Hamburger SV:"Geh' rein, du machst das Ding"

Hamburger SV - VfL Wolfsburg

Der Trainer und sein Siegtorschütze: Markus Gisdol (links) umarmt Gian-Luca Waldschmidt.

(Foto: dpa)

Von Peter Burghardt, Hamburg

Nun haben sie es also doch noch ohne Überstunden geschafft, dabei hatte der Hamburger SV da schon eine kleine Tradition hinter sich. Zweimal in vier Jahren war der Verein, der als einziges Mitglied der Fußball-Bundesliga seit deren Gründung 1962 ununterbrochen dabei ist, zuletzt in der Relegation gelandet. Und bis zwei Minuten vor Schluss sah es an diesem Samstag ganz danach aus, als würde es auch diesmal so weit kommen. Bis der eingewechselte Luca Waldschmidt zum 2:1-Sieg gegen den VfL Wolfsburg traf und die Niedersachsen in die Entscheidungsspiele gegen den Dritten der Zweiten Liga schickte, voraussichtlich Eintracht Braunschweig.

Für die VW-Männer wird das ein ebenso unverhofftes wie unangenehmes Saisonfinale gegen den Traditionsklub aus der Nachbarschaft. "Unglaublich", sprach Andries Jonker, der Trainer, "aber wir kriegen das hin." Für den HSV von Trainer Markus Gisdol dagegen gab es ein sagenhaftes Ende mit Bierdusche, damit war unter seinem Vorgänger Bruno Labbadia zwischenzeitlich kaum mehr zu rechnen gewesen.

Nach zehn Spieltagen hatte Hamburg mit zwei Punkten den letzten Platz belegt, und man musste ernsthaft in Erwägung ziehen, dass die Erstligauhr im 55. Jahr dann doch ablaufen würde. "Wir waren tot, erledigt", sagt Gisdol: "Aber wir haben uns zusammen gerauft. Wir haben es gepackt." Sehr emotional sei das, "obwohl ich gerne andere Geschichten mit dem HSV schreiben würde."

HSV beginnt so verkrampft wie befürchtet

Natürlich müsste der HSV andere Geschichten schreiben mit seiner Möglichkeiten, dieser ehrwürdige Verein aus der reichen Hansestadt mit seinem treuen Mäzen. Während dieser chaotischen Spielzeit wurde wieder eifrig ausgewechselt, Gisdol kam für Labbadia, Vorstand Heribert Bruchhagen für Dietmar Beiersdorfer, den Job des Sportdirektors übernahm Jens Todt. "Wir müssen alle kluge Schlüsse aus dieser Saison ziehen", rät Gisdol, noch mal würde er ein Team in solchen Schwierigkeiten nicht übernehmen. Aber die weitere Zukunft spielte erst mal keine Rolle nach dieser Partie.

"Die Hoffnung stirbt zuletzt", hatte zuvor vollkommen zu Recht Uwe Seeler versichert, der alte Weise, dessen rechter Fuß als mächtiger Bronzeguss vor der Arena steht. Auch der Torjäger von einst saß mit 80 erstmals nach seiner Herzoperation wieder in der Loge, wies aber darauf hin, dass er seine Daumen in diesen Jahren schon plattgedrückt habe. Mut machte den Gastgebern außerdem die bizarre Ernennung des Schiedsrichters, denn der DFB hatte sich Manuel Gräfe ausgesucht: Der Berliner hatte dem HSV vor zwei Jahren gegen den KSC in letzter Sekunde jenen rettenden Freistoß spendiert, der damals den Klassenerhalt sicherte.

Aber Gräfe hin oder her, die Hausherren begannen so verkrampft wie von vielen befürchtet und die Gäste geradezu beseelt. Zweimal rettete Torwart Christian Mathenia, der seit Wochen den verletzten René Adler vertritt: nach zehn Minuten gegen Mario Gomez und nach 22 Minuten gegen Jakub Blaszczykowski, die beide kräftig und zielsicher abzogen. Beim dritten Wolfsburger Versuch konnte dann auch Mathenia nicht mehr helfen. Flanke Sebastian Jung von Rechtsaußen, Kopfball Robin Knoche - 0:1, 23. Minute.

Auch Olli Dittrich machte auf seinem Tribünenplatz ein trauriges Gesicht in seinem HSV-Trikot aus glorreicher Vergangenheit. Der Rückstand muss die Hamburger immerhin derart vom Ernst der Lage überzeugt haben, dass sie anschließend mit dem Mut der Verzweiflung in Schwung kamen. Beistand leistete in der 32. Minute Wolfsburgs Philipp Wollscheid, der den Ball verlor. Filip Kostic schoss daraufhin nach Zuspiel von Lewis Holtby satt ins Netz. 1:1.

Fans stürmen zu Tausenden das Feld

Trotzdem spielte der Rivale aus der Autostadt ruhiger, geordneter, gewann mehr Zweikämpfe, hatte öfter den Ball. Yunus Malli hätte noch vor der Pause das 1:2 schießen können, der Portugiese Vieirinha zwang Mathenia nach Wiederanpfiff zur nächsten Großtat. Gisdol schickte dann Bakery Jatta auf den Rasen, den 18-Jährigen, der aus Gambia nach Europa geflüchtet war und vorher noch nie so richtig in einem Verein gespielt hatte. Die Erlösung allerdings lieferte ein andere gute Idee des Trainers: In der 86. Minute tauschte er Lewis Holtby gegen Luca Waldschmidt ein. 110 Sekunden später köpfelte das Glückskind eine Flanke von Kostic zum 2:1 ins Wolfsburger Tor, es war sein erster Treffer im 29. Bundesligaspiel, einen Tag nach seinem 21. Geburtstag.

Wie bereits bei Pierre-Michel Lasogga, dem vor einer Woche auf Schalke der Ausgleich gelungen war, hatte Gisdol im letzten Moment den Richtigen erwischt. "Geh' rein, du machst das Ding", habe ihm Gisdol aufgetragen, berichtete der Schütze. Waldschmidt hatte sich oft vorgestellt, "was das für ein Gefühl ist", jetzt weiß er es.

Nachher brachen im Volksparkstadion alle Dämme. Hamburger Fans stürmten zu Tausenden das Feld, die Wolfsburger wurden von der Polizei in ihrem Block zurück gehalten. Die treuen Freunde des HSV sie sangen wie immer von ihren Meisterschaften, den Europapokalen und dem ewigen Dasein in der ersten Liga.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: