal in dieser Saison ein Bundesligaspiel gewonnen.

Der junge Österreicher Michael Gregoritsch, 21, war der gefragte Mann nach seinem raffiniert angeschnittenen Freistoß, der sich in der 87. Minute, abgefälscht von Ingolstadts Robert Bauer, zum 1:0-Endstand unter die Latte senkte. Gregoritsch erzählte später begeistert von den Momenten vor der Ausführung: "Aaron Hunt gibt mir den Ball, das ist nicht üblich für so einen erfahrenen Spieler. Das muss ich loben." Hunt hatte den Freistoß selbst herausgeholt, dann habe er zu Gregoritsch gesagt: "Langer, schieß ihn rein!"

Ingolstadts Torwart Özcan zetert über einen "Schweinsschuss"

Der Freistoß war hinterher auch bei den frustrierten Ingolstädtern Thema. Er hatte dem Spiel, das lange der FCI dominierte, eine überraschende, vielleicht gar ungerechte Wendung gegeben. Am Ende standen die Gastgeber auch im dritten Bundesligaheimspiel ohne Tor und zum zweiten Mal ohne Punkt da. Weil der FCI bereits drei Auswärtsspiele gewonnen hat, ist das zwar nicht tragisch, aber ärgerlich. Gregoritsch habe "so viel Glück mit seinem Schweinsschuss", zeterte Torhüter Ramazan Özcan.

Außer auf Glück war das Ergebnis auch auf die sichere Hamburger Defensive, auf ihre Ausdauer und Geduld zurückzuführen. Die Mannschaft von Trainer Bruno Labbadia spielte eine schwache erste Hälfte und hatte Glück, dass Ingolstadt zahlreiche Angriffe zu hektisch vortrug und Stefan Lex kurz nach der Pause die beste Chance vergab. Doch in der entscheidenden Phase wurde der HSV stärker. Wenn eine Fußballmannschaft im Laufe eines Spiels merkt, mit etwas mehr Initiative die Begegnung zu den eigenen Gunsten verändern zu können, ist sie vor allem auf verlässliche Passempfänger im Mittelfeld angewiesen, die den Ball halten, weitertragen, Freistöße herausholen und Chancen kreieren. Hunt hatte von allen Hamburgern die beste Passquote, 41 seiner 50 Zuspiele kamen an. Er hatte mit die meisten Ballkontakte und war der meistgefoulte Spieler.

Der frühere Stürmer Labbadia versteht es offenbar, sich in schwierige Charaktere hineinzuversetzen und sie zu einer Mannschaft zu vereinen. Hunt, sein Wunschspieler fürs offensive Mittelfeld, ist da nur ein weiteres Beispiel neben dem in Hamburg bereits ausgemusterten Ivo Ilicevic oder Stürmer Pierre-Michel Lasogga. Als Labbadia am Dienstagabend die Zusammenfassung der Begegnung im Fernsehen sah, litt er mit seinem Angreifer, der eine gute Torchance vergeben hatte, als wäre er selbst frei vor dem Tor gestanden.

"Sehr happy" sei er, sagte der Trainer noch. Er verschwieg dabei freilich jene schwachen 70 Minuten seiner Mannschaft, in denen Ingolstadt viel energischer aufgetreten war. Labbadia konzentrierte sich lieber auf die starken 20 Minuten zum Schluss, die er mit den Einwechslungen von Marcelo Díaz und Torschütze Gregoritsch eingeleitet hatte und in denen die Angriffe aus der sicheren Abwehr heraus plötzlich regelmäßig gefährlich wurden. Das Aufbäumen zum Schluss war exemplarisch für den augenscheinlich besseren Teamgeist im Vergleich zur desaströsen Vorsaison.

Labbadia kommt bei seiner Arbeit zugute, dass die Ansprüche gesunken sind. Er darf jegliche Ambitionen als "alte HSV-Muster" geißeln. Zehn Punkte, die der Klub nach sechs Spielen gewonnen hat, "sind geil", befand Labbadia bei der Pressekonferenz. Aus dem Off sprach Ingolstadts Trainer Ralph Hasenhüttl ins Mikrofon: "Stimmt." Beide Vereine wollen in dieser Saison nicht mehr als die Klasse halten. Beide haben die gleiche Punktzahl, beide sind mit dem Saisonstart zufrieden. Hasenhüttl konnte sogar dem Umstand etwas Positives abgewinnen, dass die meisten Ingolstädter Zuschauer Siege nur aus dem Fernsehen kennen, wenn ihre Mannschaft auswärts spielt. "Die Bäume wachsen nicht in den Himmel in Ingolstadt, das sieht jeder", sagte Hasenhüttl: "Vielleicht ist das gar nicht so schlecht."

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