Hamburger SV:Flüchtling unterschreibt

Flüchtling im Probetraining beim HSV

Am Ziel: Eine Woche nach seinem 18. Geburtstag ist Bakery Jatte Fußball-Profi, zudem hat er nun eine Aufenthaltsgenehmigung.

(Foto: Axel Heimken/dpa)

Im Januar noch saß Bakery Jatta, 18, in einer Notunterkunft. Jetzt wird der hochbegabte Fußballer aus Gambia Bundesligaprofi beim Hamburger SV.

Von Peter Burghardt

Im Januar saß ein 17-jähriger Flüchtling aus Gambia in einer niedersächsischen Hilfseinrichtung und träumte vom Hamburger SV. Tage zuvor hatte Bakery Jatta ein Probetraining beim HSV absolviert, schon das galt als Sensation. Welcher unbegleitete minderjährige Asylbewerber ohne Referenzen schafft es, einem Fußball-Bundesligisten aufzufallen?

Der junge Jatta hatte im Sommer 2015 halb Afrika durchquert und sich wie Zehntausende andere über Italien nach Deutschland gekämpft. Er sprach leises Englisch und wusste selbst nicht so recht, wie ihm hier nun mitten im europäischen Winter geschah. An einem Konferenztisch umgaben ihn drei Betreuer und Berater sowie ein Journalist, draußen lag Schnee. HSV-Trainer Bruno Labbadia war begeistert von seiner Technik und seinem Spielverständnis. Doch wie würde diese verblüffende Geschichte weiter gehen?

Fünf Monate später ist der Fußballstürmer Jatta tatsächlich Profi des HSV. Am Montag, eine Woche nach seinem 18. Geburtstag, unterschrieb der Gambier einen Vertrag für drei Jahre. Am Dienstag gab der Klub das frohe Ereignis bekannt, für Bakery Jatta hat der Job außer der Aussicht auf Ruhm und Geld einen weiteren Vorteil: Die Festanstellung verwandelt seine Duldung in eine Aufenthaltsgenehmigung.

Damit schafft es aus der Schar von Schutz suchenden Jugendlichen und Erwachsenen, die zuletzt aus vielen Ländern in die Bundesrepublik kamen, erstmals ein offenbar Hochbegabter ins Showgeschäft Berufsfußball. Zwar war auch der spätere Bayer Hasan Salihamidžić einst 1992 im Alter von 15 Jahren aus dem Bosnienkrieg in Hamburg gelandet, nach drei Jahren in der HSV-Jugend machte er große Karriere. Salihamidžić allerdings war als Nachwuchs-Nationalspieler ausgewandert. Bakery Jatta dagegen hat zuvor noch nie in einem Verein gekickt.

Sein genaues Schicksal ist ein Mysterium, das macht diesen Fall erst recht spannend. Bisher sollte er nicht viel darüber verraten. Man wolle "keinen unnötigen Hype", erläuterte Efe-Firat Aktas, der als Jattas Manager fungiert, kürzlich am Telefon, wobei das Interesse an der märchenhaften Causa Jatta enorm ist. Die Deutungshoheit übernimmt fürs erste der neue Arbeitgeber. In einem HSV-Interview verriet Jatta am Dienstag, dass er ohne Eltern aufgewachsen sei. Dass er wegen der miserablen Verhältnisse in seiner afrikanischen Heimat "diesen schwierigen und gefährlichen Weg der Flucht" wagen musste, "wenn ich die Chance auf eine Zukunft haben wollte. Dafür habe ich viele Gefahren auf mich genommen." Einzelheiten bleiben fürs erste der Fantasie überlassen, auf seinem Weg ins Volksparkstadion lag unter anderem die Sahara.

Über eine Bremer Erstaufnahme kam Jatta im August 2015 in die Akademie Lothar Kannenberg. Der frühere Boxer Kannenberg hat das Prädikat "Respekttrainer" auf seinem Trainingsanzug stehen und leitet Erziehungsheime. Jattas Talent am Ball sorgte dort rasch für Aufsehen, der Spielervermittler Aktas besorgte Probetermine bei Werder Bremen und dem HSV. Dessen Trainer Labbadia gefiel sein Auftritt, in den zwei Einheiten bereitete Jatta sogar einen Treffer vor. Er habe Respekt vor Jattas Geschichte, lobte Labbadia. "Dass sich ein Mensch traut, so etwas auf sich zu nehmen, ist beeindruckend." Danach wurde überlegt und verhandelt. Ein Neuling ohne Ausbildung und EU-Pass als Verstärkung für eine Mannschaft, die seit Jahren gegen den Abstieg kämpft?

Labbadia und Präsident Dietmar Beiersdorfer, inzwischen auch Sportdirektor, blieben ihrem guten Gefühl treu. Bakery Jatta ging derweil vormittags zur Schule und lernte ein wenig Deutsch, stählte sich nachmittags mit Privattrainern wie Mahmut Aktas, Efe-Firat Aktas' Cousin, und übte abends mit dem Fünftligisten Bremer SV. "Wofür ich sehr dankbar bin", wie Jatta sagt, "denn ich konnte mich auf diese Weise daran gewöhnen, jeden Tag zu trainieren ." Das kannte er von zu Hause nicht. In Gambia hätten sie höchstens mal am Wochenende ein richtiges Training absolviert und ansonsten auf der Straße gespielt "und uns selbst die Dinge beigebracht."

Er habe "viel erlebt" und wolle künftig so leben "wie es die Menschen in Deutschland tun", lässt der HSV mitteilen. Bald will Bakery Jatta die Bundesliga erkunden. Seinem Mentor Kannenberg hat er versichert: "Ich spiele."

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